# taz.de -- Kunsthistorikerin über Walter Leistikow: Kunst für ein großes Pu… | |
> Sabine Meister über den frühmodernen Maler, das Presseecho zu Zeiten | |
> Kaiser Wilhelms II. und die Berliner Secessionisten. | |
Bild: Abendstimmung am Schlachtensee 1895 von Walter Leistikow (Öl auf Leinwan… | |
Mit der Gründung der Berliner Secession endete 1899 in der Hauptstadt ein | |
Kunstmonopol. Nunmehr vertrat nicht nur der Verein Berliner Künstler (VBK) | |
die Belange der Künstlerschaft. Die enge Verzahnung mit der preußischen | |
Akademie und dem Ausstellungswesen löste sich auf. Der Maler Walter | |
Leistikow, bekannt für seine Seen- und Waldlandschaften, war treibende | |
Kraft der Abspaltung. 1892 gründete er mit der Vereinigung der XI den | |
Vorgänger der Sezession, 1899 trat er als Erster demonstrativ aus dem VBK | |
aus. Die Kunsthistorikern Sabine Meister hat ein Konvolut seiner Briefe | |
erschlossen und kommentiert. Ein Gespräch über die Privatperson Leistikow, | |
über einen Maler der frühen Moderne und über den Kunstpolitiker, der in | |
Kaiserdeutschland den Übergang von einer staatlich regulierten zu einer | |
Kunst der institutionellen Konkurrenzen mitgestaltete. | |
taz: Frau Meister, Sie haben zu unserem Gespräch die Kopie eines Briefes | |
von Leistikow mitgebracht, in krakeliger Kurrentschrift verfasst. | |
Sabine Meister: Es ist einer meiner Lieblingsbriefe – weil er so wild ist. | |
Leistikow war 1893 in Venedig mit dem befreundeten Ehepaar Huth. Die müssen | |
an dem Abend ziemlich gefeiert haben, vom Vino di Torino ist die Rede. | |
Leistikow beginnt den Brief und da grätscht ihm Marie Huth rein. | |
Leistikow räumt darin mit einem romantischen Venedig-Bild auf. Die Stadt | |
sei „ganz schön, aber so wässrig“. | |
Super Stelle. Zwei Tage vorher berichtet er seiner Mutter braver: „Es fällt | |
mir schwer hier Malerisches zu sehen.“ – Italien war nichts für ihn. Er | |
musste in den Norden, da war das Licht anders. Die Landschaftsmaler dieser | |
Zeit haben sich aufgeteilt: Die einen wollen in den Norden, die anderen in | |
den Süden. | |
Der Brief gehört zu einem Konvolut, das 2005 im Haus des Leistikow-Freundes | |
und Arztes Carl Beleites in Halle gefunden wurde. Alles zwischen 1889 und | |
1908 von Leistikow verfasst und ohne Antwortschreiben. Was erzählen uns die | |
Briefe 110 Jahre nach seinem Tod? | |
Sie zeigen die Gegensätze in seinem Leben. Da ist der kranke Mensch (er war | |
früh an Syphilis erkrankt, Anm. d. Red.), der Beleites um Ratschläge | |
bittet, ihm erzählt, wie der Mund schmerzt oder wo er mit Höllenstein | |
geschmiert hat. Und dann gibt es viele Briefe voller Esprit, an seine | |
Familie, Malerkollegen und Sammler. In den späteren Jahren schreibt er | |
immer offizieller. Da war er bereits tief in die Kunstpolitik eingestiegen. | |
Er bezieht Stellung, wehrt sich etwa gegen Deutschtümelei bei den Berliner | |
Jahresausstellungen. | |
Die Briefe zeugen von viel Arbeit, die eine Sezession bedeutete, aber auch | |
von einem freudvollen Aufbegehren gegen das Establishment. Ist hier die | |
Figur des Künstlermachers im Entstehen, der nach eigenen Regeln spielt? | |
Für jene Zeit ist eher der Künstlerkurator das Schlagwort. Das fing in | |
Paris in den 1870ern an, das große Vorbild für die Berliner Secessionisten. | |
Dort gewannen Künstler, vor allem die Impressionisten, eine Autonomie. | |
Leistikow und seine Kollegen distanzierten sich 1892 zunächst von den | |
Akademieausstellungen mit der Vereinigung der XI. Sie war die erste moderne | |
Künstlergruppe, die sich nach dem Ende die Sozialistengesetze und ihrem | |
Versammlungsverbot gegründet hat. Dabei orientierten sie sich an den | |
Brüsseler „Les XX“, weil die Gruppe ein fester Verband war, der sich | |
regelmäßig traf oder ausländische Künstler einlud. Ihnen ging es um eine | |
Förderung von Kollegen und Kunst. | |
Die Künstler wendeten sich gegen institutionelle Fehlentwicklungen in der | |
Akademie, jedoch nicht gegen eine konservative, Kaiser-konforme | |
Kunstrichtung? | |
Dieses Klischee geht durch die Literatur. Man meint immer, Künstler | |
organisierten sich, weil sie aufgrund ihrer modernen Haltung von der | |
Akademie refüsiert wurden. Die Grenzen sind nicht so klar. Viele Moderne | |
