| # taz.de -- Mit Fehlern behaftete Kunstgeschichte: Wie Max Beckmann zum Juden w… | |
| > Der Wunsch nach einer klaren Täter-Opfer-Dichotomie verstellt oft den | |
| > Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus. Geschichte wird verzerrt. | |
| Bild: Warum macht Bestseller-Autor Florian Illies ihn zum Juden? Max Beckmann i… | |
| Den Besuchern der kürzlich beendeten Ausstellung „Departure“ in der | |
| Münchner Pinakothek der Moderne erklärte man an einer Wandtafel, | |
| [1][Künstler Max Beckmann] sei 1933 vor den Nazis aus Deutschland geflohen | |
| und habe bis Kriegsende im holländischen Exil gelebt. Und in seinem Buch | |
| „Liebe in Zeiten des Hasses“ (2021) schreibt Florian Illies sogar, Beckmann | |
| habe das Jahr 1935 „als Jude in einem dauernden Zustand der Angst“ | |
| verbracht. | |
| Tatsächlich war Beckmann weder Jude, wie fälschlicherweise von Illies | |
| konstatiert (und vom S. Fischer Verlag für spätere Auflagen seines | |
| erfolgreichen Buches lautlos korrigiert), noch ist er 1933 vor den Nazis | |
| geflüchtet, wie es die Münchner Ausstellungsmacher behaupteten. Er hat die | |
| Nazis zweifellos verabscheut, war aber kein Verfolgter des NS-Regimes, | |
| sondern vielmehr ein Ignorierter, ab 1933 beruflich und gesellschaftlich | |
| kaltgestellt. | |
| Sein Gang ins niederländische Exil 1937 war nicht zuletzt materiellen | |
| Erwägungen geschuldet, wie er sogar selbst einräumte. Der Exilbegriff traf | |
| für Beckmann somit lediglich für die Jahre 1937 bis 1940 zu. Ab dem | |
| Einmarsch der Wehrmacht in den Niederlanden im Frühjahr 1940 lebte er unter | |
| bekannter Adresse wieder im Einzugsbereich der Nazis und wurde sogar | |
| zweimal der militärischen Musterung unterzogen. | |
| Wie kann es sein, dass sich derart verzerrte Lebensbilder bekannter | |
| Künstler bis heute hartnäckig halten und sogar einen so prominenten Autor | |
| wie Florian Illies dazu verleiten, aus dem von den Nazis abgelehnten Maler | |
| Max Beckmann den verfolgten Juden Max Beckmann zu machen? | |
| ## Fortschreibung einer Hagiografie | |
| Zum einen waren es bislang vor allem Kunsthistoriker, die sich mit den | |
| Biografien der Künstler befassten und dabei vom künstlerischen Werk | |
| ausgingen. Der biografische Rahmen war dabei lediglich ein Nebenschauplatz, | |
| der aus dem Fundus übernommen wurde. Dass jener Fundus maßgeblich vom | |
| Künstler selbst beziehungsweise von dessen Familie und Bewunderern | |
| vorgefertigt war, zeigt das Beispiel Beckmann eindrucksvoll: | |
| Veröffentlichte Briefe und Tagebücher liegen lediglich in einer von seiner | |
| zweiten Frau Quappi redigierten Fassung vor. Frühe Lebensabrisse entstammen | |
| der Feder von Familienmitgliedern und Freunden. | |
| Dazu kommt, dass Beckmann zu Lebzeiten einige Energie darauf verwandte, die | |
| mediale Darstellung der eigenen Person bestmöglich zu steuern – mit Benno | |
| Reifenberg etwa, dem Leiter des Feuilletons der Frankfurter Zeitung, | |
| verband ihn seit den 1920er Jahren eine Freundschaft; Reifenberg wiederum | |
| veröffentlichte 1949 eine Beckmann-Biografie. Spätere Kunsthistoriker haben | |
| das so entstandene Beckmann-Bild niemals ernsthaft hinterfragt, sondern | |
| vielmehr hagiografisch verfestigt. | |
| Zum anderen wirkt die [2][NS-Ausstellung „Entartete Kunst“] von 1937 bis | |
| heute nach. Vor allem in Hinblick auf Beckmann beförderte sie den | |
| Irrglauben, es handelte sich bei ihm zwangsläufig um einen persönlich | |
| Verfolgten des NS-Apparats. Anders als etwa bei Literaten waren die Nazis | |
| in der bildenden Kunst jedoch zu einer größeren Differenzierung zwischen | |
| Werk und Person bereit. Was sich auch daran zeigte, dass Beckmanns Arbeiten | |
| nach 1933 weiterhin erworben werden konnten – wenngleich sie kaum noch | |
| jemand haben wollte. | |
| Beckmann hat sich während der NS-Zeit in keiner Weise persönlich | |
| kompromittiert. Ein Verfolgter, der um sein Leben bangen musste, war er | |
| jedoch nicht. Auch wenn sich dieses Bild hartnäckig hält und jüngst sowohl | |
| von den Kuratoren der Münchner „Departure“-Schau als auch – in besonders | |
| gravierender Weise – von Florian Illies einmal mehr übernommen wurde. | |
| Offenbar dominiert in der Exilgeschichte weiterhin derWunsch nach einer | |
| klaren Täter-Opfer-Dichotomie. Hoffentlich vermag die derzeit aufwendig in | |
| Vorbereitung befindliche kritische Neuedition der Beckmann-Tagebücher durch | |
| das unter dem Dach der Pinakothek der Moderne angesiedelte | |
| Max-Beckmann-Archiv dieses Bild zu korrigieren. Florian Keisinger | |
| 13 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ausstellung-Max-Beckmann-und-Berlin/!5254271 | |
| [2] /Ausstellung-entarteter-Gemaelde-in-Halle/!5627037 | |
| ## AUTOREN | |
| Florian Keisinger | |
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