# taz.de -- Ausstellung über „artige“ Kunst: Was dem Führer gefiel | |
> Ein Museum in Bochum will wissen, wie die erwünschte Kunst im | |
> Nationalsozialismus aussah. Es kontextualisiert sie mit „entarteter“ | |
> Kunst. | |
Bild: Ein Ausschnitt von Alexej von Jawlenskys „Mädchenbildnis“ aus dem Ja… | |
Die Autobahn. Natürlich! Unweigerlich kommt der Besucher der Ausstellung | |
mit Nazi-Kunst in Bochum vor dem großformatigen Ölschinken des heute zu | |
Recht völlig unbekannten Malers mit dem klingenden Namen Carl Theodor | |
Protzen zum Stehen – und kann sich ein fieses Grinsen nicht verkneifen. | |
Denn die „Straßen des Führers“ sind ein einziges Nazi-Klischee: Winzig | |
kleine, in Demut für den Führer erstarrte, entindividualisierte | |
Arier-Männchen (obwohl ihr Haarschopf dafür etwas zu dunkel wirkt) mit | |
starken Oberkörpern arbeiten freudig vor der im warmen Sonnenlicht | |
leuchtenden, gigantischen Baustelle einer Talbrücke. Ein erhebendes | |
Sprüchlein ziert den breiten, vergoldeten Rahmen: „Rodet den Forst – | |
Sprengt den Fels – Überwindet das Tal – Zwinget die Ferne – Ziehet die B… | |
durch Deutsches Land“. | |
Trotz der unfreiwilligen Komik, die viele der ausgestellten Werke für den | |
heutigen Kunstbetrachter ausstrahlen, sind die Kuratoren der Schau „Artige | |
Kunst“ im schmucken Museum unter Tage auf Nummer sicher gegangen: Ein | |
Aufkleber mit der Aufschrift „Artig!“ klebt neben jedem der rund ein | |
Dutzend Nazi-Kunstwerke. Alle werden flankiert, kontextualisiert – und | |
deshalb hängen neben, zwischen und gegenüber diesen Bildern auch Werke der | |
von den Nazis geschmähten Kunst der klassischen Moderne wie Otto Dix oder | |
Paul Klee. | |
Das Motiv des Ausstellungsplakats kann exemplarisch für diese Form des | |
pädagogischen Kuratierens stehen: Sepp Happs Wehrmachtssoldat aus dem | |
Gemälde „Über allem aber steht unsere Infanterie“ (Öl auf Leinwand, ein … | |
zwei Meter) blickt mit stahlhartem Ausdruck nach rechts in Richtung | |
Zukunft. Ihm entgegen schaut von links zwar schüchtern, aber sichtlich | |
empört das zarte „Mädchenbildnis“ des russisch-deutschen Malers Alexej von | |
Jawlensky, der 1933 mit Ausstellungsverbot belegt wurde. | |
## Das Unkritische vereint | |
Der Name der Bochumer Schau, die später nach Rostock und Regensburg wandern | |
wird, ist bewusst polemisch gewählt. „Artige Kunst“ bezieht sich auf den | |
Begriff „entartete Kunst“, unter den die Nationalsozialisten unerwünschte | |
Kunstrichtungen und Werke subsumierten, die dann verboten, verkauft oder | |
zerstört wurden, während man ihre Künstler mit Arbeitsverboten belegte, | |
wenn man sie nicht gleich des Landes verwies oder wegsperrte. | |
Zum anderen beschreibt der Titel einen Erkenntnisgewinn, den die | |
Ausstellung liefert: „Auch wenn sich durch die Hetze gegen die sogenannte | |
‚entartete‘ Kunst abzeichnete, was unerwünscht war, gab es auf der anderen | |
Seite keine formalen, stilistischen oder thematischen Vorgaben für die | |
geduldete Kunst“, schreibt Kuratorin Silke von Berswordt-Wallrabe im | |
äußerst lesens- und sehenswerten Ausstellungskatalog. Was die Werke eint, | |
ist einzig und allein ihre „Artigkeit“ – dass sie kein kritisches | |
Gesellschaftsbild lieferten, sondern den politischen Führern gefielen. | |
Silke von Berswordt-Wallrabe und ihr Mann Alexander sind Initiatoren, | |
Leiter und Förderer der Stiftung Situation Kunst, die den deutschlandweit | |