zeigten Bilder bei den akademischen Ausstellungen, Konservative stellten | |
bei den XI oder in der Berliner Secession aus. Die Künstler – man muss hier | |
leider hauptsächlich von Männern sprechen – wünschten sich eine | |
selbstbestimmte Vermittlung ihrer Arbeit, das war der Grund. Die | |
Akademieausstellungen in Berlin waren Großveranstaltungen: 2.000 Exponate, | |
bei Jubiläumsausstellungen auch mal 4.000. Drumherum ein Zirkus, Biergärten | |
– das war wie heute RTL! Die Bilder sind vierreihig gehängt worden, sie | |
waren nicht richtig zu sehen. Die Berliner Secession hatte nur eine | |
Ausstellungsfläche von 180 Quadratmetern, hier konnte die Kunst betrachtet | |
werden. | |
Leistikow bewegte sich in einem Zirkel aus Sammlern und Gönnern. Er ist bei | |
den Rothschilds und Israels zu Tisch, pflegt engen Kontakt zum gut | |
vernetzten Paris-Korrespondenten des „Berliner Tageblatts“, Theodor Wolff. | |
Bildet sich da in der selbst organisierten Künstlerschaft ein Elitismus | |
heraus, der bis heute das Geschäft mit der Kunst prägt: einflussreiche | |
Gesellschaftskreise, exklusive Veranstaltungen? | |
Der Begriff Elitismus greift nicht. Die Gruppe der XI wandte sich an ein | |
breites Publikum. 1892 eröffnete sie ihre erste Ausstellung in der Galerie | |
Eduard Schulte am Pariser Platz: Da konnte jeder rein! Sie verschickte auch | |
Einladungen an Personen, die sie sich als Käufer erhoffte. Ja, | |
Kundenbindung war wichtig. Das Entscheidende ist jedoch die Presse. Ich | |
habe allein für die erste Ausstellung der Vereinigung 50 Besprechungen | |
gezählt – und das sind bestimmt nicht alle. Da wurde eine Lawine | |
losgetreten. Von Elite kann man also nicht sprechen. À propos, der Begriff | |
kommt ja aus dem Militärischen: Kaiser Wilhelm II. hatte dem Militär | |
verboten, die Ausstellungen der Berliner Secession in Uniform zu besuchen. | |
Kunstkritik trug zur Etablierung der Künstlervereinigungen bei, | |
polarisierte sie damals nicht auch? | |
Kritik war sehr wichtig und fiel heftig aus. Zu Ludwig von Hofmanns | |
symbolistischer Malerei hieß es, er gehöre ins Irrenhaus. In einem | |
Leserbrief von 1894 forderte jemand, Künstler „einzusperren bei Wasser und | |
Brot“. Heute lässt sich an solchen Texten der Vorläufer der „Entartung“ | |
ablesen. Max Nordau führte den Begriff genau 1892 ein. | |
Leistikow wusste die Presse für sich zu lenken, wie der Skandal um den | |
„Grunewaldsee“ zeigt. Bis heute heißt es, das Bild habe Anlass zur Gründu… | |
der Berliner Secession gegeben. Aus Ihren Kommentaren setzt sich eine | |
andere Erzählung zusammen. | |
Der Fall zeigt, wie ein hartnäckiges Gerücht entstehen kann: Nach | |
Leistikows Tod 1908 schreibt Lovis Corinth über ihn eine Biografie und | |
begründet darin den Mythos, der „Grunewaldsee“ sei zurückgewiesen worden. | |
Im Frühjahr 1898 hatte Leistikow das Bild noch bei den XI ausgestellt. | |
Später, zu Beginn der Großen Berliner Kunstausstellung am Lehrter Bahnhof, | |
taucht die Meldung auf, das gleiche Gemälde sei refüsiert worden, ebenso | |
ein weiteres von Curt Herrmann. Während Herrmann bald vor die Presse tritt | |
und korrigiert, schweigt Leistikow. Er sagt nichts. Ich vermute, er hat es | |
gar nicht eingereicht. Kurz darauf schenkt der Sammler Richard Israel das | |
Gemälde der Nationalgalerie (Israel wird 1943 in Theresienstadt ermordet, | |
Anm. d. Red.). Theodor Wolff hat vermittelt. An Wolff schreibt Leistikow: | |
„Nun bin ich durch Sie in die Nationalgalerie hier lanciert worden.“ | |
Leistikow bewunderte Gerhart Hauptmann, der eine stille Hauptfigur in den | |
Briefen ist. Doch er lehnt den Auftrag ab, „Der Ketzer von Soana“ zu | |
illustrieren. Künstlerische Selbstzweifel? | |
Ich meine, er konnte sich gut selbst einschätzen. Leistikow hörte mit Mitte | |
Zwanzig auf, Menschen zu malen, entfernte sie sogar gezielt aus seinen | |
Landschaften. Aus einem Brief von 1893 erfährt man, wie er ein Porträt von | |
Carl Beleites übermalte, obwohl es Beleites gut gefiel. Er wusste, dass er | |
den Auftrag von Hauptmann nicht so gut erfüllen würde. | |
2 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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