# taz.de -- Kunst und Ideologie in der jungen BRD: Spätere Karriere inbegriffen | |
> In der Nachkriegszeit waren auch Künstler erfolgreich, die schon die | |
> Nazis hofiert hatten. Das Deutsche Historische Museum geht dem nun nach. | |
Bild: Enthüllung von Hermann Kaspars „Die Frau Musica“ in der Meistersinge… | |
Lässt man die gerade im Deutschen Historischen Museum in Berlin (DHM) | |
eröffnete Ausstellung zur „Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des | |
Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ auf sich wirken, so drängen sich | |
Fragen auf. 14 der in der Liste genannten Protagonisten der Kunst im | |
Nationalsozialismus galt eine Recherche zu ihrer künstlerischen Tätigkeit | |
in der Nachkriegszeit. Die Ergebnisse werden nun in Skulpturen, Gemälden, | |
Dokumenten sowie Fernsehinterviews vorgestellt. | |
Diese Erkundung des Kunsthistorikers und Kustos Wolfgang Brauneis ist | |
verdienstvoll, weil sie aussagekräftiges Material zusammenträgt, das jedoch | |
der weiteren wissenschaftlichen Einordnung bedürfte. | |
Zum Beispiel der bekannteste [1][Hofkünstler „des Führers“, der Bildhauer | |
Arno Breker:] Seit 1938 lehrte er als Kunstprofessor an der Berliner | |
Kunsthochschule und er war mit zahlreichen Werken während des Dritten | |
Reiches an der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ (GDK) im „Haus der | |
Deutschen Kunst“ in München beteiligt. Er modellierte 1939 einen Kopf | |
Richard Wagners, der auf der GDK von 1941 zu sehen war. | |
Der Beitrag Wagners zur „deutschen Kunst“ erhielt in diesen Jahren eine | |
überragende Bedeutung. Breker gab dem – im NS-Verständnis – geistigen | |
„Heroen“ eine für den Kunstgeschmack der NS-Elite ausdrucksstarke | |
symbolische Form. Der Kopf wurde 1955 neben der Villa Wahnfried in Bayreuth | |
aufgestellt, um dem Schöpfer des Festspielhauses auch am Ort ein Gesicht zu | |
geben. Aber vermittelt sich der politische Gehalt der Porträtskulptur von | |
1939 in seiner Formensprache noch heute? Wohl kaum, nicht nur weil die | |
meisten Passanten die Signatur des Werkes gar nicht lesen. | |
## Porträtaufträge in Bayreuth | |
In den siebziger Jahren erhielt Breker weitere Porträtaufträge für | |
Bayreuth, privat von Winifred Wagner, der Freundin Hitlers, und einen aus | |
öffentlichen Mitteln der Stadt finanziert, für einen Kopf Cosima Wagners, | |
der 1979 im Festspielpark aufgestellt wurde. Der Ausstellungskatalog | |
dokumentiert dieses Werk mit einer Fotografie, ohne dass die politischen | |
und kulturellen Zusammenhänge erläutert werden. An diesem Beispiel | |
erscheinen die Bezüge der Kultur dieser Jahrzehnte in ihrem inneren | |
Zusammenhang augenfällig. | |
In der Liste der „Gottbegnadeten“ steht Breker ganz oben. Sie entstand im | |
Kriegsjahr 1944, als die Verluste der deutschen Truppen sehr hoch wurden. | |
Ausgefertigt hat sie die Reichskulturkammer im Auftrag von Hitler und | |
Goebbels. Die unter den Rubriken Schrifttum, Bildende Kunst und Musik | |
Genannten galten in ihrer „göttlichen“ Begabung – eine seit der Antike | |
bekannte Chiffre des Künstlerruhms – als unersetzlich und wurden deshalb | |
vom Arbeits- und Kriegseinsatz freigestellt. | |
Diese Maßnahme zielte darauf, sie vor dem „Heldentod“ zu bewahren und ihnen | |
ungestört ihre „künstlerische Tätigkeit“ zu ermöglichen, weil dies für… | |
Kultur des deutschen Volkes wichtiger sei. | |
Auf dieser Liste wurden 114 arrivierte Bildhauer und Maler erfasst, | |
darunter Werner Peiner, Hermann Gradl, Hermann Kaspar, Paul Mathias Padua, | |
aber auch Wilhelm Gerstel, Paul Plontke oder [2][Georg Kolbe]. | |
## Einordnung als Mitläufer | |
Alle diese Künstler waren im Kunstbetrieb des Dritten Reichs bekannt, | |
jedoch mit unterschiedlicher politischer Relevanz. Von ihnen durchliefen | |
selbst die arrivierten Nazi-Künstler 1947/48 die vorgeschriebene | |
„Entnazifizierung“ durch die Spruchkammern, meist jedoch nur mit einer | |
Einordnung als Mitläufer mit geringer Geldstrafe. Nach dem Wegfall ihrer | |
Staatsaufträge 1945 konnten sich diese in der Nachkriegszeit auf das | |
vermögende Bürgertum und „Industriekreise“ als Käuferpublikum stützen. | |
Daher ist es außerordentlich informativ, in der Ausstellung auch kurze | |
Fernsehinterviews zu sehen, entstanden zwischen 1965 und 1981. In ihnen | |
wurden die exponierten Künstler wie Werner Peiner, Hermann Kaspar oder Arno | |
Breker vor allem zu ihrem Selbstverständnis um 1970 befragt, aber auch zu | |
ihrer Arbeit und ihrem Selbstverständnis während des Nationalsozialismus. | |
1974 gestaltete der Kunsthistoriker Georg Bussmann im Frankfurter | |
Kunstverein die erste Ausstellung zur NS-Kunst, in der auch zwei Gemälde | |
