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# taz.de -- Landschaftsmaler Karl Hagemeister: Der Wind malt immer mit
> Teiche, Wiesen, Ufer: Karl Hagemeisters Bilder kommen der Natur sehr nah.
> Das Potsdam Museum präsentiert den vergessenen Künstler.
Bild: Die Verzauberung kann beginnen: Karl Hagemeister, „Teich in der Mark“…
In Lebensgröße steht er vor einem, der Maler Karl Hagemeister, auf einer
vergrößerten Fotografie, entstanden um 1891/92. Im Wintermantel, mit Mütze,
in einer Hand die Palette, so präsentiert sich der Bärtige. Ein Korb mit
Pinseln steht zu seinen Füßen im Schnee und im Schnee steht auch die
mannshohe Leinwand, an eine Birke gelehnt. Fast übersieht man sie in der
Schwarz-Weiß-Fotografie, weil die Strukturen des Gemäldes denen des
dahinter sichtbaren Birkenwaldes entsprechen.
Hermann Hirzel, der Fotograf, war dem Maler in den verschneiten Wald
gefolgt und damit gewissermaßen in das Atelier dieses Landschaftsmalers,
der das Arbeiten unter freiem Himmel zur eigenen Kunst erhoben hatte.
Hirzels Aufnahme empfängt Besucher:innen in der Ausstellung „Karl
Hagemeister“ im Potsdam Museum.
Gleich daneben hängt Hagemeisters „Verschneiter Birkenwald an einem
Bachlauf“, eben jenes Motiv, das auf der Fotografie in Arbeit ist.
Spiegelglatt ist der Bach und dunkel, vielleicht sogar zugefroren. Der
Schnee auf den dünnen Ästen scheint fast modelliert, plastisch wird die
Farbe. Am Gestrüpp treiben ein paar grüne Blätter aus, darüber ist noch
braunes Laub.
Karl Hagemeister ist ein local artist, er hat nie die Bekanntheit seiner
Zeitgenossen erreicht wie etwa die Berliner Maler Max Liebermann und Walter
Leistikow und der französische Impressionist Claude Monet, dem ab 22.
Februar auch eine Ausstellung in Potsdam gilt, im Museum Barberini. Das
wechselnde Licht und die Atmosphäre der Luft zu malen, gelang beiden
außerordentlich gut, Monet und Hagemeister.
Die Ausstellung im Potsdam Museum entstand in Kooperation mit dem Georg
Schäfer Museum in Schweinfurt und dem Kunstmuseum Ahrenshoop. Sie wird
dahin weiterwandern. In Berlin besitzt das Bröhan-Museum viele
Hagemeister-Werke, weitere gehören dem Potsdam Museum. Beide Häuser
arbeiten daran, die ästhetischen Innovationen seiner Malweise zwischen
[1][Impressionismus und Expressionismus] herauszustellen.
## Ein fast physisches Erlebnis
Sein „Tauwetter an einem Bach“ (1883) lässt die klamme Kälte, die unter d…
Kleider kriecht, das schmatzende Geräusch der Schuhe im Matsch beinahe
physisch erleben. Dabei wird der Blick nur auf Schnee gelenkt, weil die
Sonne fehlt an dem nebligen Tag, und etwas winterbraune Vegetation. Der
Blickpunkt ist tief, nah über dem Boden. Hagemeister drängt nicht nach
Übersicht, sondern nach Berührung, und das unterscheidet ihn von vielen
Landschaftsmalern.
Sein Gegenüber ist immer die Landschaft, die Natur; nur einmal sieht man
auf einem frühen Bild Kinder beim Schlittschuhlaufen, eher ist ein
auffliegender Reiher der animalische Protagonist. Man taucht mit ihm in die
Uferzonen ein, als stünde man selbst mit Stiefeln im Wasser oder säße im
Kahn. Vermutet wird, dass er auch im Kahn sitzend gemalt hat. Sein „Teich
in der Mark“ von 1902 liegt so glatt und still vor einem, als könne man
gleich eintauchen. Der Himmel ist nur in der Reflexion des Wassers zu
erahnen, dunkelblau vorne und fast golden in der Mitte. Man ist eng
umschlungen von Schilf und überhängenden Ästen, fast wie bei einer
Kamerafahrt ins Dickicht. Die Verzauberung steht unmittelbar bevor.
Sein Lebenslauf ist ungewöhnlich für einen Künstler des 19., frühen 20.
Jahrhunderts. Karl Hagemeister (1848–1933) ist geboren und gestorben im
kleinen Ort Werder an der Havel. Von dort zog er sich in intensiven
Schaffensjahren (1880–1892) noch weiter zurück, nach Ferch,
„weltabgeschieden“ und „unbekannt“, wie er selbst schrieb.
