| # taz.de -- Helmut Newton im Museum für Fotografie: Sehnsucht nach nie erlebte… | |
| > Ein Modefotograf, der sich selbst in den Kleidungsstücken ablichtet? Das | |
| > ist bei Helmut Newtons Bildern keine Ausnahme. | |
| Bild: Ausschnitt aus Helmut Newton, Fashion, Melbourne, 1955 | |
| Wo der Fotograf selbst zum Model wird, handelt es sich mit einiger | |
| Wahrscheinlichkeit um eine [1][Aufnahme von Helmut Newton]. Anstatt die | |
| einfache Lösung zu wählen und ein männliches Model für eine Werbekampagne | |
| in der italienischen Männer-Vogue einzusetzen, nahm sich Newton die | |
| künstlerische Freiheit, sich selbst im Spiegel abzulichten. 1981 soll er | |
| den Burberry Trenchcoat präsentieren und gibt diesem Bild nicht nur durch | |
| seine Anwesenheit einen besonderen Reiz. In „Selbstportrait mit Frau und | |
| Model“ füllt den linken Bildrand die Rückseite eines nackten weiblichen | |
| Models. | |
| Sie posiert, bekleidet mit nichts außer High Heels, vor dem großen Spiegel | |
| im Zentrum des Bilds. Hinter ihr beugt sich Newton zum Sucher seines auf | |
| den Spiegel gerichteten Fotoapparats hinab. Obwohl diese Komposition für | |
| eine erfolgreiche Kampagne reichen könnte, geht er noch weiter. Ganz rechts | |
| im Bild sitzt eine Zuschauerin, seine Frau June Newton, mit dem Kopf in der | |
| Hand aufgestützt und den Beinen überschlagen, betrachtet sie die Szene. | |
| Nicht gelangweilt, eher aufmerksam, aber passiv zugleich. Sie ist sich wohl | |
| nicht bewusst, dass sie gerade im Begriff ist, Teil der Arbeit zu werden. | |
| Hinter ihr öffnet die Studiotür die Aussicht auf eine Pariser Straße. Und | |
| ganz links im Spiegel erscheint ein weiteres Paar Beine in hohen Schuhen. | |
| ## Nacktheit fängt den Blick ein | |
| Das eigentliche Objekt, der Regenmantel, scheint im ersten Moment im | |
| Gemenge der Personen unterzugehen. Die Größe und Nacktheit des sich | |
| langstreckenden Models fangen zuerst den Blick ein, dieser wandert aber | |
| sofort hinüber zu June, die nicht nur die Szene, sondern auch die | |
| außenstehenden Betrachter:innen beobachtet. Erst danach gewinnen der | |
| Fotograf und damit der Regenmantel die Aufmerksamkeit. Ob das die richtige | |
| Herangehensweise an ein Werbefoto für einen Burberry-Mantel ist, bleibt im | |
| ersten Moment fraglich. Sollte er nicht die Hauptrolle im Bild übernehmen? | |
| Mit der bewusst gewählten Leserichtung leitet Newton die Aufmerksamkeit von | |
| der Rückseite des Models zu ihrer Vorderseite. Daraufhin fühlt man sich als | |
| Betrachter:in von June ertappt, allerdings nur für eine Millisekunde, | |
| denn ihr Blick ist nicht wertend, nur beobachtend. | |
| Das ist der Charme, der Newtons Werke auszeichnet. Natürlich werden die | |
| Leser:innen der italienischen Männer-Vogue nicht zuerst den Trenchcoat | |
| wahrnehmen, aber sie lesen das Bild in einer beabsichtigten Reihenfolge, | |
| und durch die ganz am Ende erfolgte Entdeckung des Mantels als eigentlichem | |
| Bildthema wirkt er umso interessanter. | |
| ## Die Geschichte in seinen Bildern | |
| Als Betrachter:innen müssen wir die Bilder Newtons selbst zu Ende | |
| denken, erst in unserer Rezeption vollendet sich sein Werk. Jede seiner | |
| Arbeiten ist gezeichnet durch ein brillantes Storytelling, das stets von | |
| der Imagination des Publikums Gebrauch macht. Den Betrachter:innen | |
| seiner Bilder stellt sich also fortlaufend die Frage, wie sie Motiv, | |
| Ausschnitt und Perspektive seiner bildlichen Narrationen in Beziehung | |
| setzen, um damit die Geschichte packen zu können. | |
| Obwohl die Arbeiten schon Jahrzehnte alt sind, haben sie ihre Wirkung | |
| beibehalten. Sie rufen ein Gefühl von Hochachtung und Bewunderung für den | |
| Fotografen und Künstler herbei, der letztes Jahr seinen hundertsten | |
| Geburtstag gefeiert hätte. | |
| Corona-bedingt feiert das Museum für Fotografie in Berlin nun seinen 101. | |
| Geburtstag mit einer großen Retrospektive. Matthias Harder, Leiter der | |
| [2][Helmut Newton Stiftung], präsentiert in rund 300 Werken den | |
| einzigartigen Stil des Fotografen. Dabei wird ein Drittel der gezeigten | |
| Fotografien zum ersten Mal ausgestellt. Die Schau ist chronologisch | |
| aufgebaut, was sich ausgezeichnet dafür eignet, die Veränderung des Stils | |
| der damaligen Modefotografie und dabei auch den Wandel von Newtons | |
| Ausdrucksweise zu veranschaulichen. | |
| ## Tiefe und Emotion | |
| Die Räume sind nach Jahrzehnten geordnet, betont durch eine je eigene | |
| farbliche Wandgestaltung. Sie beginnen mit frühen Arbeiten aus den 1920er | |
| Jahren, aus der Zeit seiner Ausbildung bei der damals berühmten Berliner | |
| Modefotografin Yva, setzen nach der Emigration nach Australien dann mit | |
| seiner Rückkehr nach Europa in den 1960er Jahren ein und gehen bis in die | |
| 90er Jahre. Aufgrund eines Herzinfarkts verunglückte Newton 2004 in Los | |
| Angeles am Steuer seines Cadillacs. | |
| In Glaskästen stellt Harder die Magazine aus, in denen Newtons Fotografien | |
| erschienen sind, aber auch Kontaktbögen, die vom Fotografen selbst | |
| beschriftet und beschnitten sind. Dadurch entsteht ein außergewöhnlicher | |
| Einblick in die Genese der Arbeiten Newtons. | |
| Die damals von ihm selbst erstellten Vintage Prints sind durch | |
| Passepartout-Umrahmung gekennzeichnet, während die später durch das Museum | |
| abgezogenen Werke einfach gerahmt sind. Die Zusammenstellung der | |
| Fotografien bringt die Ausdruckstärke, Tiefe und Emotion in Helmut Newtons | |
| Aufnahmen ohne Umschweife zur Geltung. | |
| 11 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alessa Mendolia | |
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