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# taz.de -- Théodore Strawinsky im Kunsthaus Stade: Gemalte Menschen auf der B…
> Unbekannter Sohn eines berühmten Vaters: Im Kunsthaus Stade sind die
> rätselhaften Bilder von Théodore Strawinsky zu sehen – erstmals in
> Deutschland.
Bild: Inszenierung eines Waschtages auf einer Theaterbühne: „Die Wäsche“ …
So sah er aus? Jedenfalls hat er sich so gesehen, zumindest aber gemalt:
als jungen Mann, das Gesicht sehr weich, flächig. Ein leicht spöttischer
Blick ist zu sehen, der uns nicht trifft, nur kurz streift. Dazu passend
ragt ein Eckchen leerer Leinwand ins Bild. Das Selbstporträt des Théodore
Strawinsky, entstanden 1925, hängt nun im Aufgang zum ersten Stock des
winkeligen, insgesamt dreistöckigen Kunsthauses im niedersächsischen Stade;
jener Kreisstadt, die mal größer war als das benachbarte Hamburg, aber das
ist lange her.
## So seltsam wie lohnenswert
Théodore Strawinsky also, Sohn von Igor Strawinsky, dem Komponisten, dem
weltberühmten. Geboren im März 1907 in St. Petersburg, gestorben 1989 in
Genf, beerdigt auf dem Russischen Friedhof bei Paris, konvertierte in der
Mitte seines Lebens vom russisch-orthodoxen Glauben zum
römisch-katholischen. Als „Kunstmaler“ bezeichnet ihn das
Online-Nachschlagekonsortium Wikipedia.Kunstmaler, das klingt nach
Kunstfertigkeit, unbestritten, nach solidem Handwerk, aber nicht nach
irgendwelchem ästhetisch-intellektuellen Aufbegehren. Anders gesagt:
Kunstmaler klingt despektierlich, und das nicht nur ein bisschen.
Strawinskys Bilder sind so seltsam wie lohnenswert. Man steht erst mal
irritiert vor den insgesamt 90 Gemälden, Skizzen und Zeichnungen und weiß
nicht recht, wie man diesen Künstler einordnen soll: ein weiterer
Mitspieler der – inzwischen „klassisch“ genannten – Moderne oder doch e…
bisher unentdecktes, eigenständiges Außenseitertum? Zu sehen war seine
Kunst in Deutschland noch nie, dafür in Frankreich und der Schweiz – nicht
zuletzt dank der Appenzeller Kulturstiftung des Sammlers und Unternehmers
Heinrich Gebert. Nun soll es hinaus gehen in die Welt, und Stade ist da die
erste Station.
In Théodore Strawinskys Lebenslauf spiegelt sich kein mühsam nach
Anerkennung ringender Künstler wider, sondern erst mal ein Kindes aus
sogenannten allerbesten Verhältnissen: Die Winter verbrachte Familie
Strawinsky standesgemäß in den Schweizer Bergen, die Sommer auf dem eigenen
Landgut nahe der heute westukrainischen Stadt Ustiluh, seinerzeit im
russischen Zarenreich gelegen, irgendwann auch mal polnisch. Das Switchen
zwischen Ost und West, zwischen mondäner Ausgeh- und Abendkultur und
bäuerlicher Kulisse endet, als 1914 der Erste Weltkrieg aus- und vier Jahre
später die russische Revolution aufbricht. Denn bei aller kulturellen
Sympathie fürs Folkloristisch-Bäuerliche gehörten die Strawinskys
entschieden zum soliden Großbürgertum. Absehbar, dass sie in der
Sowjetunion keine Zukunft haben würden.
