| # taz.de -- Werkschau eines Visionärs in Berlin: Die Opulenz der Elemente | |
| > Tischler, Porzellanmaler, Architekturvisionär, Designer und Künstler: | |
| > eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau würdigt den Expressionisten Wenzel | |
| > Hablik. | |
| Bild: Der Raum als Gesamtkunstwerk: Entwurf für einen Festsaal, 1924 | |
| Krachend bunt seine opulenten Landschaftsgemälde, Sternenhimmel und | |
| Planetenformationen, überirdisch seine kristallinen Architekturentwürfe, | |
| die Berglandschaften krönen, seine Flugkörper und intergalaktischen | |
| „Luftkolonien“ – Utopien zukünftiger Städte im Weltraum, die er mit | |
| detaillierten Kommentaren zu Konstruktion und Nutzung versah, nach | |
| technischen Lösungen suchte, moderne Maschinen erdachte und sogar mit neuen | |
| Energieträgern experimentierte. Doch sein Gesamtkunstwerk umfasste auch | |
| Möbel, Textilentwürfe und Skulpturen. | |
| Wenzel Hablik zog es in die Ferne. Auf dem Mars wollte er wohnen. Und dann | |
| landete der 1881 im Böhmischen Brüx geborene Künstler ausgerechnet im | |
| schleswig-holsteinischen Itzehoe, wo er ein reiches künstlerisches Werk | |
| hinterließ, obwohl er als erst 52-Jähriger bereits 1934 an Krebs starb. | |
| Nun hat der Martin-Gropius-Bau Hablik nach Berlin geholt. „[1][Wenzel | |
| Hablik – Expressionistische Utopien]“, so der Titel der Ausstellung, die | |
| sich als zweiter Teil der Reihe „Wiederentdeckte Moderne“ an die großartige | |
| Werkschau [2][Friedrich Kieslers] im Frühjahr anschließt. Seiner Ehefrau | |
| Elisabeth Hablik-Lindemann, die ihn um 30 Jahre überleben sollte, ist es zu | |
| verdanken, dass das Museum auf einen umfassenden Nachlass zurückgreifen | |
| kann, der bislang nur im [3][Wenzel-Hablik-Museum] in Itzehoe zu sehen | |
| war. | |
| Dabei hatte Hablik durchaus einen starken Berlinbezug. Von hier aus beginnt | |
| er sich einen Namen zu machen. Bei der 18. Ausstellung der Berliner | |
| Secession ist er 1909 mit Malereien und ersten Teilen seines Zyklus | |
| „Schaffende Kräfte“ vertreten – 20 Radierungen mit utopischen Darstellun… | |
| und Aphorismen von in Bergen, im Meer und im Weltraum angesiedelten | |
| kristallinen Welten. Später stellt Herwarth Walden in seiner Galerie | |
| „[4][Der Sturm]“ in der Potsdamer Straße den ganzen Zyklus aus – neben | |
| Werken von Picasso, Kandinsky, Kokoschka und Gauguin. | |
| Auf Einladung von von Walter Gropius nimmt er 1919 an der „Ausstellung für | |
| unbekannte Architekten“ des Arbeitsrats für Kunst teil und wird dessen | |
| Mitglied. Als Teil der Briefgemeinschaft „Gläserne Kette“, als deren | |
| letzter künstlerischer Ausdruck Hans Scharouns Philharmonie in Berlin | |
| gelten kann, ist Hablik mit Walter Gropius und Bruno Taut im regen | |
| Austausch. | |
| Realisiert wurde keiner seiner Entwürfe. Er und seine | |
| expressionistischen Zeitgenossen formulieren Anfang des 20. | |
| Jahrhunderts vor allem eine Gesellschaftsutopie. Doch von Schriftstellern | |
| wie H. G. Wells, Kurd Laßwitz und Jules Verne inspiriert, erhalten Habliks | |
| Architekturentwürfe zunehmend technische Komponenten. Und seine Ideen | |
| finden sich etwa in El Lissitzkys „Wolkenbügel“ (1924) wieder oder nahmen | |
