# taz.de -- Der Maler Johann Erdmann Hummel: Der Glanz des Abbildes | |
> In der Alten Nationalgalerie in Berlin ist der Johann Erdmann Hummel | |
> wiederzuentdecken. Er war ein Virtuose der Spiegelungen. | |
Bild: Johann Erdmann Humme, „Die Granitschale im Berliner Lustgarten“, 1831… | |
Morgens im Badezimmer, in gläsernen Häuserfassaden, im Autofenster oder im | |
Fahrstuhl: Tagtäglich begegnen uns Spiegelungen. Ob gewollt oder nicht – es | |
ist fast unmöglich, dem eigenen Spiegelbild aus dem Weg zu gehen. Der | |
Spiegel spielt auch in der Kunst schon lange eine besondere Rolle. Seine | |
aufgeladene Bedeutungsmacht wird in den Gemälden des Künstlers Johann | |
Erdmann Hummel, den jetzt die [1][Alte Nationalgalerie] präsentiert, auf | |
magische Weise interessant. Warum nicht zur Abwechslung mal die | |
außergewöhnliche Präzision der sich spiegelnden Szenen des Malers | |
bewundern? | |
Schon in der Antike und im Mittelalter beschäftigten sich Künstler:innen | |
mit der Wichtigkeit des Spiegels in der Kunst. Damals wurde dieser jedoch | |
vor allem für die Produktion von Selbstbildnissen verwendet. Denn um sich | |
naturgetreu darstellen zu können, mussten Künstler:innen einen Spiegel | |
zu Hilfe nehmen. | |
Selbstporträts, wie wir sie heute kennen, setzten sich allerdings erst in | |
der Renaissance durch. Die Porträtmalerei schuf dabei im 16. Jahrhundert | |
nicht nur die Grundlage für eine neue Gattung, sondern thematisierte über | |
den Spiegel auch philosophische Fragen, von Wahrheit und Lüge, Schein und | |
Sein. Neben dem realen Abbild zeigt sich dem Betrachter im Spiegelbild | |
zugleich immer auch ein täuschendes Doppel. | |
## Überhöhung des Bildgedankens | |
Die Verbindung zwischen Malerei und Spiegel beruht auf einer langen | |
literarischen und künstlerischen Tradition. So schrieben bereits Leon | |
Battista Alberti und Leonardo da Vinci in ihren Malereitraktaten von der | |
großen Bedeutung des Spiegels. Eine spiegelnde Oberfläche im Gemälde, die | |
eine dreidimensionale Wirklichkeit wiedererschaffen kann, entspricht einer | |
Überhöhung des Bildgedankens über die bloße Gleichsetzung des Gemalten mit | |
seinem Spiegelbild hinaus. | |
Genau hier setzt auch Johann Erdmann Hummels Malerei an. Das Gemalte wird | |
in seinen Werken nicht mit der tatsächlichen Wirklichkeit gleichgesetzt, | |
denn durch die Abbildung von Spiegelbild und Perspektive entsteht nur die | |
Erscheinung einer Wirklichkeit, so wie sie uns optisch begegnet. | |
Der 1769 in Kassel geborene und 1852 in Berlin verstorbene Hummel ging bei | |
der Nutzung von Spiegelungen in seiner Malerei viel weiter als seine | |
Vorgänger:innen, im nächtlichen Dunkel eines Fensters, dem glänzenden | |
Wasser eines Sees oder [2][in der Granitschale des Berliner Lustgartens], | |
in einer seiner bekanntesten Arbeiten. Hummels Werke scheinen | |
fotorealistisch auf den ersten Blick. | |
Bei genauerem Hinsehen fällt die bemerkenswerte Feinheit auf, mit der sich | |
der Maler im frühen 19. Jahrhundert (!) auszeichnet. Der Kontrast zwischen | |
naturgetreuer Spiegelung und der im Gegensatz dazu malerisch wirkenden Welt | |
außen herum lädt zum Eintauchen und Träumen ein. | |
## Spiegelung in Bewegung | |
Das Magische der Spiegelungen in Hummels Bildern wird nicht durch den | |
bloßen Anblick des Selbst im Spiegel erzeugt. Denn der Spiegel als | |
tatsächliches Objekt bekommt selten einen Auftritt in seinen Gemälden, | |
anders als in einigen Selbstbildnissen der Frühen Neuzeit. Der Künstler | |
nutzt gezielt die glänzenden Oberflächen, die uns im Alltag begegnen, und | |
setzt die Spiegelung in Bewegung. | |
Besonders deutlich wird dies in „Das Schleifen der Granitschale“ von 1831, | |
wobei die Rundungen der Schale die Spiegelungen des durch die Fenster | |
eintretenden Lichts verfälschen oder verbiegen. Dennoch wirkt die | |
gespiegelte Abbildung der Fenster in der Politur des Granits wie eine | |
Fotografie, während die echten Fenster im Hintergrund ganz klar der Malerei | |
zuzuordnen sind. | |
Neben den Spiegelungen wird der „Perspektiven-Hummel“, so der Spitzname, | |
auch für seine pittoresken Perspektiven geachtet. Obwohl die Landschaften | |
und architektonischen Elemente in seinen Werken weniger fotografisch | |
erscheinen als die gespiegelten Darstellungen, sind sie perspektivisch | |
unbestreitbar akkurat. Nicht ohne Grund wurde der damals 40-Jährige | |
Professor an der Berliner Kunstakademie und gab sein ausgeprägtes | |
Verständnis für Optik, Winkel und Fluchtungen in der Malerei weiter. | |
Die von Birgit Verwiebe kuratierte Ausstellung unterteilt die rund 45 | |
Gemälde in vier thematische Kategorien. In weiteren fünf Kabinetträumen | |
werden 50 Zeichnungen des Malers gezeigt. Immer wieder gibt es auch hier | |
Begegnungen mit Spiegelungen. Der Künstler hat in den zahlreichen | |
Bleistiftzeichnungen, Aquarellen oder Gouachebildern auch Studien von | |
Spiegelung in tatsächlichen Spiegeln, von Licht und Menschen in | |
Glasscheiben oder von einem ganzen Spiegelsaal erstellt. | |
Die Texte zu den Werken geben kurze, aber prägnante Hintergrundinfos. Die | |
kalten Herbsttage draußen können zwischen Hummels Bildern dank Regenbögen | |
und Wasserfällen aufgehellt werden. Durch die Detailfreude des Künstlers | |
macht das lange Betrachten der Werke großen Spaß. | |
Der Leiter der Alten Nationalgalerie, Ralph Gleis, sieht Johann Erdmann | |
Hummel als eine der wichtigsten Wiederentdeckungen unserer Zeit: „Wir | |
freuen uns, in der Alten Nationalgalerie die unerwartete Modernität des | |
Malers und seine bleibende Bedeutung bis in die Gegenwart vermitteln zu | |
können.“ Fast 100 Jahre ist es her, dass Hummel in diesem Museum in einer | |
Retrospektive zu sehen war. | |
28 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Alessa Mendolia | |
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