# taz.de -- Emil-Nolde-Ausstellung in Hamburg: Nazi, von Nazis verfolgt | |
> Einst verbrachte Emil Nolde einige Wochen in Hamburg und tauchte hier in | |
> das Hafenleben ein. Die Hamburger Kunsthalle betrachtet nun die lokale | |
> Rezeptionsgeschichte. | |
Bild: „Hamburg ist für mein Auge so reich an Schönheit“, sagte Nolde - un… | |
HAMBURG taz | Aufgelöst in Stimmungen sind die Hafen-Bilder Emil Noldes in | |
der Ausstellung der Hamburger Kunsthalle. Meist topographisch gar nicht | |
zuzuordnen, zeigen sie manchmal statt Wasser ein Farbenmeer. Die | |
Blickrichtung ist stadtauswärts, ohne freundliche Veduten bekannter | |
Gebäude. Hauptthema der Ausstellung „Nolde in Hamburg“ ist sein hiesiger | |
Aufenthalt 1910. Er verbrachte damals anlässlich einer selbstgehängten | |
Galerie-Ausstellung einige Wochen in Petersens Hafen-Pension am Vorsetzen | |
und tauchte voll in das Hafenleben ein. | |
Er radierte im schwankenden Boot und tuschte die Rauchspuren der kleinen | |
Hafendampfer mit dem Pinsel in fast asiatischen Kürzeln. „Hamburg ist für | |
mein Auge so reich an Schönheit“ schrieb Emil Nolde schon 1907. Allerdings | |
wollte er mit dieser gern zitierten Begeisterungsäußerung auch einen | |
Auftrag an Land ziehen. | |
Wo der heutige Blick vielleicht nostalgisch die Vielfalt der | |
Bildvariationen genießt, galt das Interesse Noldes eher der Symbiose von | |
Wasser und Technik. Mit avantgardistischem Schönheitsbegriff schätzte er | |
die Dynamik eines damals hochmodernen Hafens und die Spuren der Arbeit – | |
wenn auch ohne Verweis auf die Arbeiter, von denen es damals allein an | |
Tagelöhnern etwa 20.000 gab. | |
In Hafenansichten und Schiffschiffren, den Wolken des Dampfs und den Linien | |
des Wassers können die Besucher in vier Räumen schwelgen, in der zweiten | |
Hälfte der Ausstellung dominieren Vitrinen mit Dokumenten. Denn hier soll | |
das scheinbar so bekannte Werk des bis heute vor allem bei den | |
Privatsammlern für seine starkfarbigen Garten- und Blumenbilder beliebten | |
Künstlers durch die lokale Rezeptionsgeschichte aktiviert werden. Und die | |
kennt erstaunliche Höhen und Tiefen, wundersame Vorlieben und schroffe | |
Abneigung – quer durch das Werk. | |
Der Künstler, Mitglied der legendäre Künstlergemeinschaft „Brücke“, der | |
„Berliner Secession“ und später der abgespaltenen „Neuen Secession“, h… | |
eigentlich Hans Emil Hansen. Er wurde 1867 im Dorf Nolde im damals | |
deutschen Nordschleswig geboren – die Gegend wurde nach der Volksabstimmung | |
1920 wieder dänisch. Der deutsche Expressionist Nolde, der seiner | |
Heimatregion mit verschiedenen Wohnsitzen bis hin zum eigenen Haus in | |
Seebüll immer treu blieb, war dänischer Staatsbürger. | |
Kunsthallengründungsdirektor Lichtwark konnte mit Noldes Arbeiten wenig | |
anfangen. Außerdem hinderte ihn seine Freundschaft zu Max Liebermann, sich | |
stärker für Nolde einzusetzen. Denn die beiden standen sich in der Berliner | |
Kulturpolitik als Gegner gegenüber. Vor allem Privatleute förderten Nolde, | |
Hamburg wurde zum Zentrum der Durchsetzung des zwischen seiner ländlichen | |
Heimat und Berlin pendelnden Künstlers. Der Jurist, Landgerichtsdirektor | |
und Sammler Gustav Schiefler und die Kunsthistorikerin, Kritikerin und | |
