# taz.de -- Ausstellung „entarteter“ Gemälde in Halle: Konsequent kuratier… | |
> Das Museum Moritzburg rekonstruiert seine einstige Sammlung der Moderne. | |
> 40 für die Nazis „entartete“ Werke kommen dafür leihweise zurück. | |
Bild: „Die weiße Katze“ (1912) von Franz Marc ließen die Nazis damals in … | |
Im Frühjahr 1915 kommt Ernst Ludwig Kirchner als Rekrut zur Feld-Artillerie | |
nach Halle. „Wegen Lungenaffektion und Schwäche“ wird er bald beurlaubt. | |
Drei Lithografien auf gelbem Papier, datiert auf das Jahr 1915, zeugen von | |
seiner Zeit an der Saale: „Das Soldatenbad“, „Kalkofen bei Halle“ und �… | |
Zoo, Halle“. Bereits 1920 wurden sie vom [1][Kunstmuseum Moritzburg] | |
angekauft. | |
Bis 1933 galt das Museum als führend für die damalige zeitgenössische | |
Kunst. Vor allem Max Sauerlandt, von 1908 bis 1919 Direktor des Hauses, | |
kaufte die Kunst der Moderne. Max Liebermann, Max Beckmann, Lovis Corinth, | |
Emil Nolde, Wilhelm Lehmbruck. Am 8. Juli 1937 beschlagnahmte der von der | |
Reichskammer für bildende Künste beauftragte Maler Wolfgang Willrich 33 | |
Gemälde sowie 29 Aquarelle und Zeichnungen. 40 davon hingen elf Tage später | |
in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München und kamen nicht zurück. | |
Insgesamt wurden in diesem Sommer 147 Werke beschlagnahmt, darunter keine | |
Druckgrafik. [2][Kirchners „Soldatenbad“] blieb. Ein schwacher Trost, denn | |
der Kernbestand der Sammlung ging verloren. Nur 15 der Werke konnte das | |
Haus bis dato zurückerwerben. | |
Die Idee, die Sammlungsbestände vor 1937 noch einmal am historischen Ort | |
auszustellen, hatte Direktor Thomas Bauer-Friedrich schon seit seinem | |
Amtsantritt 2014. Vor zwei Jahren begannen er und sein Team, Leihgesuche an | |
private und öffentliche Sammlungen im In- und Ausland zu schicken. 40 Werke | |
kehren nun für die Ausstellung „Das Comeback – Bauhaus Meister Moderne“ | |
temporär zurück. | |
Erst im Laufe der Vorbereitungen hat das Team entschieden, den Fokus nicht | |
auf die 1937 beschlagnahmten Werke, sondern auf die Zeit zu legen, in der | |
sie für das Museum erworben wurden. Eine gute Entscheidung: 1.100 | |
Quadratmeter Dauerausstellungsfläche zur Kunst in Deutschland von 1900 bis | |
1945 wurden umgebaut und die Hängefläche verdoppelt, um die Leihgaben mit | |
300 nicht beschlagnahmten Arbeiten aus der Sammlung zu ergänzen. | |
Der Berliner Szenograf Hansjörg Hartung hat einen verwinkelten Gang aus | |
Stellwänden gebaut, der durchaus metaphorisch zu lesen ist: Er gibt im | |
Sinne des unwiderruflichen Fortlaufs der Zeit eine lineare Laufrichtung vor | |
und macht durch die vielen Ecken und schmale Durchbrüche deutlich, dass die | |
Zukunft zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar war. Zeitlich sortiert sich die | |
Präsentation nach den Ankaufsphasen der fünf Museumsdirektoren zwischen | |
1908 und 1939. | |
Werke, die 1937 beschlagnahmt wurden, hängen dadurch selbstverständlich | |
neben denen, die blieben. Nur dezente Signets kennzeichnen sie: Ein | |
umkreister schwarzer Balken soll an das Straßenschild „Durchfahrt verboten“ | |
im Sinne von „hier geht es nicht weiter“ erinnern. So uneindeutig dieses | |
Symbol, so konsequent die kuratorische Entscheidung, auf diese Weise die | |
Kunstwerke und ihren Weg in die Sammlung in den Fokus zu nehmen und nicht | |
kuratorisch zu reproduzieren, was die Nazis als ausstellungswürdig | |
beziehungsweise -unwürdig befanden. | |
Auch so manche Absurdität wird deutlich: Während „Die weiße Katze“ (1912) | |
von Franz Marc in Halle verblieb, wurden „Eber und Sau“ (1913) | |
beschlagnahmt und in München ausgestellt. Der Verbleib von Paul Klees | |
Aquarell „Ein Vorspiel zu Golgatha“ (1926) war dagegen bislang völlig | |
unbekannt – Bauer-Friedrich konnte es in Japan ausfindig machen. Solch | |
detektivisches Gespür und diplomatisches Geschick braucht es, um so ein | |
Projekt auf die Beine zu stellen. | |
## Hartnäckig anklopfen über Monate | |
Manche Leihgeber hätten sein Vorhaben sofort unterstützt, bei anderen habe | |
er über Monate hartnäckig anklopfen müssen. Zum Teil hat das Ministerium | |
