# taz.de -- 150 Jahre Emil Nolde: Der Missverstandene | |
> Er ist der deutscheste Expressionist, wollte NS-Staatskünstler werden und | |
> verkaufte sich in der jungen Bonner Republik blendend als frei von Schuld | |
Bild: Noldes ehemaliges Wohn- und Atelierhaus im nordfriesischen Seebüll, heut… | |
Vor allem die Farbenglut macht den bekanntesten expressionistische Maler | |
zum Publikumsliebling. Doch zum 150. Geburtstag Emil Noldes lohnt sich ein | |
Blick über die allen Ausstellungen hohe Besucherzahlen sichernde | |
Bewunderung hinaus. Dieser deutscheste aller Expressionisten war | |
jahrzehntelang dänischer Staatsbürger – ist aber in Dänemark keineswegs | |
besonders bekannt. Auch hieß der 1867 im nordschleswigschen Örtchen Nolde | |
geborene Künstler eigentlich Hans Emil Hansen – erst mit 35 Jahren benannte | |
er sich 1902 nach seinem Geburtsort um. Da war der Maler der unter drohend | |
tiefliegenden Wolken strahlenden norddeutschen Küstenlandschaft bereits | |
berühmt geworden – mit Farbzeichnungen der Schweizer Alpen als sagenhafte | |
Personifikationen, die er seit 1897 als Postkarten vertreiben ließ. Seine | |
zweite Hochzeitsreise ging 1946 mit 80 Jahren dann wieder in die Schweiz. | |
Fast eine Generation älter als die anderen, trat Nolde 1906 der | |
Künstlergemeinschaft „Brücke“ bei, blieb aber nur für ein einziges Jahr. | |
Ebenso kurz war er 1909/10 Mitglied der Berliner „Secession“. Jahre später | |
sollte er den Brücke-Kollegen Max Pechstein fälschlich als Juden | |
denunzieren. Noldes fast 90 Jahre dauerndes Leben mag das eines Malgenies | |
sein, es zeigt aber auch die schwierige Biografie eines Deutschen unter | |
sechs verschiedenen Staatssystemen – von Preußen bis zur Bonner Republik. | |
Nolde wurde von Hitler 1937 als der „entartetste“ aller „entarteten“ | |
Künstler bezeichnet und war zugleich Mitglied der NSDAP und verdiente gut. | |
So merkwürdig die Vita dieses eigenbrötlerischen Künstlers auch ist: In den | |
acht Ausstellungen des Jubiläumsprojekts „Nolde im Norden“ (siehe Kasten) | |
geht es von Tondern bis Wolfsburg, von Seebüll bis Ahrenshoop, in | |
Flensburg, Kiel und Lübeck vor allem um seine inzwischen klassisch | |
gewordene Kunst. | |
Dabei haben die Bilder selbst oft eine seltsame Geschichte. Nehmen wir den | |
„Hülltoft Hof“ in der Hamburger Kunsthalle: Unter dräuend schwarzen Wolken | |
leuchtet aus dem Grün der Marsch als roter Fleck ein einsamer Warftenhof | |
hervor. Für die Kunsthalle erworben wurde das die reizarme Gegend | |
dramatisierende Ölbild auf Wunsch des von den Nazis neu eingesetzten | |
Kunsthallenleiters Harald Busch für einen 1934 eigens eingerichteten | |
Nolde-Raum; das Geld für den Kauf kam vom Hamburger | |
Lebensmittel-Industriellen Alfred Voss. Denn Busch wollte alle von der | |
Großartigkeit dieser auch von Goebbels und Göring geschätzten, „so ganz | |
bodenständig norddeutschen Malerei“ überzeugen – für kurze Zeit glaubten | |
manche, der Expressionismus könne die neue NS-Staatskunst werden, so wie | |
der Futurismus für die italienischen Faschisten. Doch mit der Aktion | |
„Entarte Kunst“ wurden die Vorstellungen von Alfred Rosenberg und dem sich | |
selbst als Künstler verstehenden Adolf Hitler verbindlich. Wie | |
deutschlandweit weitere 1.051 Nolde-Arbeiten wurde der „Hülltoft Hof“ 1937 | |
beschlagnahmt und verkauft, 2002 konnte er auf einer Berliner Auktion von | |
den Erben des einstigen Stifters erneut erworben werden – und wiederum der | |
Hamburger Kunsthalle geschenkt. | |
Emil Nolde war in den Jahren der Kämpfe um die „nordische“ Kunst und das | |
eigene Lebenswerk bereits an die 70 Jahre alt. Geboren ein Jahr, nachdem | |
Preußen die Grenzen bis fast nach Kolding ausgedehnt hatte, wurde der | |
Bürger des deutschen Kaiserreichs nach der Volksabstimmung 1920 plötzlich | |
Däne. Vielleicht auch ein Grund für den Glauben an „großdeutsche“ Ideen, | |
als er 1934 der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig | |
(später NSDAP-N) beitrat. Anbiederung, Denunziationen, antisemitische | |
Äußerungen – anstelle all dessen zählte nach 1945 nur noch Noldes Ablehnung | |
durch die offizielle Kunstpolitik. Dass der Künstler unter dem Regime nicht | |
geworden war, was er so gern gewesen wäre, adelte nun die Kunst als | |
widerständig und modern, stellte sie an die Spitze einer legendären | |
deutschen Malereitradition von der Expression zur Abstraktion. Und das auch | |
noch, als die zeitgenössische Kunst längst andere Prioritäten gefunden | |
hatte. Statt in die Reichskanzlei kamen Noldes Bilder nun ins | |
Bundeskanzleramt: Der Hamburger Sozialdemokrat Helmut Schmidt richtete dort | |
