# taz.de -- Nolde-Biografin über schwierige Aufarbeitung: „Das Berufsverbot … | |
> Wie sehr Emil Nolde sich beim NS-Regime anbiederte, war lange kein Thema. | |
> Das änderte sich durch Kirsten Jünglings Biografie. | |
Bild: Emil und Ada Nolde auf der dänischen Insel Alsen, wo das Paar von 1903 b… | |
taz: Frau Jüngling, woher kamen Noldes Hitler-Begeisterung und sein | |
Antisemitismus? | |
Kirsten Jüngling: Sein problematisches Verhältnis Jüdinnen und Juden | |
gegenüber ist schon früh dokumentiert. In seiner Autobiografie erinnert er | |
sich an einen jüdischen Schuhverkäufer, der ihn in seiner Jugend durch | |
drastische Sprüche irritiert haben soll. Und in den 1890er-Jahren war er | |
mit dem jüdischen Juristen Max Wittner befreundet. Irgendwann ging die | |
Beziehung auseinander. Der Anlass zum Bruch, schrieb Nolde, war „eine | |
lächerliche kleine Sache, ich mag es nicht erzählen“. Und: „Die | |
Rassenverschiedenheit mag zur Trennung etwas beigetragen haben.“ | |
Er zerstritt sich auch mit seiner jüdischen Mäzenin Rosa Schapire. | |
Ja, sie war mit ihm und seiner Frau befreundet. Aber 1910 schrieb Ada | |
Nolde: „Schapire ist für uns erledigt.“ Auch das führte er auf das Fremde, | |
Jüdische Schapires zurück. Monate später gab es den Eklat mit Max | |
Liebermann, in dessen Folge man Nolde aus der Berliner „Secession“ | |
ausschloss. Liebermann verkörperte für Nolde alles, was ihm missfiel. | |
Was genau? | |
Liebermann war, so empfand es Nolde, schon durch seine Herkunft | |
privilegiert. Nolde dagegen hatte sich lange durchschlagen müssen, bevor er | |
mit seinen Gebirgspostkarten so viel Geld verdiente, dass er sich als | |
selbstständiger Künstler versuchen konnte. Liebermann als Jude – wie auch | |
der Galerist Paul Cassirer – gehörten zum Berliner Kunst-Establishment, wo | |
Nolde selbst hinwollte, um eine führende Rolle einzunehmen. Was ihm nie | |
gelang. | |
Er hätte die Aversion gegen Liebermann ja nicht antisemitisch begründen | |
müssen. Hat Nolde früh rassistische Ideologien aufgesogen? | |
Ich denke, dass diese Haltung von Anfang an latent vorhanden war; Nolde war | |
ja sehr „deutsch“ eingestellt, war gegen die Vermischung von Rassen. Aus | |
dem Gedankengut seiner Zeit hat er sich herausgepickt, was für ihn vor | |
diesem Hintergrund plausibel und auch förderlich war. | |
War er kein überzeugter Antisemit? | |
Er war nicht eindeutig. Einmal schrieb er: „Juden haben viel Intelligenz | |
und Geistigkeit, doch wenig Seele und wenig Schöpfergabe.“ Dann wieder: | |
„Das Nächste war, dass ich als wütiger Antisemit verschrieen wurde – was | |
ich nie gewesen bin.“ Auch sein Nationalismus war ambivalent. Zwar war er | |
glühender Deutscher, dennoch wurde er – infolge der Versailler Verträge – | |
1920 widerspruchslos Däne. Politisch kann man ihn genauso schwer fassen. Zu | |
den Reichstagswahlen 1928, an denen er als Däne nicht teilnehmen durfte, | |
schrieb er: „Ich hätte nicht gewusst, was ich wählen sollte, denn von den | |
Nationalen bis zu den Kommunisten hat jede Partei meine Zustimmung – und | |
zugleich Widerspruch.“ | |
Dabei war er schon 1934 in die Nationalsozialistische Arbeitsgemeinschaft | |
Nordschleswigs eingetreten, die 1935 mit der NSDAP gleichgeschaltet wurde. | |
Allerdings. Und er ist nie ausgetreten, im Gegenteil: Als er nach der | |
Beschlagnahmung vieler seiner Bilder den Reichspropagandaleiter Joseph | |
Goebbels um Herausgabe regelrecht anflehte, berief er sich in seinen | |
Briefen auf seine langjährige Parteizugehörigkeit. | |
Verkehrte Nolde in Hitler-nahen Kreisen? | |
Er hatte in München Kontakt zu Kreisen, die den Spitzen der | |
Nationalsozialisten nahestanden. Zum zehnten Jahrestag der | |
nationalsozialistischen „Bewegung“ 1933 wurde er vom SS-Reichsführer | |
Heinrich Himmler persönlich eingeladen. Dort traf er auch Hitler, der ihn | |