So blieben sie zunächst in der Schweiz, gingen später nach Frankreich, wo
ihnen Coco Chanel bei Paris eine Villa zur Verfügung stellte. Théodore
wuchs mit drei Geschwistern auf, frühe Kinderzeichnungen offenbaren
bereits, dass die Musik-, Konzert- und Ballettwelten seines Vaters so
gegenwärtig wie prägend waren. Überhaupt wird der Sohn ihm immer wieder
zuarbeiten, ihn persönlich wie künstlerisch begleiten: Théodore widmete
seinem berühmten Vater später nicht nur einen opulenten Fotoband mit
allerlei Familienbildern, mehr noch kreiste sein zunächst zeichnerisches,
dann malerisches Werk lange Zeit um konkrete Musiktheaterprojekte aus Igor
Strawinskys beruflichem Umfeld, bis er mehr und mehr begann, künstlerisch
ganz eigene Wege zu gehen.
Das alles ist in der Stader Ausstellung umfangreich dokumentiert. Ein
Stockwerk etwa widmet sich ausschließlich Théodore Strawinskys vielfältigen
Kostüm- und Bühnenentwürfen, die ihn ab den frühen 1930er-Jahren bis in die
späten 1950er-Jahre sehr beschäftigten. Der eigentliche Clou, die
eigentliche Überraschung sind aber diese eigenwilligen Porträts: Zeigt sich
in dieser ganz bestimmten Art und Weise vielleicht eine von Anfang an
inhalierte Sicht, die Welt als eine Bühne zu sehen – mit Vorhang, der sich
hebt und senkt, einem Orchester im Orchestergraben, und Auftretenden von
links und rechts? Aber immer auch: mit einem Publikum, wie es da sitzt und
schaut?
Und so kommen nun wir ins Spiel, als Betrachter. Als Schauende. Als
Beobachter, die beobachtet werden und die sich darüber klarwerden müssen,
das sie auf etwas schauen, das nicht einfach ist, sondern dargestellt wird.
Als diejenigen auch, die mit dem Abstand der Jahrzehnte nun auf Strawinskys
Bilder schauen und – wenn alles gut geht – von ihnen seltsam ergriffen
werden, ohne so ganz zu verstehen, wie das funktioniert.
## Entrückt und somnambul
Das gilt etwa für das schlicht atemberaubende Porträt „Die Frau mit
Zitronen“ von 1938: Eine Frau, die mitten auf der Straße steht, drei
Zitronen in der einen Hand hält und eine Zitrone in der anderen, während am
oberen Bildrand zwei Pferde sich bereit halten, die möglicherweise ein
Fahrwerk ziehen könnten oder es ziehen werden – so entrückt, so somnambul
ist selten gemalt worden. Sieht die Porträtierte durch uns hindurch? Wo ist
sie überhaupt, und was sieht sie dort? Und warum wirkt es noch heute so
eindringlich, so unausweichlich, wo doch nirgendwo mehr Pferde stehen, zu
zweit, etwas zu ziehen, das ein Wagen sein könnte?
Einmal auf diese Spur gebracht, geht man noch mal ganz anders gestimmt
durch die Ausstellung, schaut die Wäscherinnen-Szene im Bild „Die Wäsche“
(1932), wo einem nun auffällt, dass da eben keine seinerzeit alltägliche
Wäscheboden-Szenerie dargeboten wird. Nein, es ist Inszenierung, es ist die
Aufführung eines Waschtages auf einer Theaterbühne, die zum Trocknen
aufgehängten Wäschestücke sind Bühnenstoffe, so wie die in sich versunkenen
Wäscherinnen Ballettschuhe tragen.
Oder „Die Familie“ von 1940: Vater, Mutter und Kind, die je für sich so
eigenständig wie voneinander getrennt in die Welt schauen – ist das nun gut
oder nicht? Die „Figuren am Flussufer“: Menschen machen Rast an einem Ufer,
dahinter dräut wie aufgemalt sich verdunkelnd der Himmel – wer weiß, woher
sie gekommen sind und was sie erlebt haben. Am Ende weiß man dann etwas:
Dieser Théodore Strawinsky, dieser warum auch immer übersehene Maler: Mit
dem wird sich die weitere Beschäftigung lohnen.
„Théodore Strawinsky – Lied der Stille“: bis 28. August, Kunsthaus Stade
16 Aug 2016
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Kunst
Ausstellung
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