einen „Nolde-Raum“ ein, und noch heute, bei Kanzlerin Merkel in Berlin, | |
zieren Noldes die Räume. Schmidt schrieb noch 2015: „Die NS-Begeisterung | |
Emil Noldes bleibt gegenüber seiner Kunst ganz unwichtig.“ | |
Diese Abspaltung hat Tradition: Werner Haftmann, der Kunsthistoriker, der | |
mit Arnold Bode 1955, 1959 und 1964 für die Linie der Documenta I bis III | |
verantwortlich war, zeigte auf allen drei Ausstellungen Arbeiten von Nolde. | |
Aber jeden Hinweis auf dessen NS-Gedankengut wurde verschwiegen, „da so | |
etwas ja nichts mit dem Maler zu tun“ habe. Der konservative | |
Kunsthistoriker und der SPD-Kanzler und einstige Oberleutnant der Wehrmacht | |
haben also ein Kunstverständnis gemein, das Bilder über ihren Kontext | |
stellt. | |
Sicher: Ein Bild ist mehr als der Beleg für die hinter ihm stehende | |
Geschichte – auch wenn die derzeitige Documenta 14 die Kunst vor allem dazu | |
nutzt. Meereswellen im Abendrot oder roter Klatschmohn sind Stimmungs- und | |
keine Gesinnungsbilder. Allerdings steckt in der subjektiven Heroisierung | |
der Natur stets auch Ideologie. 1910 suchte Nolde im Hamburger Hafen | |
tagelang die Farbstimmungen der Elbe zu erfassen oder die Rauchlinie hinter | |
dem Schornstein eines Dampfschleppers in diversen grafischen Techniken | |
einzufangen – für die Hafenarbeiter oder das soziale Umfeld hat er so gut | |
wie keinen Blick. | |
Dass die norddeutsche Küstenlandschaft mühsam geschaffen ist, dass auch | |
schönste Blumen verwelken, spielt bei ihm keine Rolle. Trotz der im 20. | |
Jahrhundert kaum problemfreien Weltlage ist sein Expressionismus nicht | |
diesseitig zerrissen, sondern erstaunlich romantisch und transzendent. Da | |
liegt die Schwermut eines langen Winters über dem Land, da findet sich im | |
Abendlicht die Sonne eines ganzen Lebens. Manche Bilder sind von | |
berauschender Farbglut und hinreißender Schönheit – aber oft ergibt sich | |
auch der Eindruck allzu gekonnter Methode, die alles einst Verstörende in | |
Farbfeuern neutralisiert: Die Seestücke, Blumen und Fische, sie wollen | |
eigentlich nichts mehr als strahlen und vielleicht zu hochwertig | |
reproduzierten Wandkalendern werden. An ihnen perlt jede Ideologie einfach | |
ab. Ihr einziger Inhalt scheint zu sein, um ihrer selbst willen geliebt zu | |
werden – vielleicht so, wie es der sein Außenseitertum pflegende Maler | |
heimlich auch für sich selbst erhoffte? | |
Alle die Schönheit der Natur störenden Furien wurden in den figürlichen | |
Bildern gebannt: Neben zahlreichen Grotesken – [1][derzeit in Bernried am | |
Starnberger See zu sehen], also denkbar weit weg von Seebüll – gibt es etwa | |
55 große Bilder mit religiöser Thematik; die neunteilige Arbeit „Das Leben | |
Christi“ von 1911/12 gilt als ein Hauptwerk. Zum Expressionismus, dem der | |
Ausdruck des Gefühls so wichtig war, passt das religiöse Empfinden gut. | |
Ohnehin war Nolde zeitweilig religiös ziemlich überspannt. Und seine erste | |
Frau Ada arbeitete zwar als Schauspielerin, entstammte aber als jüngste | |
Tochter von 12 Geschwistern einem alten Pastorengeschlecht. Im Auftrag | |
ihres Onkels, des Probstes Vilstrup, malte Nolde 1904 für die Kirche im | |
westjütländischen Ølstrup das Altarbild „Christus zu Emmaus“. Heute | |
geschätzte 1,3 Millionen Euro wert, wurde es 2014 gestohlen. | |
Das Problem einer Annäherung bleibt, dass es nicht nur einen Emil Nolde | |
gibt, sondern mehrere: Ein spätes Aquarell und ein frühes Porträt | |
entstammen zwar derselben Hand, aber auch völlig anderen Welten. Und neben | |
dem sommerlichen Leben im Norden und dem Aufbau des Gesamtkunstwerks im | |
einsamen Seebüll ab 1926 gab es jeweils für den Winter das Atelier in | |
Berlin. | |
Auch die acht laufenden oder kommenden Jubiläumsausstellungen bieten je | |
Anderes: Die kurze Phase des Austausches mit den Künstlern der Brücke, eine | |
Inbezugsetzung mit Henry Moore oder Leiko Ikemura, die Auseinandersetzung | |
mit der japanischen Kunst – oder die Sehnsucht nach den wilden, | |
vermeintlich zivilisationsfernen Paradiesen, die in den Bildern nachklang, | |
auch noch lange nach jener Reise 1913/1914 als Mitglied einer | |
„Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition“ über Moskau und | |
Sibirien, Korea, Japan und China bis in die Südsee. Die Erfolgsmarke des | |
Farbmagiers Nolde ist nur ein Teil des Werkes. Das Publikum ist gefordert, | |
neue Lieblingsbilder zu entdecken. | |
5 Aug 2017 | |
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[1] https://www.buchheimmuseum.de/aktuell/2017/nolde-die-grotesken.php | |
## AUTOREN | |
hajo schiff | |
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