sehr beeindruckte. Außerdem war Nolde gut bekannt mit dem regimetreuen | |
Berliner Staatsrechtler Carl Schmitt. All diese Leute haben Nolde in der | |
Idee bestärkt, dass seine Bilder, die er „deutsch, stark, herb und innig“ | |
nannte, gut zur NS-Ideologie passen würden. | |
Auch Goebbels wollte Nolde zum „Staatskünstler“ machen. | |
Jedenfalls konnte er Noldes Bildern viel abgewinnen und war lange hin- und | |
hergerissen, ob man Nolde zum Maler der Bewegung machen könne. Sein | |
Gegenspieler Alfred Rosenberg, Chef des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, | |
lehnte Noldes Beitrittsgesuch allerdings ab. Das letzte Wort hat dann | |
Hitler gesprochen. Er wollte weder die Expressionisten noch Nolde. | |
Arm wurde Nolde trotzdem nicht. | |
Nein. Er hatte schon während der Weimarer Republik gut verdient, und so war | |
es auch während des Dritten Reichs. Er hatte feste Sammler und Galeristen | |
und vermarktete seine Bilder sehr geschickt: Um deren Wert zu steigern, | |
verknappte er das Angebot und tat so, als müsse er sich jedes einzelne aus | |
dem Herzen reißen. Andererseits lieferte er seinen Sammlern einen Bonus: | |
den persönlichen Kontakt zu Emil und Ada Nolde. | |
Aber hatte er nicht ab 1941 Berufs- und Malverbot? | |
Er hatte Berufsverbot und durfte nicht verkaufen – was er aber unterlief. | |
Malen dagegen konnte er. Allerdings waren Farben und Papier während des | |
Krieges rationiert, sodass ihm Freunde Farben besorgten und er seine | |
Formate klein hielt. | |
Hat Nolde je verstanden, warum ihn die Nazis ablehnten? | |
Nein. Es war für ihn ein Schock, dass so viele seiner Bilder beschlagnahmt | |
und 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ mehr von ihm gezeigt wurden | |
als von jedem anderen Künstler. Er glaubte, dass das Ganze ein | |
Riesen-Irrtum war. | |
Wenn er ein so überzeugter NS-Sympathisant war: Warum bereinigte er nach | |
1945 seine Autobiografie? | |
Er nahm vor allem intime Passagen und Beschreibungen seiner Mitschüler | |
heraus. Antijüdische Abschnitte blieben zunächst. Sie wurden dann durch die | |
Nolde-Stiftung entfernt, die 1956 das Erbe Emil und Ada Noldes antrat. | |
Welche Rolle spielte die Nolde-Stiftung beim Verschweigen von Noldes | |
Hitler-Sympathie? | |
Eine entscheidende. Ich habe im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv | |
Hannover einen Brief des damals sehr einflussreichen Kunsthistorikers | |
Werner Haftmann von 1963 gefunden. Darin steht, dass er in seinem Bildband | |
von 1958 auf Drängen der Nolde-Stiftung dessen NS-Vergangenheit verschwieg. | |
Warum drängte die Nolde-Stiftung darauf? | |
Das Geschäftsmodell Nolde hatte sich nach dem Krieg erstaunlich gut | |
angelassen. Anscheinend sehnten sich die Deutschen danach, jemanden zu | |
finden, der unter dem NS-Regime gelitten hatte und den sie verehren | |
konnten. Das hätte sofort aufgehört, wenn klar gewesen wäre, dass er | |
mindestens Sympathisant war. Denn die von Nolde in die Welt gesetzten | |
Schlagworte: „verschnürte Hände“, „ungemalte Bilder“ – das war alles | |
Legende. Die „ungemalten Bilder“ waren schlicht kleine Formate, wie er sie | |
schon vor Hitlers Machtantritt gemalt hat. | |
Hat Nolde nach 1945 je bereut oder sich zum Holocaust geäußert? | |
Nicht, dass ich wüsste. In Fragebögen listete er nach dem Krieg vielmehr | |
auf, was seine beschlagnahmten Bilder wert gewesen seien. Jahrelang | |
versuchte er, als Opfer des Nationalsozialismus entschädigt zu werden. Das | |
wurde abgelehnt mit der Begründung: Wer so früh in die Partei eintritt und | |
nie austritt, ist kein Opfer. | |
Und seit wann bekennt sich die Stiftung zu Noldes NS-Sympathien? | |
Der im September 2013 bestellte Stiftungsdirektor Christian Ring geht mit | |
dem Thema längst sehr offen um. Unter seinem Vorgänger Manfred Reuther | |
durfte ich für die Recherchen zu meiner Nolde-Biografie nicht einmal ins | |
