| # taz.de -- Thorsten Brinkmann in Stade: Spaß an der Kunst | |
| > Zum Schluss die vielleicht witzigste Ausstellung des Jahres: „Life is | |
| > funny, my deer“ behauptet Thorsten Brinkmann im Kunsthaus Stade. | |
| Bild: Sonderbares Stillleben: „Wannitdat“ (2009). | |
| Gibt es noch Spazierstöcke? So aus Holz? Kann man die noch kaufen? Oder | |
| gibt es sie nur noch gebraucht? „Walker“ heißt eine skulpturale Arbeit von | |
| Thorsten Brinkmann, dem sich das Stader Kunsthaus jetzt vom Erdgeschoss bis | |
| zum Dachgeschoss zur Verfügung gestellt hat. Wir sehen einen klassischen | |
| Spazierstock in einen Fuß gerammt, der ein Gipsabdruck des Fußes des | |
| Künstlers ist. Eine Klingel hat der Stock und jede Menge Plaketten von | |
| Orten, die dieser Spazierstock gesehen haben muss. Er muss also weit | |
| herumgekommen sein, dieser Fuß. Dank des Stockes oder trotz des Stockes. | |
| Der sich eines Tages in Kunst verwandelt hat. | |
| ## Gefundenes Material | |
| Brinkmann schafft seine Werke aus Gefundenem, aus Gesammeltem, das er | |
| hortet, das er eines Tages gebrauchen wird – er muss irgendwo ein riesiges | |
| Materiallager haben: voll mit Bewahrtem, mit Eimern und Schüsseln, mit | |
| Vasen, Stühlen und Möbeln und Matratzen und jeder Menge Haushaltsutensilien | |
| und was wir sonst noch so alles in unserem Alltag benutzen, manches | |
| jahrzehntelang. Weniger findet der Künstler sein Material, als dass sich | |
| das Material seinen Künstler sucht, lautet ein Credo von ihm. | |
| Aber Achtung: Es geht hier nicht um Trash! Es geht nicht um eine | |
| Materialschlacht, bei der der Ausstellungsraum im Vorgezeigten ertrinkt, | |
| wie man es manchmal bei Kunststudenten erlebt, die aus dem berechtigten | |
| Interesse heraus, sich gegen die Hinführung zum auf dem allein auf einem | |
| Sockel zu stehenden, wahren Kunstwerk zu erwehren, in die Vollen greifen. | |
| Alles ist schlicht – Material. Er als Thorsten Brinkmann würde doch nie | |
| solches Zeug sammeln, aber sein Job als Künstler sehe das eben so vor, so | |
| hat er sich mal in einem Künstlergespräch geäußert. Von daher sollte man | |
| auch sehr vorsichtig sein, den Einsatz seiner Materialien als Kritik an | |
| unserer angeblichen oder tatsächlichen Überflussgesellschaft zu verstehen. | |
| Es geht um Kunst – um nichts anderes. | |
| ## Witz und Präzision | |
| Wie es dazu kam, erzählt seine vielleicht wichtigste Arbeit „So viel wie | |
| möglich auf einmal tragen“, die entsprechend zentral im ersten Stock hängt: | |
| Wir schauen auf das Foto eines Mannes, dessen Kopf in einem Eimer steckt, | |
| so dass wir uns kein Bild von seinem Gesicht machen können. Und dieser Mann | |
| hat schwer zu schleppen: zwei Kaffeemaschinen hält er, einen | |
| Begrenzungspfosten, ein Bündel Jalousien, eine Decke, ein Kissen, die | |
| Trommel einer Waschmaschine, alles eng an seinen Körper gepackt. | |
| In dieser Arbeit ist vieles von dem enthalten, was Brinkmanns Kosmos | |
| ausmacht: Witz und höchste Präzision; Unbekümmertheit und Kontrolle über | |
| das Material; Spontanität, aus der Dauerhaftes entsteht. Und nicht nur | |
| diesem Foto merkt man an, dass es weit mehr ist als das bloße Dokument | |
| eines wichtigen Moments, den man eben festhalten und so bewahren wollte. | |
| Das Bild ist vielmehr das Bild, auf das es ankommt und das deshalb bleibt. | |
| Und auch bei der Produktion dieser und anderer Arbeit beharrt er | |
| vordergründig auf dem Prinzip des Einfachen: Es wird keine komplizierte | |
| Lichtanlage aufgebaut, kein Blitz wird eingesetzt, keine digitale | |
| Nachbearbeitung erfolgt – es agiert allein das pure Tageslicht. So bewahrt | |
| er sich nicht zuletzt die Souveränität des Künstlers, der eben für seine | |
| Arbeit keine Techniker und kein Team braucht, der ganz für sich loslegen | |
| und Überlegtes realisieren kann, ein wirklicher Solo-Selbstständiger also. | |
| Brinkmann hat in Hamburg zunächst Fotografie studiert, dürfte entsprechend | |
