| # taz.de -- Ausstellung in Itzehoe: Öffnungen und Erweiterungen | |
| > Trotz Nachbarschaft hierzulande fast unbekannt geblieben: Die | |
| > niederländische KünstlerInnengruppe „De Ploeg“, 1918 gegründet und noch | |
| > heute aktiv. | |
| Bild: Die „De Ploeg“-Mitglieder feiern nach der Eröffnung ihrer ersten Aus… | |
| Praktischer Nutzen und ländliche Erdung werden angestrebt, nennt sich eine | |
| neue [1][Gruppe „De Ploeg“] (niederländisch „Der Pflug“): 1918 gründe… | |
| Groningen fünf Künstler einen Verein mit aktiven und passiven Mitgliedern, | |
| ähnlich wie es die berühmt gewordene [2][expressionistische Künstlergruppe | |
| „Brücke“] von 1905–13 in Dresden und Berlin vorgelebt hatte. Mit viellei… | |
| ja friesischem Pragmatismus beackerten sie das Kunstfeld; nicht, um einem | |
| strengen Manifest zu folgen oder einen gemeinsamen Stil zu erzwingen – und | |
| schon gar nicht auf der Suche nach der Revolution. | |
| Wahrscheinlich ermöglichte gerade ihre undogmatische Offenheit, dass die | |
| Gruppe bis heute besteht und eine eigene Abteilung mit einer Sammlung von | |
| inzwischen 2.000 Arbeiten im Kunstmuseum von Groningen hat. Auch wenn der | |
| Expressionismus der wesentliche Ausgangspunkt war, entwickelten die | |
| KünstlerInnen der Gruppe jeweils eigene Ausdrucksformen vom | |
| Spätimpressionismus bis zu konstruktiven Tendenzen. | |
| Zu überprüfen ist das derzeit im schleswig-holsteinischen Itzehoe. Das | |
| dortige [3][Wenzel-Hablik-Museum] richtet so den Blick auf eine – trotz | |
| Nachbarschaft – in Deutschland bisher weitgehend unbekannte Szene der | |
| Zwischenkriegszeit. Es geht vom stilprägenden frühen Kontakt mit | |
| „Brücke“-Gründer [4][Ernst Ludwig Kirchner] in Davos einerseits zu | |
| typischen Caféhausmomenten andererseits; und zu ruhigen Stimmungsbildern | |
| der schon van Gogh faszinierenden flachen Landschaft der Provinz Drenthe | |
| mit ihren weiten Wiesen und einsamen Katen, den Grachten und Radfahrern. | |
| ## Um Frieden flehende Geste | |
| Im Bestreben des „Ploeg“, alle Bereiche des Lebens für die Kunst urbar zu | |
| machen, findet sich auch eine, oft dem Konstruktivismus sich annähernde | |
| Objekt- und Möbelgestaltung – inklusive eines bemaltes Bierfasses. Der | |
| stilisierende Japonismus wird rezipiert, genauso die magische jüdische | |
| Mystik. Und nicht verschwiegen werden darf, dass einer der Künstler unter | |
| der deutschen Besatzung von der Gestapo ermordet wurde. | |
| Durch die Praxis des gegenseitigen Porträtierens können sich am Anfang der | |
| Ausstellung die Akteure sozusagen selbst vorstellen: Jan Altink, Johan | |
| Dijkstra, George Martens, Alida Pott, Jan Wiegers und Hendrik Werkman. Im | |
| weiteren Rundgang zu den rund 100 Arbeiten geht es von Skizzen, die Wiegers | |
| 1920 anlässlich seines Schweizer Kuraufenthalts anfertigte, bei dem er auch | |
| Kirchner kennenlernte, über die von allen Mitgliedern gerne genutzte | |
| Technik des Holzschnitts zu Stadt- und Landschaftsgemälden in | |
| unterschiedlichen Expressionsgraden. | |
| Besonders beeindruckend ist die Begeisterung Werkmans für die von Martin | |
| Buber überlieferten chassidischen Legenden: Aus Interesse und Empathie für | |
| die unter der deutschen Besatzung verfolgten Juden erstellte er einen oft | |
| aus Schablonenbruchstücken zusammengesetzten zehnblättrigen grafischen | |
| Zyklus. Die enthaltenen Bildmotive können noch heute als um Frieden | |
| flehende Geste verstanden werden. Vor allem diese Bilder brachten dem | |