Archiv der Stiftung. | |
Warum nicht? | |
Die Begründung war, Reuther schreibe selbst an einer Nolde-Biografie. Die | |
bisher nicht erschien. 2013 kam mein Buch heraus. Mir war aber von Anfang | |
an klar, dass ich es auch ohne das Stiftungsarchiv würde schreiben können. | |
Denn Hunderte Nolde-Briefe liegen etwa in Berlin, Hamburg, Hannover. Das | |
Konvolut mit der Entnazifizierungsakte und den Anträgen auf Entschädigung | |
als NS-Opfer liegt in Kiel. | |
War Ihr Buch die erste „vollständige“ Nolde-Biografie? | |
Ja. Die Geschichte seines Lebens mit seinen Schattenseiten hatte man so | |
noch nicht gelesen, weil es keine andere Nolde-Biografie gab, als die von | |
der Stiftung kompilierten Ausgaben auf Grundlage der autobiografischen | |
Schriften Noldes. | |
Wie reagierte die Stiftung auf Ihr Buch? | |
Auf Anfrage meines Verlages nach dem Verkauf des Buches in Seebüll im | |
Museumsladen hieß es erst einmal: „Dieses Buch kommt uns nicht ins Haus.“ | |
Und jetzt bin ich am 7. Juli zum 150. Geburtstag Noldes dort eingeladen. Da | |
hat sich viel getan. | |
Wie wirkt sich die neue Offenheit auf Noldes Marktwert aus? | |
Direkt nach Erscheinen meines Buches habe ich mich auf der Art Cologne | |
umgehört und Galeristen gefragt, ob sich die jüngsten Veröffentlichungen zu | |
Noldes politischer Vergangenheit auf die Kauflust auswirkten. Da wurde man | |
ungehalten. Dazu muss man wissen: Für expressionistische Bilder werden | |
enorme Summen gezahlt, nicht zuletzt sollen sie stabile Geldanlagen sein. | |
Da konnte man schon unruhig werden, wenn die Firma Nolde schwächelte. | |
Lesen Sie mehr über unseren Schwerpunkt Emil Nolde in der gedruckten taz.am | |
wochenende oder [1][hier] im E-Paper. | |
4 Aug 2017 | |
## LINKS | |
[1] /!114771/ | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Emil Nolde | |
Provenienz | |
Entartete Kunst | |
Ausstellung | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Emil Nolde | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Emil Nolde | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Kunst | |
Hamburger Kunsthalle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung „entarteter“ Gemälde in Halle: Konsequent kuratierte Kunst | |
Das Museum Moritzburg rekonstruiert seine einstige Sammlung der Moderne. 40 | |
für die Nazis „entartete“ Werke kommen dafür leihweise zurück. | |
Emil Nolde war ein Antisemit: Ein modernistischer Nazi | |
Ein Nationalsozialist, dessen Kunst als „entartet“ galt: Eine Ausstellung | |
in Berlin belegt die Wandlungen in der Deutung des Malers Emil Nolde. | |
Zusammenarbeit in der Kunst: Kurzlebige Nord-Süd-Achse | |
1906 wurde Emil Nolde Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“. Für wen sich | |
was lohnte, zeigt nun die Kieler Kunsthalle. | |
Verbrechen des Nationalsozialismus: Wo man gestorben wurde | |
Im Nachkriegsdrama „Ich werde nicht schweigen“ kommt eine Frau zu Unrecht | |
in eine „Heil- und Pflegeanstalt“ – und kämpft um Rehabilitierung. | |
150 Jahre Emil Nolde: Der Missverstandene | |
Er ist der deutscheste Expressionist, wollte NS-Staatskünstler werden und | |
verkaufte sich in der jungen Bonner Republik blendend als frei von Schuld | |
Nordische Kunst zur NS-Zeit: Hitler in stabiler Seitenlage | |
Kernige Halligbauern, norddeutsche Landschaften und Schäferhunde: Eine | |
Ausstellung untersucht die Politik des Flensburger Museumsbergs rund um die | |
NS-Zeit | |
Verschollene Kunst: Segen für den Ausverkauf | |
Hermann Göring hortete Kunst, darunter auch Werke, die als „entartet“ | |
bezeichnet wurden. Wie die Kirche half, verfemte Werke zu veräußern. | |
Emil-Nolde-Ausstellung in Hamburg: Nazi, von Nazis verfolgt | |
Einst verbrachte Emil Nolde einige Wochen in Hamburg und tauchte hier in | |
das Hafenleben ein. Die Hamburger Kunsthalle betrachtet nun die lokale | |
Rezeptionsgeschichte. |