einzigartigen Museumskomplex im Bochumer Schlosspark Weitmar betreibt. Die | |
ersten Gebäude der Situation Kunst wurden 1990 im Gedenken an den zwei | |
Jahre zuvor verstorbenen Gründungsprofessor des Kunstgeschichtlichen | |
Instituts der Ruhr-Universität Bochum, Max Imdahl, errichtet und | |
beherbergen eine ständige Ausstellung zeitgenössischer Kunst mit Werken von | |
Richard Serra, Arnulf Rainer oder David Rabinowitch. | |
Der 2010 in der Schlossruine errichtete Kubus und das unterirdische Museum | |
unter Tage – beide konzipiert von Herbert Pfeiffer und ausgeführt von | |
Vervoorts & Schindler Architekten – sind architektonische Perlen und | |
vervollständigen das Museum, das neben den Besuchern, die viele Teile bei | |
freiem Eintritt begehen können, vor allem den Kunststudierenden der | |
Ruhr-Universität dienen soll. Sie haben hier Anschauungsmaterial, | |
Seminarräume und üben sich in kuratorischer Praxis. | |
## Ein Ausdruck von Unbehagen | |
In der aktuellen Ausstellung können sie lernen, wie ein Unbehagen Ausdruck | |
an der Museumswand findet. „Ich hatte Scheu und Schiss vor dieser | |
Ausstellung“, gestand Jan-Uwe Neumann von der kooperierenden Kunsthalle | |
Rostock bei der Eröffnung ein. Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, ob | |
man den Werken der regimetreuen Künstler aus der Nazizeit Beachtung | |
schenken, sie einer kritischen Betrachtung zugänglich machen soll. Kritiker | |
stellen sehr berechtigt die Frage, ob es sich bei den oft banalen oder | |
kitschigen Werken, die im Kontext der Kunst ihrer Zeit einen Rückschritt | |
darstellten, überhaupt um Kunst handelt. Auch steht die Befürchtung im | |
Raum, die Werke könnten noch heute ihre propagandistische Wirkung | |
entfalten. | |
So betritt der informierte Besucher die Schau ebenfalls mit einem Unbehagen | |
– das gleich befeuert wird: Das erste Bild, das ihm begegnet, ist Sgt. | |
Harry Oakes Fotografie eines offenen Massengrabs bei der Befreiung des | |
Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Es zeigt, was die Gemälde der „artigen“ | |
Künstler ausblenden: die perfekt organisierte Abscheulichkeit eines | |
mörderischen Regimes. | |
Oft sind die von den Nazis goutierten Kunstwerke gar nicht offen | |
propagandistisch: „Pflügen“ von Paul Junghanns oder „Bauernmahl“ von | |
Hermann Otto Hoyer zeigen ländliche Idyllen, die die damalige Realität | |
einer immer brutaleren um sich greifenden Industrialisierung komplett | |
ausblenden. Ebenso „erwünscht“ waren Szenen aus der Mythologie wie Ivo | |
Saligers „Die Rast der Diana“ – makellose Körper in steriler, bruchlos | |
„schöner“ Landschaft. Die Darstellung makelloser Körper ins Gespenstische | |
getrieben hat Arno Breker in seinen Skulpturen. Sie bilden menschliche | |
Gestalten, denen jede Individualität genommen ist – gleichgeschaltet, | |
gestählt, normiert. | |
Weil Breker auch nach dem Krieg weiter angesehen war, hoch dotierte | |
Aufträge erhielt und in den 1980er Jahren wieder ausgestellt wurde, | |
initiierte der Künstler Klaus Staeck die Aktion „Keine Nazi-Kunst in | |
unseren Museen“. Im spannenden Rahmenprogramm der Bochumer Ausstellung war | |
er als Diskutant zu Gast – ein Beweis für die Kritikfähigkeit der | |
Kuratoren, die vielleicht übervorsichtig vorgegangen sind, aber trotzdem | |
großen Mut bewiesen haben. | |
9 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Max Florian Kühlem | |
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