von propagandistischer Bedeutung des Malers Paul Mathias Padua hingen. Die | |
davon ausgelösten Emotionen bildeten den Anlass, diesen profilierten | |
NS-Künstlers in die Sendung „3 nach 9“ von Radio Bremen einzuladen. Im | |
Gespräch mit der Moderatorin Marianne Koch äußerte er sich über das | |
Zustandekommen der beiden Bilder. Vom Reichsrundfunk hatte er den Auftrag | |
erhalten, den damals mit der Produktion des „Volksempfängers“ erweiterten | |
Zugang zum Medium Rundfunk bildlich darzustellen. | |
## Propaganda am Volksempfänger | |
Das [3][Gemälde „Der Führer spricht“], das in unser Bildgedächtnis zur | |
Nazi-Kunst prominent eingegangen ist, zeigt seine Nachbarsfamilie, die für | |
70 Reichsmark einen Volksempfänger erworben hatte und die Rundfunkrede des | |
Diktators nun im Wohnzimmer gespannt mitverfolgte. An der Wand hing ein | |
Plakat, dessen Slogan zum Bildtitel wurde. Im zweiten Gemälde, mit der | |
Angriffsszene eines Sturmtrupps, gestaltete er ein Kriegserlebnis zu dem | |
heroischen Bild „10. Mai 1940“. Padua behauptete, er sei als Augenzeuge | |
dabei gewesen, ob als Soldat oder – was wahrscheinlicher ist – als | |
Kriegsmaler im „Westfeldzug“, blieb offen. | |
In den sechziger und siebziger Jahren lebte auch dieser Maler von | |
Porträtaufträgen sehr gut, so von Franz Josef Strauß, den Komponisten Boris | |
Blacher und Werner Egk, sowie weiteren Prominenten. Während dieses | |
Gesprächs sprach der kritische Rechtsanwalt Heinrich Hannover seine | |
gemischten Gefühle aus, weil es so einfach sei, diesem Maler vorzuhalten, | |
dass er im nationalsozialistischen Unrechtsstaat, trotz dessen | |
Massenverbrechen, „mitgemacht“ habe. Hannover wies empört darauf hin, dass | |
dagegen die zahlreichen Juristen, die Regimegegner zum Tode verurteilt | |
hatten, gerade weil diese sich dagegen gestellt hatten, weiter völlig | |
unbehelligt in ihren Berufen präsent seien und sich nur in wenigen | |
Einzelfällen rechtfertigen mussten. | |
Die Ausstellung versammelt Werke und Dokumente zum Weiterwirken der | |
„Künstler des Nationalsozialismus“, wie der Kurator dies unscharf nennt. | |
Dieser Begriff unterscheidet nicht zwischen den politisch im Sinne des | |
Nationalsozialismus Arbeitenden und denjenigen, die nach 1933 ihre | |
künstlerische Berufspraxis und Lehrtätigkeit fortführten, wie etwa der | |
bedeutende Bildhauer der Berliner Kunsthochschule Wilhelm Gerstel. | |
Gerstel schuf in seinem Umfeld einen kreativen Raum, in dem sich | |
künstlerische Begabungen wie [4][Fritz Cremer], Gustav Seitz oder Waldemar | |
Grzimek in den dreißiger Jahren entwickeln konnten, die in der | |
Nachkriegszeit für die künstlerische Kultur der antifaschistischen Linken | |
als Bildhauer mit ihren Werken hervortraten. Erst diese Unterscheidung | |
könnte vertiefte Einsichten in die Handlungsspielräume der | |
Künstlerindividuen eröffnen. | |
## Mythos Neuanfang | |
Kürzlich wurde mit der Parallelausstellung „[5][documenta. Politik und | |
Kunst“ im DHM] die Öffentlichkeit mit der Tatsache konfrontiert, dass die | |
Legende der Nachkriegszeit falsch ist, es habe auf Initiative der | |
„unbelasteten“ Organisatoren mit der ersten documenta von 1955 den | |
Neuanfang zu einer weltoffenen Kunst der Expression und Abstraktion | |
gegeben. Geschaffen wurde dieser Mythos als eine Wende zum „Guten“ | |
wesentlich in den fünfziger Jahren von Werner Haftmann, der gleichzeitig | |
die Kunst des Abbildes zur „Nichtkunst“ erklärte. Dies entsprach einem | |
Bedürfnis der Selbstentlastung durch Abwendung. | |
Die Entdeckung, dass auch Haftmann während des Dritten Reiches im | |
Kunstbetrieb gearbeitet hatte, Parteimitglied war, zudem als Soldat in | |
Italien in die sogenannte „Bandenbekämpfung“ verstrickt war, zertrümmerte | |
diesen Mythos. Ihm wurde die Folterung gefangener Kämpfer des italienischen | |
Widerstandes vorgeworfen. Die seit den fünfziger Jahren lange Zeit so klar | |
erscheinenden Fronten zwischen der angeblichen „Nichtkunst“ des Abbildes, | |
die pauschal als Nazi-Kunst diffamiert wurde, und der expressionistischen | |
Moderne sind ins Schwanken geraten. Hoffen wir auf eine selbstreflexive | |
Moderne. | |
31 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Ausstellung-ueber-artige-Kunst/!5368043 | |
[2] /Sammlung-im-Georg-Kolbe-Museum/!5739614 | |
[3] http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/paul-matthias-padua/der-f%C3%BChrer-spri… | |
[4] /Ausstellungsempfehlung-fuer-Berlin/!5708390 | |
[5] /Naziverstrickungen-der-fruehen-documenta/!5777263 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Ruppert | |
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