# taz.de -- Expressionistische Lebenswege: Das kurze Glück des Künstlerpaares | |
> Mit der Ausstellung „Ein Künstlerpaar der Moderne“ würdigt das Kunsthaus | |
> Stade Dorothea Maetzel-Johannsen und Emil Maetzel und deren schwierige | |
> Lebenswege | |
Bild: Verschlungen: Dorothea Maetzel-Johannsens „Zwei weibliche Akte unter B�… | |
Es ist ihre erste gemeinsame Ausstellung: Am 1. August 1914 zeigen sich | |
Emil Maetzel und Dorothea Maetzel-Johannsen im Hamburger Kunstsalon von | |
Maria Kunde einem breiteren Publikum. So könnte es nun weitergehen, für sie | |
einzeln und für sie als Paar, so wie in ihren Anfangsjahren nicht immer | |
gleich ersichtlich ist, welche Holzdruck und welcher Linoldruck von ihm ist | |
oder vielleicht von ihr. Und es ist wohl auch nicht sehr wichtig. | |
Doch der 1. August 1914 ist auch der Tag, an dem der Erste Weltkrieg | |
beginn,t und gleich einen Tag später muss er einrücken. Und hat noch mal | |
Glück, denn er kommt nicht an die Front, er kommt nach Berlin, ist dort für | |
einen Schreibtischjob vorgesehen. Er wird die freie Zeit zwischendurch | |
nutzen und sich in der Hauptstadt umschauen – bei den wesensverwandten | |
Künstlern der Künstlervereinigungen die Secession, die Neue Secession und | |
dann die Freie Secession. Er ist regelmäßig in der Galerie Walden und in | |
der Sturm-Galerie zu Gast, besucht die Nationalgalerie, wo man schnell die | |
Bilder der französischen Maler abhängt, und das Völkerkundemuseum, wo er | |
für sich afrikanische Plastiken entdeckt. Die begeistern ihn so, dass | |
daraus eine Sammlung erwächst. | |
Der Zeichner, Drucker, dann Maler, später auch in sehr kleinem Umfang | |
Plastiker Emil Maetzel ist zuallererst Autodidakt. Früh hat er angefangen | |
zu zeichnen, studiert dann aber nicht Kunst, sondern wird auf Wunsch seines | |
Vaters Architekt. Er ist unter Fritz Schumacher tätig. Dass etwa der | |
Hamburger Hauptbahnhof so aussieht, wie er heute noch aussieht, ist im | |
Wesentlichen ihm zu verdanken. Zugleich hat er diesen Drang ins | |
Künstlerische. Er will mitmischen in der Avantgarde, die sich einem | |
schnörkellosen und kantigen Expressionismus verpflichtet fühlt, die alles | |
Manieriert-Ausgeschmückte ablehnt. Er will sich ausdrücken, fühlt sich | |
eingeengt durch den soliden Geldberuf, der ihm die Zeit stiehlt, frei zu | |
arbeiten, ihm aber zugleich Kontakte in die Hamburger Kulturszene beschert. | |
Dorothea Maetzel-Johannsen muss einen anderen Weg gehen, um ihre | |
künstlerischen Ambitionen langfristig in berufliche Bahnen zu lenken: Sie | |
geht 1903 an eine Zeichenschule, wo Lehrerinnen für den Kunstunterricht an | |
Schulen ausgebildet werden. „Man vergisst immer wieder, dass das damals für | |
Frauen die einzige Möglichkeit war, überhaupt eine Ausbildung in Malerei | |
und Zeichnen zu bekommen“, sagt Luisa Pauline Fink, Kuratorin der | |
Ausstellung „Ein Künstlerpaar der Moderne“ im Stader Kunsthaus: „In Hamb… | |
gab es die Kunstakademie überhaupt erst 1923; auch die Kunstschulen in | |
Berlin, in München und im künstlerisch damals wichtigen Dresden waren für | |
Frauen nicht oder nur eingeschränkt zugänglich.“ | |
Diese beiden also finden zusammen, heiraten im März 1910, vier Kinder | |
werden sie am Ende haben. Fink sagt: „Beide haben es mit der Kunst zugleich | |
sehr ernst genommen und standen miteinander in einem intensiven Austausch.“ | |
Das zeigen zwei nachdenkliche Porträts, zwei Holzschnitte: Sie hat ihn | |
dargestellt und er sie. Reduziert, eindrücklich, der Hintergrund eine | |
Fläche aus groben Strichen, alle Aufmerksamkeit soll sich ihrem jeweiligen | |
Ausdruck widmen. | |
Und dann im ersten Stock eine wie geschlossen wirkende Wand aus Bildern: | |
die Mutter mit Kind, der blinde Vater, der beweinte Jesus, nackte Paare, | |
mal einander zugewandt, mal einander entfremdet – jeweils auf das | |
Wesentliche konzentrierte Figurenkonstellationen. Mit diesen Arbeiten im | |
Gepäck überstehen sie die Kriegsjahre. Besonders nahegehend ist Dorothea | |
Maetzel-Johannsens Druck „Die Gefangenen“ von 1916: drei nackte Männer, die | |
gefesselten Hände schützend vor die Brust gehalten. | |
Später – weil weiter oben unter dem Dach des Kunsthauses – findet sich dann | |