| futuristische Glasarchitekturen vorweg, wie Norman Fosters 2004 | |
| fertiggestellten Wolkenkratzer „30 St Mary Axe“ („Die Gurke“) in London. | |
| Später wird sich Hablik auf Schopenhauer berufen, der Natur und Kunst als | |
| Einheit definierte. Doch schon als Kind faszinieren ihn Kristalle, die er | |
| im heimischen Erzgebirges fand. Mit 14 legt er in der väterlichen | |
| Tischlerwerkstatt die Meisterprüfung ab, wird dann Porzellanmaler, | |
| anschließend Architekturzeichner. | |
| In Wien studiert er Malerei, Schrift und Heraldik, entwirft Stoffmuster für | |
| die Wiener Möbelfabrik von Hugo Schmidl, der ihn in einen Literatenkreis um | |
| Arthur Schnitzler, Jakob Wassermann und Alexander Roda Roda einführt. Er | |
| reist nach Norditalien und in die Schweiz. Eine lebensgefährliche | |
| Alleinbesteigung des Mont Blanc wird zum prägenden Naturerlebnis. | |
| Auf Helgoland lernt er 1907 den Holzhändler Richard Biel aus Itzehoe | |
| kennen, der ihn zu sich einlädt und mit seiner späteren – leider in der | |
| Ausstellung zu wenig gewürdigten – Ehefrau Elisabeth Lindeman bekannt | |
| macht, Leiterin einer Museumsweberei. Gemeinsam arbeiten sie nicht nur | |
| künstlerisch – nach ihrer Heirat wird die Weberei mit zeitweilig 50 | |
| MitarbeiterInnen zur wichtigsten finanziellen Grundlage. | |
| Während Hablik seine Architekturvisionen im Privaten weitertreibt, entwirft | |
| er zahlreiche extravagante Raumkonzepte für öffentliche und private | |
| Interieurs in Norddeutschland. Vom Besteck über Möbel bis hin zu | |
| kubistischen Metallskulpturen gestaltet er so ganze Lebensbereiche, für die | |
| er sogar Sammlungen von Kristallen zur Ausstellung vorschlägt. | |
| Zentraler Bestandteil der Werkschau ist die Rekonstruktion des in streng | |
| geometrischen Formen gestalteten Hablik’schen Esszimmers, das erst vor | |
| wenigen Jahren wieder frei gelegt wurde. Hablik selbst ließ es 1933 mit | |
| weißen Tapeten überdecken. Weniger wohl, um im Nationalsozialismus nicht | |
| aufzufallen, sondern weil sich der Zeitgeist änderte. So erhielt auch die | |
| Fassade des Hauses seine heutige sachlich-moderne Gestalt, als Hommage an | |
| das Bauhaus vielleicht, das den Expressionismus ab Mitte der 1920er Jahre | |
| abzulösen begann. | |
| Die Ausstellung im Gropius-Bau lädt ein, die Visionen in den ungebauten | |
| Architekturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wiederzuentdecken, die in | |
| verspielter, aus heutiger Sicht vielleicht naiver Weise moderne Utopien in | |
| allen künstlerischen Disziplinen mit den Fragen der Lebensführung, des | |
| technischen Fortschritts und der Natur zusammenführte. Während Publizisten | |
| aus der Krise heraus zur Verwirklichung eines freiheitlichen Sozialismus | |
| aufriefen, wollten die KünstlerInnen aus den Trümmern des Ersten Weltkriegs | |
| Kathedralen bauen. | |
| Ein weiteres Exponat der Ausstellung übrigens: eine Geldnote, die Wenzel | |
| Hablik der Stadt Itzehoe zur Zeit der Inflation 1921 als Notgeld lieferte. | |
| Ein 5-Millionen-Mark-Schein, den natürlich ein Luftschloss ziert. | |
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| 6 Sep 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Antonia Herrscher | |
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