| # taz.de -- Flughafen BER eröffnet: Das Auge fliegt nicht mit | |
| > Der neue Flughafen Berlin-Brandenburg ist doch noch fertig geworden. Ein | |
| > ästhetisches Surplus findet man dort allerdings nirgends. | |
| Bild: Den Stützen fehlt Fleisch, das Körperliche. Der neue Flughafen Berlin-B… | |
| Das Abenteuer Flughafen BER beginnt bei der Zufahrt über die neu angelegte | |
| Autobahn mit einem Versprechen. Aber nur, wenn man kein Auto vor sich hat, | |
| und dann auch nur für einen kurzen Moment: Es erhebt sich aus dem sonst | |
| nicht sichtbaren Areal ein weit ausladendes flaches Dach, das auf sechs | |
| Stützen ruht; ein quasi schwebendes, in die Luft gemaltes Zeichen: Es grüßt | |
| die Idee Nationalgalerie von [1][Mies van der Rohe]. | |
| Ein dunkler Fond, vom vorstehenden Dach verschattet, davor die Stützen. | |
| Schöner Einfall, denkt man. Die Blitzsekunde des Glücks zerstiebt | |
| allerdings bereits in der nächsten Kurve in einem räumlichen Debakel. Denn | |
| der Freiraum vor der Hauptzufahrt des neuen Berliner Flughafens, hinter der | |
| zuvor dieses Tempelmotiv aufschien, wird von zwei jeweils sechsgeschossigen | |
| Gebäuden flankiert. In ihrer formalästhetischen Banalität, mit ihrem | |
| Kistenformat und ihren monotaktisch durchgerasterten Fassaden | |
| neutralisieren sie alles Gefühl, allen versprochenen Sinnesreiz, und machen | |
| alle Freude auf Form und Gestalt und Bau und Raum zunichte. | |
| Wir stehen jetzt vor der Eingangskolonnade zum Terminal 1 auf dem | |
| Willy-Brand-Platz. | |
| Die Verlautbarungsprosa des Flughafenpressebüros liest sich wie ein zweites | |
| Versprechen: „Das Terminal 1 mit seinen gegliederten Fassaden und klaren | |
| geometrischen Formen greift architektonische Elemente von Schinkel bis zum | |
| Bauhaus auf. Entworfen wurde das Gebäude von den gmp-Architekten Gerkan, | |
| Marg und Partner.“ | |
| Leider sucht man beide Referenzangaben in allen Bauteilen auf dem Gelände | |
| vergebens: Kein Klassizismus, kein Raffinement à la Schinkel, auch keine | |
| Backsteingotik, nirgends; das vom Bauhaus entwickelte Formenrepertoire, | |
| ohnehin eher aus anderen internationalen Tendenzen zusammengetragen, glänzt | |
| ebenso durch Abwesenheit. Womit haben wir es aber dann zu tun? | |
| Der Terminalkomplex verfügt über zwei Zufahrten: eine über den | |
| Willy-Brandt-Platz und eine über eine höher gelegene Straße hinter der | |
| erwähnten Pfeilerkolonnade, die quer zum Platz steht. Dies ist der erste | |
| Bauteil. Er markiert den Hauptzugang. Von hier aus gelangt man in die | |
| gläserne Halle des Terminals. | |
| Die beiden eingangs erwähnten „Kisten“ (ein Hotel und ein Bürogebäude) | |
| bringen den Eindruck des großen „Flugdaches“ zum Verschwinden. Sie schieben | |
| sich davor und gleichsam darunter und mindern seine potenziellen Qualitäten | |
| erheblich. Hier beherrschen leider die Objekte den Raum; es sollte aber | |
| umgekehrt sein. Überhaupt versinkt hier optisch und visuell der gedachte | |
| „Tempel“, weil er weit dahinter platziert ist; man sieht nur noch seine | |
| obere Kante. | |
| Baulich und räumlich herrscht auf der zweiten Ebene – wir sind die Treppen | |
| vom Platz aus zur höher gelegenen Straße hochgestiegen – das Grauen: ein | |
| Raumfeld ohne Halt, ohne baulich oder ästhetisch definierte Raumgrenzen. Zu | |
| sehen sind Drahtverhau-Parkhäuser, die Obergeschosse von Hotel und | |
| Bürohaus, eine unsensible, viel zu lange und zu niedrige Pfeilerkolonnade | |
| auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit dem Zugang zum Terminal; sie | |
| wirkt wie eine Sperre, in deren Halbschatten die versteckten Zugänge sich | |
| verbergen, die man erst einmal finden muss. | |
| Hinzu kommen verloren auf dem „Bürgersteig“ stehende und spitz in das | |
| überstehende „Flugdach“ ragende dünne Pfeiler aus hellem Stahl: In der | |
| Summe ergibt dies einen unbeherrschten Raum, den die Straße und der | |
| Mittelstreifenparkplatz dominieren; irgendwie fühlt man sich im | |
| Nirgendland, in einem Gewerbegebiet, in das man aus Versehen geraten ist. | |
| Der zweite Bauteil ist das eingangs erwähnte, weithin sichtbare Zeichen des | |
| Versprechens: die gigantisch ausladende Platte des Daches, die von 32 Meter | |
| hohen Stahlstützen getragen wird, jedoch strukturell und baulich, | |