ein kleines Kabinett, das anhand von Fotos und Dokumenten auf eigene Weise | |
vom erlösenden Aufbruch aus der Bedrückung der Kriegs- und Kaiserzeit | |
erzählt: Die Maetzels gehören nicht nur zu den Begründern der Hamburger | |
Sezession nach Berliner Vorbild, sie sind auch vorn beim Organisieren, | |
Ausrichten und dann auch Feiern der schnell legendären, zuweilen exzessiven | |
Künstlerfeste im Hamburger Curio-Haus, die Titel tragen wie „Die Dämmerung | |
der Zeitlosen“, „Die gelbe Posaune“ oder auch „Curioser Circus“. Ein … | |
– im Rückblick muss man sagen: – Strohfeuer der Hamburger Avantgarde der | |
1920er-Jahre. | |
Pauline Luise Fink weist darauf hin, dass unter den knapp über 30 | |
Gründungsmitgliedern der Hamburger Sezession acht Frauen waren, aber diese | |
selten Kinder hatten – so gesehen war Dorothea Maetzel-Johannsen eine | |
besondere Ausnahme. „Sie hat durchaus viel Unterstützung durch ihn | |
erfahren. Es gibt Beispiele, da war das nicht der Fall, da hörten die | |
Frauen einfach auf zu malen“, sagt Fink. | |
Und doch läuft damals die Zeit gegen Dorothea Maetzel-Johannsen, nicht | |
viele Jahre bleiben ihr, ihr Werk zu schaffen, sich künstlerisch | |
weiterzuentwickeln und sich auch von den strengen Formen und dann Formalien | |
des zuweilen kargen Expressionismus wieder zu befreien. Sie findet immer | |
mehr einen eigenen Stil, lockert die allzu symbiotischen Verbindungen zu | |
ihrem Mann. Bald hat sie ein eigenes Atelier, so wie er eines hat. | |
Sichtbar von der Lebensreformbewegung beeinflusst, entstehen nun | |
einträchtige Bildnisse von Frauen mit Kindern und sich umschlingende Paare | |
sowie liegende Akte vor der aufgehende Sonne. Sie findet danach zur Farbe, | |
sie lässt sich zunehmend von der weicheren, französischen Malerei | |
beeinflussen, erkundet das Genre der Landschaftsmalerei, reist 1925 nach | |
Paris. Da war er schon um 1900 gewesen. Es sind zugleich Jahre, in denen | |
sie immer wieder erkrankt, sich erholen muss und – kaum erholt – wieder um | |
ihre Gesundheit ringt. Im Februar 1930 stirbt sie mit gerade mal 44 | |
Lebensjahren. | |
Es gibt ein einzelnes Bild, das sich ohne große Anstrengung als eine | |
atmosphärische Schilderung und damit Vorahnung ihrer begrenzten Lebenszeit | |
betrachten lässt: Zwei gelb-fahle Bäume stehen im Innenhof eines | |
geschlossenen Ruinenensembles; kein Eingang ist zu sehen, kein Ausgang | |
führt hinaus. Gemalt hat sie das Bild „Ansicht in Visby“ 1929 während ein… | |
Aufenthaltes auf der schwedischen Insel Gotland. | |
Für Emil Maetzel ereignet sich sein Lebensbruch Anfang 1933. Er wird aus | |
dem Dienst entlassen – Aktstudien von Knaben werden ihm als Beweise einer | |
pädophilen Neigung ausgelegt, gewichtiger aber noch ist da seine | |
langjährige und nun verdächtige Leitungstätigkeit in der Hamburger | |
Sezession. Er schafft es anfangs noch, bei kleineren Ausstellungen dabei zu | |
sein, doch die Möglichkeiten werden weniger: Im Mai 1937, er ist 60 Jahre | |
alt, kann er noch einige Bilder in der Kunsthandlung von Hildebrandt | |
Gurlitt präsentieren, Wochen später werden in der Hamburger Kunsthalle im | |
Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ Druckgraphiken von ihm beschlagnahmt. | |
Er lebt da längst zurückgezogen in seinem Haus am Hamburger Stadtrand, von | |
hier aus unternimmt er kleine Reisen in die Norddeutsche Sphäre, er wird | |
vermutlich vorsichtige Kontakte zu vorsichtigen Gleichgesinnten gehalten | |
haben. Aus dieser Zeit gibt es kleinformatige Landschaftsbetrachtungen, an | |
denen man zunächst achtlos vorbei gehen könnte und die harmlose Titel | |
tragen wie „Landschaft mit Weg und einsamem Baum“ und „Bäume am Strand�… | |
Doch ist in diesen Bildern eine beeindruckende, weil tiefe Gefrorenheit | |
enthalten: Landschaftsmotive als innere Bilder. | |
Und: Nirgendwo auf diesen Bildern sind Menschen zu entdecken. Eklatant | |
seine Zeichnung „Segelschiffe“, die man als Stilübung abtun könnte, wenn | |
man nicht auf die Frage kommt, warum die auf das unbewegte Wasser wie | |
hingewürfelten Schiffe nicht einmal Segel haben, um eines Tages von dannen | |
fahren zu können. Gemalt ist es 1939. | |
28 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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