| anwendungsorientiert aufgelegt gewesen sein, bis er danach in der Klasse | |
| von Bernhard Blume und dann in der von Franz Erhard Walther landete. Und | |
| hier lernte er Schritt für Schritt, den Körper, der zufällig seiner war, im | |
| Kontext skulpturaler Erkundungen anzuwenden und einzusetzen. | |
| ## Unwichtiges Individuum | |
| Er selbst als individuelle Person ist entsprechend unwichtig. Und wenn es | |
| eine biografische Spur zu seiner Themenwelt geben mag, in die Sphären des | |
| Sammelns, des Aufbewahrens, des Umarbeitens, womöglich irgendetwas | |
| Frühkindliches, dann bleibt das privat und außen vor. | |
| Wobei ihn das Außen und damit die Wirkung durchaus interessieren: Wenn er | |
| bekennt, dass er das Unterhaltsame an seiner Arbeit so schätzt, weil er | |
| noch viele Jahre arbeiten möchte, dann ist dies auch als Auftrag an den | |
| Kunstbetrachter gedacht, sich mal zu fragen, wie unterhaltsam es denn um | |
| dessen Lebensglück bestellt ist. | |
| Bei aller Stringenz, bei allen kunsthistorischen Referenzen mal an die | |
| Minimal Art wie in seiner Serie „Das Prinzip Sockel“, mal an die höfische | |
| Porträtmalerei wie in „Portraits of a Serialsammler“, ist sein Werk | |
| zugleich von zuweilen hinreißender Komik! So geht man nun am besten in den | |
| zweiten Stock, wo Brinkmann aus zusammengesuchten Stühlen ein kleines | |
| Kinokabinett eingerichtet hat, das in der Absicht sehr engagiert wirkt, | |
| aber in der Ausführung (ab)sichtlich ein wenig unbeholfen ist. | |
| Zwei Filme sind zu sehen: „Se King“, eine vor der einsamen Kamera | |
| absolvierte Performance, wo der Künstler als Königsmacher um die richtige, | |
| repräsentativ mächtige Haltung auf einem Stuhl ringt, sich setzt, sich | |
| stellt, sich in Pose wirft und nie zufrieden ist und so zeigt, dass im | |
| Nichtgelingen eben das Gelingen steckt. | |
| ## Scharren und Schnarren | |
| Und die zweite Sause: „Skrillo“, wunderbare neun Minuten lang. Brinkmann | |
| hat dafür einen alten Strohschirm auseinander genommen, sich daraus eine | |
| Art körperumfassendes Kostüm gebaut und zwei Gegenstände hinzugenommen, die | |
| ähnlich wichtig für die Kulturgeschichte sind wie Spazierstöcke: | |
| Teppichklopfer. Und eine Figur, in der Thorsten Brinkmann gewissermaßen | |
| beruflich steckt, steht vor uns als leicht flimmerndes Bild, plustert sich | |
| auf, streckt sich und regt sich, schlägt mit den Flügeln um sich und hat | |
| womögliches Großes vor, das sich gleich ereignen wird. Und vielleicht hebt | |
| die Vogelfigur tatsächlich in der nächsten Minute ab, vielleicht aber fällt | |
| auch alles mit Getöse um, während scharrende und schnarrende Geräusche | |
| ertönen, die bestimmt etwas bedeuten, nur was? | |
| Das zu sehen, macht großen Spaß, so wie einen seine Totemfiguren | |
| „Pimmeltony“ und „Paradiesvögler“ und seine wandfüllende Serie | |
| „Objektbeziehung“, wo sich Haut und Muskeln an Objekten wie Stuhllehnen | |
| oder Polstern reiben, auch verwirren. Und am Ende hängt da mit „Holey Blue“ | |
| eine tragbare, sattblaue Massagebank ausgeklappt an der Wand und man möchte | |
| gar nicht wissen, wer schon alles seinen Kopf in das ausgefranste Loch am | |
| Kopfende gelegt hat und hofft, dass man es nicht selbst gewesen ist. | |
| So geht man auf sonderbare Weise bald sehr beglückt durch das Kunsthaus, | |
| grinst in sich hinein und hat mehr als eine Ahnung davon bekommen, dass | |
| Kunst mit Humor gepaart und Humor geerdet durch Kunst sich doch ganz | |
| wunderbar nicht nur ergänzen, sondern zuweilen bedingen und so eine lustige | |
| Ausstellung kurz vor Jahresende, also: Das ist schon sehr klasse. | |
| „Life is funny, my deer“: bis 4. Februar 2018, Kunsthaus Stade. | |
| [1][www.museen-stade.de] | |
| 15 Dec 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.museen-stade.de | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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| zeitgenössische Kunst | |
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