unter Zustimmung des Bundes Rückgabegarantien aufgesetzt – zu groß die | |
Sorge mancher Leihgeber, das Museum könnte Besitzansprüche geltend machen, | |
für die es rechtlich keine Grundlage gibt. | |
Von [3][Emil Nolde], dessen ambivalente Position im Nationalsozialismus | |
jüngst in einer umfangreichen Ausstellung im Berliner Hamburger Bahnhof | |
aufgearbeitet wurde, ist hier die frühe Arbeit „Mulattin“ von 1913 zu sehen | |
– sie war seit 1937 bisher nur einmal außerhalb der USA verliehen. Für sein | |
„Abendmahl“ (1909) aus Kopenhagen ist es nach 2013 nun schon der zweite | |
Besuch in der Moritzburg. Jetzt hängt es im Ausstellungsabschnitt zur | |
Amtszeit von Museumsdirektor Max Sauerlandt. | |
Neben Sauerlandt, der die Ankäufe selbst dann noch als Schattendirektor | |
mitgestaltete, als er längst nicht mehr im Amt war, prägte Alois J. Schardt | |
das Haus: Unter ihm erfolgte 1931 der Ankauf des berühmten | |
Lyonel-Feininger-Zyklus der Halle-Ansichten. Sieben der zehn noch | |
existierenden Werke sind in der Ausstellung vereint, ergänzt um kleine | |
Abzüge, die Feininger wohl selbst bei Spaziergängen durch Halle | |
fotografiert hatte. Sein Atelier bezog er damals in der Moritzburg. | |
## Rekonstruktion auf Zeit | |
Alois J. Schardt war es auch, der 1927 mit zwei Aquarellen von Wassily | |
Kandinsky den ersten Bauhäusler für das Museum ankaufte. Eine Präsentation | |
mit internationalen Werken der Meister Kandinsky, Klee, Feininger, | |
Schlemmer und Muche und eine interaktive Kinderausstellung mit Experimenten | |
zum Bauhaus runden die Ausstellung ab – und rechtfertigen neben der | |
Tatsache, dass alle bis auf Muche auch in der hauseigenen Sammlung mit | |
Werken vertreten sind, das besucherzahlenziehende „Bauhaus“ im | |
Ausstellungstitel. | |
Es ist eine Rekonstruktion auf Zeit – nach drei Monaten müssen die Arbeiten | |
auf Papier wieder ins schützende Depot und die Leihgaben zurück. Ob einige | |
länger in Halle bleiben können, dazu führt Bauer-Friedrich derzeit | |
Gespräche. | |
Ein hervorragender Katalog setzt diesem Stück Kunstgeschichte ein analoges | |
Denkmal. Digital überdauern wird die Rekonstruktion eines anderen | |
Bauhaus-Mythos: 1927 nahm Walter Gropius am Architekturwettbewerb der Stadt | |
Halle teil. Ein Gebäudekomplex mit Konzert-und Kongresshalle, Sportforum | |
und einem neuen Museum für die Sammlung in der Moritzburg sollte entstehen. | |
Dank VR-Brille und einer Kooperation mit der Burg Giebichenstein | |
Kunsthochschule Halle ist das nie gebaute Museum nun begehbar. An den | |
virtuellen Wänden hängen auch die Werke, die nicht nach Halle geholt werden | |
konnten. Franz Marcs „Tierschicksale“ aus dem Kunstmuseum Basel etwa wurden | |
trotz Vermittlung auf höchster diplomatischer Ebene nicht ausgeliehen. | |
## Ziel, große Lücken zu schließen | |
Dem Kunstmuseum Moritzburg ist im Bauhaus-Jahr eine Ausstellung über 30 | |
Jahre Kunstgeschichte gelungen, deren regionale Bedeutung auch im Hinblick | |
auf 30 Jahre Mauerfall nicht zu unterschätzen ist. Denn die Rezeption der | |
Moderne war im Osten eine andere als im Westen: „Im Osten gab es eine | |
doppelte Ächtung der Moderne“, erklärt Thomas Bauer-Friedrich. „Bis in die | |
siebziger Jahre war der Expressionismus als Vorläufer des Faschismus | |
verschrien, und der Stolz auf das einstige Renommee des Hauses ist | |
weggebrochen.“ | |
Auch zu DDR-Zeiten habe das Haus noch weiter am Puls der Zeit angekauft, | |
doch in den 1990er Jahren den Anschluss ans Zeitgenössische verpasst: | |
„Seither sind wir Verwalter von Kulturgut geworden. Retrospektiv | |
ausgerichtet. Das finde ich fatal.“ | |
Sein Ziel ist es, in den kommenden Jahren Kunst aus den 1990ern und 2000ern | |
bis in die Gegenwart anzukaufen. Auch in der sehr guten Sammlung | |
zeitgenössischer Kunst aus der DDR gibt es Lücken, die er schließen möchte. | |
Die Frage, welche Positionen westdeutscher Kunst man ergänzend ankaufen | |
wolle, will er mit seinem sich in den kommenden Jahren noch weiter | |
verjüngenden Wissenschaftlerteam diskutieren. | |
29 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sarah Alberti | |
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