Als er als alter Mann in sein Geburtshaus in Werder zurückgezogen war,
fasste er zusammen: „Aus dieser engen Stube heraus, aus diesem Fenster, an
dem ich als Kind oft gesessen, lockte es mich ins Freie. Ich bin Jäger, ich
bin Fischer, ich bin Maler.“ An anderer Stelle erzählte er: „Mit einem
kleinen Schlitten zog ich oft aus, gleichzeitig Jäger und Maler.“
## Energiegeladene Malbewegung
Diese Selbststilisierung, die auch etwas von freiwilliger Einschränkung
hat, und der betonte Rückzug nach Werder, erfolgten allerdings, nachdem
Hagemeister, oft zusammen mit seinem Freund, dem Maler Carl Schuch, mehr
als zehn Jahre lang auf Studienreisen gewesen war. Zwischen 1872 und 1884
hatte er München, Brüssel, Rotterdam, Rom, Venedig, Paris und weitere Orte
besucht, die Schule von Barbizon, die als erste der Freiluftmalerei
Anerkennung verschafften, und die Impressionisten studiert.
Als er sich zurückzog, war seine eigene Malweise sehr frei, dynamisch und
unabhängig von akademischen Maßstäben; er nutzte breite Pinsel, Spachtel,
aber auch Finger und Handballen, um Farbe in pastosen Placken aufzubringen,
die eine Seerosenblüte oder ein leuchtendes Blatt im Herbst reliefartig auf
die Leinwand setzen. Der Wind malte in seinen Bildern mit, oft löst sich
die Vegetation auf in den Bewegungsunschärfen. Von heute aus
zurückgeblickt, hat Hagemeister in manchen Bildern schon die gestische
Malerei des Informel vorweggenommen, die Spur der energiegeladenen
Malbewegung auf der Leinwand.
Die Kunstwelt zollte ihm Anerkennung, erst spät im Leben. Er war
Gründungsmitglied der Berliner Sezession, von deren Protagonisten Max
Liebermann, Lesser Ury, Max Slevogt und anderen die Ausstellung in Potsdam
zum Vergleich je eine Landschaft zeigt. 1911 kaufte die Nationalgalerie in
Berlin erstmals eine „Märkische Landschaft“ von Hagemeister, 1923 widmete
sie ihm eine Einzelausstellung zum 75. Geburtstag. Er wurde
Akademiemitglied und zum Ehrenprofessor ernannt.
Die damals etablierten Maler, etwa Max Liebermann, pilgerten zu ihm aufs
Land. Trotzdem lebte er eher vom Verkauf gefangener Fische als vom Verkauf
seiner Kunst.
## Rückzug als Konzept
[2][In Berlin ist zurzeit im Kolbe-Museum Herman de Vries ausgestellt,] ein
Land-Art-Künstler aus den Niederlanden, der sich vor 40 Jahren in ein Dorf
im fränkischen Steigerwald zurückgezogen hat. Für ihn ist der Wald bewusst
sein Atelier; er ordnet Artefakte wie Steine, Eichenwurzeln, Blätter, Erden
und Gräser in seinen formal reduzierten Installationen. Seine Lebensweise
selbst wird zu einer Form von naturverbundener Performance, wenn er
regionale Wanderkarten ausstellt und die Wege markiert, die er täglich
geht. Als Geste gewinnt die Beschränkung auf einen Ort symbolische
Bedeutung gerade in Zeiten, in denen erhöhte Mobilität der Umwelt schon
lange zugesetzt hat und über ihre Reduktion eine ethische Debatte geführt
wird.
Die Vorstellung, die eigene Lebensweise selbst zu einer Form von Kunst und
Performance zu machen, bestand so zu Hagemeisters Zeiten noch nicht. Doch
dass uns seine Selbstbeschränkung heute womöglich emotional berührt, liegt
an den Problemen der ressourcenverschleudernden Gegenwart.
In Hagemeisters Selbstbeschreibungen spürt man allerdings, wie viel ihm
daran lag, in seinem Gegenstand aufzugehen, mit ihm zu verschmelzen, seine
„Seele“ zu berühren. Immer wieder erzählt er, am Malort angekommen, diesen
erst in sich aufnehmen zu müssen, bevor er dann, möglichst in einem Zug,
die Landschaft auf die Leinwand brachte. Die Geschwindigkeit, in der er
malte, war Ergebnis einer vorherigen Kontemplation. Als ob der Wind selbst
ihm schließlich den Pinsel führe und heftiges Wetter nach schnellerem Malen
verlange, so schildert er das Entstehen seinen Bilder an der Ostsee, auf
Rügen, wo zwischen 1907 und 1915 sein Spätwerk entstand, großartige Bilder
von sich brechenden Wellen und sonst nichts.
Hagemeister ist für das Publikum noch zu entdecken. Dass auch die Forschung
mit ihm weiter zu tun hat, erfuhr das Karl Hagemeister Archiv &
Werkverzeichnis Berlin, als ihm Anfang 2018 von einem Urgroßneffen
Hagemeisters ein Konvolut überreicht wurde, das unter anderem fotografische
Glas-Platten enthielt. Einige der Aufnahmen, die nun auf Stoffbahnen
vergrößert gedruckt sind, erinnern schon durch die Perspektive verblüffend
an seine Bilder. Der Jäger schoss also auch mit der Kamera.
17 Feb 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Kunst
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Sabine Meister
Hamburg
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