| Künstler noch wenige Tage vor der alliierten Befreiung 1945 den Tod – wegen | |
| „Verdachts auf subversive Aktivitäten“. | |
| Im ersten Stock der Ausstellung ist eine Begegnung mit den Namensgebenden | |
| des Museums inszeniert, Wenzel Hablik (1881–1934) und Elisabeth | |
| Hablik-Lindemann (1879–1960). Trotz zeitlicher Differenzen gibt es | |
| Verbindungen: Denn das Gesamtkunstwerk – möglichst komplett neu | |
| durchgestaltete Lebenswelten – war auch „De Ploeg“ wichtig. Und so treffen | |
| sich hier ganze Einrichtungsentwürfe, einzelne Möbel, rhythmische | |
| Stoffmuster und exzentrischer Schmuck, zarte Aktdarstellungen und | |
| interstellare kosmische Visionen. | |
| Greta Kühnast, neue Direktorin des 1995 eröffneten Museums, öffnet mit | |
| dieser Ausstellung nicht nur den Blick zu bisher übersehenen | |
| Kunstbewegungen, sie geht auch das Auftreten des historischen Hauses gleich | |
| neben dem Itzehoer Rathaus mit neuem Elan an. So ließ sie die bisher zwecks | |
| vermeintlich größerer Konzentration verdeckten Fenster öffnen. Auch die | |
| Ansprache des Publikums hat man erweitert: Erstmals gibt einen Audioguide | |
| in Deutsch oder Englisch – und, was für den Süden des nördlichsten | |
| Bundeslandes eher ungewöhnlich ist, auch in Dänisch. | |
| Wenzel Hablik und Elisabeth Hablik-Lindemann sind in der Region weiterhin | |
| stark verankert: Es werden gelegentlich noch von ihnen gestaltete Objekte | |
| aus Privathäusern ins Museum gebracht, und auch die Itzehoer Villa der | |
| beiden – mit teils originaler Einrichtung und Ausmalung – ist in | |
| Privatbesitz erhalten. Sie soll zukünftig mehr als bisher in die Konzepte | |
| des Museums eingebunden werden: Eine Führung durch die „De | |
| Ploeg“-Ausstellung mit anschließendem Besuch der Villa etwa ist für den 30. | |
| April geplant. | |
| Wollen die Besucherinnen und Besucher dem Eintauchen in die Gesamtkunst von | |
| Impressionismus, Expressionismus und Konstruktivismus noch ein nahezu | |
| surrealistisches Konzept hinzufügen, sollten sie zwei Ecken weiter, in der | |
| Itzehoer Salzstraße, zum 144 Jahre alten Weinhaus Pfingsten gehen – und | |
| „Nichts“ kaufen. So heißt dort der selbstgebrannte Aquavit. | |
| 7 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.groningermuseum.nl/de/kunst/de-ploeg-1 | |
| [2] /Kunst-und-Kolonialismus/!5820942 | |
| [3] https://wenzel-hablik.de/ausstellungen/aktuell/ | |
| [4] /Intervention-in-der-Kunsthalle-Bremen/!5847128 | |
| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
| ## TAGS | |
| Expressionismus | |
| Entartete Kunst | |
| Moderne Kunst | |
| Kunst | |
| Ausstellung | |
| Kolonialismus | |
| Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus | |
| Expressionismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Intervention in der Kunsthalle Bremen: Das Auge bleibt drin | |
| Wie mit rassistischen Kunstwerken umgehen? Natasha A. Kelly macht in Bremen | |
| Ernst Ludwig Kirchners „Schlafende Milli“ zum aufgeweckten Subjekt. | |
| Kunst und Kolonialismus: Expressionistischer Südseetraum | |
| Mit einer Doppel-Ausstellung beginnt das Brücke-Museum die Aufarbeitung | |
| seines kolonialen Erbes. Das ist in den Werken der Brücke bis heute | |
| sichtbar. | |
| Werkschau eines Visionärs in Berlin: Die Opulenz der Elemente | |
| Tischler, Porzellanmaler, Architekturvisionär, Designer und Künstler: eine | |
| Ausstellung im Martin-Gropius-Bau würdigt den Expressionisten Wenzel | |
| Hablik. |