| architektonisch und figürlich völlig unverbunden wie ein zu groß geratener | |
| wackeliger Tisch über das Terminal gestellt wurde. | |
| Nichts von der Eleganz und dem Raffinement von Mies van der Rohe: Den | |
| Stützen fehlt Fleisch, das Körperliche, die die auf sie wirkende Kraft | |
| symbolisierende Gestalt. Natürlich sind sie statisch so gerechnet, dass sie | |
| das Dach tragen; aber man empfindet sie als zu dünn. Jahrhundertelang | |
| beschäftigten sich die Architekten mit den Maßverhältnissen von Säulen und | |
| Stützelementen und definierten das Verhältnis von Umfang und Durchmesser | |
| zur Höhe, zum Abstand zwischen gleichen Gliedern (hier 44 Meter). Warum | |
| haben unsere Architekten dieses Repertoire eigentlich freiwillig | |
| aufgegeben? | |
| Es geht nicht um ein Verlangen nach Säulen – die haben sich konstruktiv und | |
| motivisch selbst erledigt –, sondern um den Code von Proportionen, den | |
| letzten Schliff (so wie man eine Sauce abschmeckt). Man spürt hier förmlich | |
| ein raumbedingtes Unbehagen. | |
| Die Glashalle, die dieses Dach überspannt, und die ausschließlich aus ihrem | |
| Innern heraus erfahrbar wird, und dieses Dach selbst mit seiner ihm eigenen | |
| strukturellen Logik, sie kommen baulich und räumlich nirgends zusammen. Sie | |
| wirken rein additiv übereinandergestellt. Auch der Rhythmus der langen | |
| Kolonnade (die als Band die Glashalle umfängt und verdeckt) und der | |
| Rhythmus der Stützen des Daches wirken nicht zusammen. Letztere stehen | |
| strukturell gleichsam ungebunden auf dem schmalen Trottoirstreifen, der die | |
| Fahrbahn von der dunklen Zone der Kolonnade trennt. Es ist nicht schön, das | |
| alles ansehen zu müssen. | |
| Der dritte Bauteil ist die mit einer Glasfassade eingehauste Halle des | |
| Terminals. Sie ist gleichsam der Nukleus des Flughafens, der Empfangsraum, | |
| das Verteilerrelais, die transitorische Mitte, der Ort der Begegnung der | |
| ankommenden mit den abfliegenden Passagieren. | |
| Zwei Hallenräume teilen sich dieses Terminal 1, diese „Glasvitrine“, die | |
| 222 Meter lang, 180 Meter breit und 32 Meter hoch ist: Es sind dies eine | |
| vorgeschaltete Eingangshalle und eine Shoppinghalle hinter der Security. | |
| In der ersten „Glasvitrine“ stehen wie eingestreute Inseln acht für die | |
| Höhe der Halle etwas zu niedrige Counter, nussholzfurnierte Körper, relativ | |
| eng beieinander. Intelligente Raumverschwendung sieht anders aus. | |
| Dahinter erstreckt sich über die ganze Breite und Höhe eine wie die | |
| Zugangskolonnade strukturierte gigantische „Regalwand“, ebenfalls | |
| nussbaumfurniert. Vor ihr, auf einer Empore, finden sich die üblichen | |
| Verdächtigen für Gastronomie und Kaffee ein. An ihrem Fußpunkt | |
| durchschreitet man die Security. | |
| ## Etwas Warmes, gar Heimeliges | |
| Zusammen mit dem Boden aus jurassischem Kalkstein ergibt das Farbspiel | |
| etwas Warmes, gar Heimeliges – einen verräterisch täuschenden | |
| Gemütlichkeitskoeffizienten. Vom Verweilen jedoch hält schon ein | |
| „Fliegender Teppich“ genanntes Kunstwerk der Künstlerin Pae White ab, das | |
| jenseits jeder baulich-räumlichen Struktur bedrohlich wie ein roter | |
| zerfetzter überdimensionierter Putzlappen zwischen dem Dach und den | |
| furnierten Counterschachteln schwebt. | |
| Zu dem zweiten Hallenabschnitt vermerkt die Pressemappe: „Das Herzstück | |
| bildet ein circa 9.000 Quadratmeter großer Marktplatz im Zentrum des T1 im | |
| Sicherheitsbereich. Teil des Marktplatzes ist der auf einer Empore gelegene | |
| Food-Court.“ Guten Appetit und prost möchte man rufen. | |
| Hier ist alles recht ordentlich „gestaltet“ – aber eher Wohnzimmer statt | |
| Weltstadtflughafen. Das Mobiliar ist nett. Stühle, Tische, Hocker, | |
| Bartresen, alles ist adrett und sauber, hübsche Oberflächenpolitur: ein | |
| wenig Glanz und Wärme für das Berlin verlassende Herz oder die Ankommenden | |
| aus aller Welt. Das darf man aber auch verlangen, hat schließlich viel Geld | |
| gekostet, sehr viel. Und die Architekten wurden auch dafür entlohnt. Und | |
| zwar richtig! | |
| Ein ästhetisches Surplus aber findet man nirgends im neuen Flughafen von | |
| Berlin und Brandenburg. Wirklich zu loben gibt es auch nicht viel. | |
| 27 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Kieren | |
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