Kunstvermittlerin Rosa Schapire warben immer wieder für Nolde. In der | |
„Commeter‘schen Kunsthandlung“ stellte Nolde zwischen 1908 und 33 | |
dreizehnmal aus – ein Rekord für einen nicht aus Hamburg stammenden | |
Künstler. | |
Am erstaunlichsten ist, was während der NS-Zeit geschah. Während im | |
preußischen Altona die Nolde-Bilder nicht mehr gezeigt werden dürfen, | |
richtete der neue, die Moderne durchaus schätzende Kunsthallen-Leiter | |
Harald Busch, der gleichwohl schon seit 1931 Parteimitglied war, dem | |
Künstler, der selbst Mitglied in der dänischen „Nationalsozialistischen | |
Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig“ war, in der Kunsthalle 1934 einen ganzen | |
eigenen Raum ein. | |
Für kurze Zeit glaubten manche, der Expressionismus könne die neue | |
NS-Staatskunst werden, so wie der Futurismus das bei den italienischen | |
Faschisten geworden war. Busch konnte sogar andere Parteigrößen zeitweilig | |
von der Großartigkeit dieser „so ganz bodenständig norddeutschen Malerei“ | |
überzeugen. Gleichzeitig hielt er die expressiv figürlichen, religiösen | |
Bilder für unzumutbar. Und später machten auch ausdrücklich antisemitische | |
Äußerungen Nolde bei den Vertretern der neuen, totalitär einseitigen | |
Kunstpolitik nicht beliebter. Das sympathisierende, ja faszinierte, auf | |
jeden Fall sehr anpasserische Verhalten Noldes in der NS-Zeit wird in der | |
Stiftung in Seebüll zur Zeit ausführlich aufgearbeitet und soll dort 2017 | |
Thema einer besonderen Ausstellung werden. | |
Der kulturelle Richtungsstreit in der NSDAP war 1937 beendet, die Kunst | |
wurde endgültig gleichgeschaltet. In der zentral gesteuerten Aktion gegen | |
die „entartete Kunst“ wurden deutschlandweit allein von Nolde 1.052 | |
Arbeiten beschlagnahmt. An dem Bild „Hülltoft Hof“ von 1932 wird Geschichte | |
exemplarisch: Auf ausdrücklichen Wunsch von Harald Busch wurde das | |
Ölgemälde des unter dräuend schwarzen Wolken aus dem Grün der Marsch rot | |
hervorleuchtenden einsamen Warftenhofs vom Hamburger | |
Lebensmittel-Industriellen Alfred Voss im November 1934 für die Kunsthalle | |
erworben. Beschlagnahmt und nach Norwegen verkauft, ging das Bild durch | |
verschiedene Sammlungen und wurde 2002 auf einer Berliner Auktion von den | |
Erben des einstigen Stifters erneut erworben und der Hamburger Kunsthalle | |
wiederum geschenkt. | |
Ein weiteres Mosaiksteinchen in der Rezeptionsgeschichte ist dann, dass | |
diese Ausstellung unter der Schirmherrschaft des kürzlich gestorbenen | |
Helmut Schmidt steht. Der hatte 1948 in einem Londoner Antiquariat seinen | |
ersten Nolde gekauft: Eine Radierung von einem Dampfer auf der Elbe. Später | |
im Kanzleramt hat er dann sein Amtszimmer als Nolde-Zimmer ausgestattet und | |
es offiziell so bezeichnet. Doch wie schon stets im Norden dominiert auch | |
bei diesem Engagement ein eher kühler, die exaltierten religiösen Szenen | |
meidender Enthusiasmus: Helmut Schmidt mochte, wie er im Grußwort schreibt, | |
vor allem die Hafenansichten und, es ist nicht schwer zu ahnen, die | |
Blumenbilder. | |
18 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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