# taz.de -- Schinkel-Kirche in Berlin: Auftritt der Architektur | |
> Risse gefährdeten die Friedrichswerderschen Kirche in Berlins Mitte. Aber | |
> schon bald kann der Bau von Karl Friedrich Schinkel wieder besucht | |
> werden. | |
Bild: Blick in die Friedrichswerdersche Kirche mit der Skulpturenausstellung | |
Berlin hat ein altes Museum, oder besser: ein neues altes Museum wieder. | |
Einst als Gotteshaus nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel zwischen 1824 | |
und 1830 für die Protestanten und die französische Gemeinde in Berlins | |
Mitte errichtet und während des Zweiten Weltkrieges teilzerstört, wurde | |
dieser Kirchenbau – die Friedrichswerdersche Kirche – noch zu DDR–Zeiten | |
bis 1986 wiederhergerichtet und als Museum für die Berliner | |
Bildhauerschule, also Johann Gottfried Schadow, seinen Schüler Christian | |
Daniel Rauch und dessen Schüler Reinhold Begas, zugänglich gemacht. | |
Mit dem Bauboom nach der Wende haben es einige sehr dreiste Investoren | |
geschafft, einen aberwitzig teuren Luxusapartment–Block an die Westseite | |
dieses Kirchenbaus zu klemmen. Er ließ nur eine Falkoniergasse genannte | |
Durchwegung übrig, deren Enge zu durchschreiten einem Angst und Bange macht | |
– begleitet von Kopfschütteln ob dieser Dreistigkeit der Investoren und der | |
Ahnungslosigkeit der genehmigenden Baubehörde. | |
Der damit verbundene Tiefgaragenaushub zeitigte zum Entsetzen nicht nur | |
aller Schinkelliebhaber und Denkmalpfleger einen den kompletten Kirchenraum | |
durchziehenden Riss im Boden, der den Bau in der Substanz extrem | |
gefährdete. Das war 2012. Die Kirche wurde geschlossen. | |
Anzumerken zu diesem Ärgernis ist noch, dass es etwas anderes ist, ob man, | |
wie Schinkel, einen Kirchenbau in ein eng begrenztes Baufeld einfügen muss | |
und die Abstände entsprechend gering ausfallen oder ob man einer bis dahin | |
freistehenden Kirche derart buchstäblich und wirklich ungezogen auf den | |
Leib rückt. | |
## Dramaturgie einer Kirche | |
Nach [1][acht Jahren Grundsanierung wurde dieser Museumsbau], der zur Alten | |
Nationalgalerie gehört, am 27. Oktober wiedereröffnet. Das seltene und | |
aufregende Schauspiel, das Schinkel hier mit Mitteln der Baukunst | |
aufführte, lässt sich wie folgt beschreiben: Im Außenbau haben wir es mit | |
einem Backsteinbau zu tun, der seine Referenzen zum einen in der | |
norddeutsch-märkischen Backsteingotik und zum anderen in der englischen | |
Chapel-Bauweise verankert. | |
Es ist dies eine kubische, das Dach verbergende Zweiturmfigur, die durch | |
die horizontalen Gesimse eher geschichtet und ruhig lagernd erscheinend, an | |
den Längsseiten durch Mauervorlagen und gotische Fenster aber vertikal | |
gegliedert ist. Die tatsächliche Dramaturgie wird allerdings erst beim | |
Betreten des Innenraumes evident. Zunächst: In jeder norddeutschen | |
Backsteinkirche wird man auch im Innenraum dieses Materials ansichtig. In | |
der Regel herrscht entsprechend eine etwas dunkel eingefärbte Stimmung. | |
Mittelalter eben. | |
Schinkel schwebte etwas anderes vor. Denn sämtliche raumabschließenden | |
Wände und Wandschirme, einschließlich der Decke, sind hell, beinahe heiter | |
anmutend verputzt. Es tritt einem eine großzügig durchfensterte, klare, | |
helle, lichte Raumfigur – ohne Dazwischenkunft störender Materialien, | |
Oberflächen oder Farben – entgegen; klar wie eine Regel, hell wie das | |
Licht des Himmels. | |
## Täuschend echte Bemalung | |
Die Höhe thematisiert Schinkel mit Hilfe „gotischer“ Fenster und schlanker | |
Bündelpfeiler, die in einem Kreuzgewölbe enden. In die leeren Felder | |
zwischen Kreuzrippen und Gurtbögen aber, die ebenfalls verputzt sind und | |
mit einer täuschend echt wirkenden Backsteinverwölbung bemalt sind, ließ er | |
noch zusätzliche Fake-Rippen aufmalen, jenseits jeder konstruktiven Logik. | |
Derart spannt sich nunmehr ein luftiges, filigranes, diaphanes Netzgewölbe | |
über den Besucher. | |
Die im unteren Drittel den Hauptraum einfassenden spitzbogigen Arkaden | |
zwischen den Pfeilern sind aus Eichenholz gefertigt, warm im Ton, maßvoll | |
und stimmig in den Proportionen. Diese Arkaden tragen eine den ganzen Raum | |
umlaufende Empore, auf der alle von Schinkel für Berlins Mitte entworfenen | |
Projekte in einer perfekt zusammengestellten (Museums-)Schau zu sehen sind. | |
Von hier aus wandelt sich auch noch einmal der Blick in den klar | |
strukturierten Kirchenraum, der in Länge, Breite und Höhe auch von hier | |
oben – durch einen ruhig-angenehmen Rhythmus aller am Raumbild beteiligten | |
Glieder – wie das Innere einer Schmuckschatulle erscheint. | |
Die die Arkade hinterfangenden Mauern, ebenfalls verputzt, wirken wie eine | |
verfugte Sandsteinmauer; es ist dies jedoch auch nur eine imitierende | |
Malerei mit zarten, sehr echt wirkenden Fugen und Zwischentönen. [2][Man | |
spürt hier die Lust Schinkels, der bis zur Befreiung Preußens ja | |
Theaterdekorationen] entworfen hat, für das Auge dramaturgische Effekte zu | |
generieren. Im Prinzip ging es ihm ja immer, bis hin zu den von ihm | |
entworfenen hintereinander gestaffelten Bauten entlang des Kupfergrabens, | |
um einen theatralischen Auftritt seiner Bauten; innen wie außen. | |
## Raum der Stille und der Kunst | |
Die objektfixierte Gegenwartsarchitektur schafft es selten, uns auf diese | |
Art zu überraschen und zu erfreuen. Raumerlebnisse wie diese zwingen einen | |
geradezu, den Hut abzunehmen und für den Moment zu schweigen. Auch schaffen | |
dies nicht zuletzt die hier ausgestellten Skulpturen. Denn dieses | |
Schinkel’sche Raumbild dient nun gleichsam als Passepartout für eine | |
fünfzig Werke umfassende, „Ideal und Form“ bezeichnete Ausstellung von | |
Werken aus dem 19. Jahrhundert. Im Zentrum natürlich die Zeitgenossen | |
Schinkels, Werke der sogenannten Berliner Bildhauerschule, ergänzt durch | |
Skulpturen und Plastiken ihrer Vorläufer und solchern, die die | |
Nachwirkungen dieser Schule dokumentieren. | |
Wer im Trubel der Stadt einen Raum der Stille, der Muße und der Kunst, | |
einen Ort der Kontemplation sucht, der ist hier gut aufgehoben. | |
Friedrichswerdersche Kirche, Werderscher Markt, voraussichtlich wieder ab | |
1. Dezember geöffnet | |
11 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Martin Kieren | |
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