| # taz.de -- Salzburger Museum über Kunst in NS-Zeit: „Wir haben uns lange ni… | |
| > Das Museum Kunst der verlorenen Generation in Salzburg bietet Raum für | |
| > Künstlerinnen*, die zur NS-Zeit als „entartet“ galten und vergessen | |
| > wurden. | |
| Bild: Ausschnitt aus einem Gemälde von Karl Tratt: Straßenszene mit Gepäckma… | |
| „Kenn i net“, sagt der Taxifahrer, und wo soll das überhaupt sein? Als er | |
| vor dem Haus hält, mitten in der Altstadt, wo so gut wie nichts | |
| barock-gülden aufgeputzt ist, sagt er: Hab ich noch nie gehört. Das „Museum | |
| der verlorenen Generation“ trägt ja ohnehin keinen reißerischen Titel, es | |
| hat seine Räume im ersten Geschoss der Sigmund-Haffner-Gasse 12, rückwärtig | |
| zum Universitätsplatz mit dem Bierhaus Zipfer im Parterre, ausweisend, dass | |
| in diesem Haus das „Nannerl“, W. A. Mozarts Schwester lebte. Und dort | |
| findet es sich in smarter Pracht über die gesamte Etagenfläche. | |
| Man muss es kennen, vielleicht wie wir durch einen Tipp der | |
| [1][Schriftstellerin Katja Petrowskaja] vor Monaten in der FAZ. Was dort | |
| seit fünf Jahren zu sehen ist – 2018 wurde dieses Museum dank seines Mäzens | |
| Heinz R. Böhme, eines als Chefarzt in München wohlhabend gewordenen Mannes, | |
| gegründet –, birgt eine Art Garantie auf melancholische Atmosphäre selbst. | |
| Über 600 Exponate sind inzwischen in der Sammlung, die sich um keine | |
| anderen Künstlerinnen und Künstler kümmert als um solche, die dem | |
| nationalsozialistischem Kunstregime nicht gefielen, als „entartet“ | |
| eingestuft worden waren oder einfach, weil ihre Lehrer in diese Kategorie | |
| gepackt wurden, am Kunstmarkt keine Chance mehr hatten. Bis 1945 sowieso | |
| nicht, aber auch in den Jahren der demokratischen Aufbrüche der | |
| Bundesrepublik und Österreichs kriegten sie alle keinen Fuß mehr in die | |
| Türen. Sie waren allesamt Teil einer, so nennt es Sammler Böhme, „lost | |
| generation“ (in Anlehnung an eine Formulierung Hannah Arendts), einer | |
| „verlorenen Generation“, Künstlerinnen*, ausgegrenzt, übersehen und | |
| (buchstäblich auf dem Markt) unwert. | |
| Eine Renaissance erlebten sie, etwa die aktuell in der Ausstellung „Beyond | |
| Beckmann“ gezeigten Schülerinnen und Schüler des berühmten [2][Max | |
| Beckmann] am Frankfurter Städel, nicht. Dafür, bittere Pointe, dominierten | |
| auch auf der vorgeblich auf Modernität und Demokratie abonnierten | |
| [3][„Documenta“] frühere NS-Kunstwärter und Gatekeeper. Diese vermochten … | |
| sogar, einen [4][Maler wie Emil Nolde, glühender Nationalsozialist], aber | |
| als Zeugnisgeber gegen das NS-Verständnis von Kunst glaubwürdig, weil er zu | |
| den „entarteten Künstlern“ gezählt wurde, nach 1945 zu rehabilitieren. | |
| In diesem Salzburger Museum, so erzählt es Mäzen Böhme, geht es nicht um | |
| ästhetische Debatten, um Diskurse der Kunstproduktion selbst, sondern um | |
| das schiere Aus-dem-Vergessen-Holen. „Wir haben uns lange nicht gesehen“, | |
| steht an einer Wandtafel im Museum, das sei der Leitgedanke aller Mühe in | |
| diesem Haus. „Als einziges Kunstmuseum im deutschsprachigen Raum“ wird zu | |
| diesen vergessenen Malern und Malerinnen (abschätzig als „Malweiber“ einst | |
| tituliert) geforscht, eine vorzügliche Website klärt zu allen jeweils | |
| detailliert auf, ihre Werke ausgestellt, im Übrigen sehr smart sie alle | |
| gehängt, nichts drängt, nichts wirkt zu solitär – und es gilt das | |
| sammlerische Credo, dass dem Vergessen etwas entgegengesetzt werden sollte. | |
| ## Keine ästhetische Antifa, obwohl dem völkischen Gift fern | |
| Und dass es nicht um politische Schwarzweißwahrnehmungen geht. Die hier | |
| versammelten Künstlerinnen* eint, dass sie durch die Nationalsozialisten* | |
