| # taz.de -- Emil Noldes NS-Vergangenheit: Expressionist in Grau | |
| > Mischa Kuball setzt in Kassel seine Forschung zur NS-Tätigkeit von Emil | |
| > Nolde fort. In seinem Konzeptkunstwerk wird der Maler entzaubert. | |
| Bild: Rehabilitiert? Emil Noldes Vergangenheit im Nationalsozialismus wird hier… | |
| Es sind die kraftvollen Farben von Emil Noldes Gemälden, die einen | |
| regelrecht in den Bann ziehen. Für sein Konzeptkunstwerk | |
| „nolde/kritik/documenta“ platziert Mischa Kuball sie hinter optischen | |
| Filtern und entzieht ihnen die Farbe. Andere Bilder hängt er gleich nur in | |
| Schwarzweiß reproduziert auf Wellpappe an die Wände. Nolde ist entzaubert. | |
| Kuball nahm seine künstlerische Forschung zu Nolde angeregt von der | |
| Draiflessen Collection in Mettingen auf, [1][wo eine erste Version des | |
| Projekts 2021] präsentiert wurde. Auf Einladung des documenta Archivs setzt | |
| er sie jetzt im Fridericianum in Kassel fort, dem Ort, an dem das Narrativ | |
| vom verfemten und rehabilitierten Emil Nolde (1867–1956), das rund 50 Jahre | |
| vorherrschte, mitgestrickt wurde. | |
| Seit der Öffnung von Noldes Archiv 2010 ist bekannt, dass er ein glühender | |
| Nazi und Antisemit war, der lediglich an Hitlers Kunstgeschmack scheiterte. | |
| Wie umgehen mit diesem Wissen? Mit der Präsentation von | |
| Forschungsergebnissen in einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin | |
| 2019 erfuhr auch eine breite Öffentlichkeit von der politischen Gesinnung | |
| des gefeierten Expressionisten. Sie war allerdings genauso Werkschau und | |
| zeigte über 100 Originale, teilweise in Hängungen, die Nolde selbst | |
| entwickelt hatte. | |
| ## Radikaler Ansatz | |
| Kuballs Ansatz ist radikaler, auch weil er die Rolle von Museen und | |
| Kunstschauen selbst in den Mittelpunkt seiner Reflexionen rückt. [2][Noldes | |
| Werke, die an den ersten drei Ausgaben der documenta] in den Jahren 1955, | |
| 1959 und 1964 gezeigt wurden, hatten ihn auch postum zu einer Art | |
| Staatskünstler der jungen BRD gemacht. Danach hingen seine Werke bei | |
| Bundeskanzler Helmut Schmidt im Arbeitszimmer, auch Angela Merkel | |
| verschönerte das Kanzleramt mit Nolde-Gemälden. | |
| Dass diese Renaissance gelang, war nicht nur Ergebnis seiner | |
| [3][Selbststilisierung als Opfer des Nationalsozialismus], für die er | |
| Unterlagen säuberte und biografische Texte umschrieb. Erst die Vertuschung | |
| durch die Institution documenta – federführend durch den Kunsthistoriker | |
| Werner Haftmann, selbst ehemaliges SA- und NSDAP-Mitglied – machte sie | |
| möglich. | |
| Kuball zeigt ausschließlich Nolde-Werke, die auch damals in Kassel zu sehen | |
| waren, darunter die „Ungemalten Bilder“. Nolde schuf die Serie | |
| kleinformatiger Aquarelle während seines Berufsverbots, um sie später in Öl | |
| auszuführen. Haftmann schrieb 1958, sie seien in einer Zeit bitterster | |
| Verfolgung in der NS-Zeit entstanden, als Nolde sogar das Malen polizeilich | |
| verboten worden sei. Verkaufen oder ausstellen durfte er zwar offiziell | |
| nicht, malen aber durchaus. Und Nolde malte, sogar große Formate. Er | |
| verkaufte auch. | |
| ## Schachteln auspacken | |
| Am Eingang zur Kasseler Ausstellung zeigt eine Videoprojektion Hände in | |
| weißen Handschuhen beim Auspacken der „Ungemalten Bilder“ aus Schachteln. | |
| Auf Fotografien sind vergrößerte Dokumente, Zeitungsartikel und Seiten aus | |
| frühen documenta-Katalogen zu sehen. Weitere Videos zeigen Bilder im Depot, | |
| in Scannern, beim Bearbeiten am Computer. | |
| Links und rechts säumen von der Forschungsgruppe Mnemosyne rekonstruierte | |
| Bildtafeln aus Aby Warburgs „Atlas“ die Wände. Inspiriert von Ideen des | |
| Kunsthistorikers und Nolde-Zeitgenossen zu einer distanzierten Betrachtung | |
| von Kunst, plädiert Kuball für eine Kritik, die sich von linearen | |
| Erzählungen löst. Besucher:innen müssen ganz ohne Text auskommen, | |
| Informationen finden sie erst im Katalog. All das mag sperrig sein, | |
| eröffnet aber auch einen erweiterten Blick auf die Verschränkung von Kunst | |
| und ihren Institutionen. | |
| Auf einem Bildschirm sieht man, wie ethnografische Objekte aus der Sammlung | |
| Noldes in den Ringtunnel eines CT-Scanners geschoben werden. An der Wand | |
| hängen die Ergebnisse: Bilder mit schwarzen Flächen, auf denen nur noch | |
| weiße Spuren der Objekte auszumachen sind. Es piepst und rauscht, als | |
| stünde man mitten im Geschehen. Auch das zeigt Kuballs Projekt: Die | |
| Auseinandersetzung mit dem Künstler ist nicht abgeschlossen. Die | |
| Aufarbeitung von Noldes Verhältnis zum Kolonialismus etwa hat gerade erst | |
| begonnen. | |
| 6 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Konzeptausstellung-zu-Emil-Nolde/!5720014 | |
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| [3] /150-Jahre-Emil-Nolde/!5432429 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine Weier | |
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