| um Laufbahnen und Chancen gebracht wurden, mehr oder weniger offen | |
| ignoriert wurden; sie waren dem Regime und seinen Kunstfunktionären | |
| unliebsam, aber viele versuchten natürlich trotzdem, über die Runden zu | |
| kommen, meist nur kärglich. Sie waren keine ästhetische Antifa, obwohl sie | |
| alle dem völkischen Gift fernstanden. | |
| Kurzum: In diesem Museum gibt es keine Prominenten, allenfalls könnten sie | |
| zu solchen werden, jetzt, durch dieses Haus. „Beyond Beckmann“ ist eine | |
| Ausstellung, die ebenso gut hätte im Frankfurter Städel arrangiert worden | |
| sein können, aber den Impuls zur Wiederentdeckung von Carla Brill, Heinrich | |
| Friedrich Steiauf, Marie-Louise von Motesiczky, Anna Krüger und vor allem | |
| Karl Tratt, dieser in ärmlichster Lebenslage 1937 an den Folgen einer | |
| Tuberkulose gestorben, den hatten eben Heinz R. Böhme und seine inzwischen | |
| zahlreicheren Freundinnen*. | |
| Man merkt all ihren ausgestellten Bildern eine Verhaftung in den | |
| künstlerischen Flows ihrer Zeit an – was auch sonst? Karl Tratts Gemälde, | |
| 1932 gefertigt, mit einer Straßenszene in Frankfurt mit Gepäckmann, geht | |
| einem nah, wenn man einerseits die Debatten in den Kulturszenen der | |
| damaligen Zeit um Entfremdung, die Moderne, die Einsamkeit des Einzelnen | |
| erinnert, andererseits in diesem – wie viele andere – hochbegabten Schüler | |
| Beckmanns die Ängste erkennt vor dem, was die nahe nationalsozialistische | |
| Zukunft ihm bescheren würde. Er war, wie alle anderen in dieser Malklasse, | |
| eben nicht auf agitatorische Kunst geeicht worden, er verstand sich nicht | |
| politisch direkt intervenierend. | |
| Trotzdem weiß man über ihn wie über die anderen vergessenen Maler und | |
| Malerinnen noch viel zu wenig, es ist den intensiven Recherchen dieses | |
| Museums zu danken, dass die Versäumnisgeschichte der angeblich auf die | |
| antinationalsozialistische Moderne gerichteten Kunstmühen der | |
| Bundesrepublik ein Stück weit erhellt wird. | |
| ## In Salzburg wird Niederträchtiges ausgekramt | |
| In Salzburg selbst wirkt dieses Haus – falsch: diese Museumsetage, wie ein | |
| nicht einmal unfreundliches Dementi auf die ganze mozarteische, dennoch | |
| sehr appetitliche Überkandideltheit, wo gerade die „Jedermann“-Bühne | |
| aufgebaut wird und Salzburger Nockerln serviert werden. Mit den Malern und | |
| Malerinnen, die in braunen Zeiten und auch danach keine Chance hatten, | |
| sitzt inmitten der Altstadt ein Topos, der Ungemütliches, Fieses, | |
| Niederträchtiges ausgekramt zeigt. [5][Museumsgründer Böhme lässt sich auf | |
| der Website] mit diesem Bekenntnis zitieren: „Es geht mir vor allem darum, | |
| zu erreichen, dass die Form des damaligen Umgangs der Menschen miteinander | |
| keine Wiederholung findet. Wenn Zeitzeugen nicht mehr sprechen und ihre | |
| Erlebnisse nicht mehr weitergegeben werden können, braucht es eine Brücke | |
| zur Gegenwart und in die Zukunft.“ | |
| Eine Stiftung sichert dem Museum eine Zukunft auch nach dem Leben des | |
| Mäzens selbst, der, wie es heißt, besonders gern nachts am Computer sitzt | |
| und weiter forscht, was sich zu den „Verlorenen“ noch herausfinden lässt. | |
| Könnte sein, dass erinnerungspolitisch das alles nicht mehr zeitgemäß ist, | |
| ein Edelstein im Salzburger Reigen der Sehenswürdigkeiten bleibt es. | |
| 3 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Katja-Petrowskaja-ueber-den-Ukrainekrieg/!5853993 | |
| [2] /Mit-Fehlern-behaftete-Kunstgeschichte/!5927800 | |
| [3] https://www.dhm.de/ausstellungen/archiv/2021/documenta-politik-und-kunst/?g… | |
| [4] /Emil-Noldes-NS-Vergangenheit/!5903284 | |
| [5] https://verlorene-generation.com/anliegenfreundeskreis/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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