| # taz.de -- Intervention in der Kunsthalle Bremen: Das Auge bleibt drin | |
| > Wie mit rassistischen Kunstwerken umgehen? Natasha A. Kelly macht in | |
| > Bremen Ernst Ludwig Kirchners „Schlafende Milli“ zum aufgeweckten | |
| > Subjekt. | |
| Bild: Natasha A. Kelly weckt Ernst Ludwig Kirchners „Schlafende Milli“. Sti… | |
| Kunst ist [1][immer Propaganda]. Hat sie Erfolg, setzt sie eine Sichtweise | |
| durch auf den Bildgegenstand, den sie kommuniziert – und sei es nur eine | |
| Farbe. In diesem Fall geht’s um die Farbe Schwarz, der Bildgegenstand ist | |
| eine Frau und das in der Hochphase des Kolonialismus entstandene Gemälde | |
| „Schlafende Milli“ von Ernst Ludwig Kirchner ist unbestreitbar ein | |
| Schlüsselwerk: für den Maler selbst, für den Expressionismus, fürs 20. | |
| Jahrhundert. | |
| Seit den 1960ern gehört es der Bremer Kunsthalle und hat – erotisierend, | |
| exotisierend – den Blick geprägt, den die westliche Gesellschaft auf | |
| Schwarze Frauen wirft. Mit unterwürfig geschlossenen Augen liegt sie da: | |
| Kirchner hat sie, immerhin, ins Zentrum gestellt, sie dabei aber zugleich | |
| verfügbar gemacht und entindividualisiert. | |
| Das ist, wo Natasha A. Kellys Intervention „Wer war Milli?“ ansetzt, die | |
| jetzt als essayistischer Kommentar zum Meisterwerk in der Sammlung | |
| präsentiert wird. Dabei: „Ob Kirchner rassistisch war oder nicht“, so die | |
| Kommunikationswissenschaftlerin, Medienkünstlerin [2][und Aktivistin | |
| Kelly], „das war für mich irrelevant.“ | |
| Stattdessen greift sie den vom Kunstwerk mitgeformten und gelenkten Blick | |
| an, dem der Schwarze Frauenkörper als „Diskursterrain“ diene, „um weiße | |
| Geschichten zu erzählen“, wie Kelly [3][in Anlehnung an die kürzlich | |
| verstorbene Philosophin bell hooks] sagt. | |
| ## Milli ist ein Sammelbegriff | |
| Im Oeuvre des Brücke-Malers, in Archiven und in Briefen hat sie nach Spuren | |
| dessen gesucht, was mit diesen weißen Geschichten überschrieben wurde; eine | |
| notwendig unvollendete Recherche. Ein Forschungsstipendium für Kelly wäre | |
| angebracht, damit sie die Arbeit fortführen kann. | |
| Denn akribisch hat sie nach Hinweisen aufs Leben dieser Frau gefahndet. | |
| Könnte die vielleicht auch als „Vorbotin Schwarzer deutscher Identität“ | |
| gelesen werden? Das fragt eine der zwei Videoarbeiten Kellys, die den | |
| Korpus der Intervention ausmachen. | |
| War Milli Artistin? Tänzerin? Sexarbeiterin? An Gewissheiten hat auch Kelly | |
| bislang fast nur zutage fördern können, dass Milli eine Art Sammelbegriff | |
| war: „Es gab viele Millis.“ Mit dem Namen hat der Maler insbesondere | |
| Schwarze Frauen bezeichnet, die in Dresden ausgestellt waren – im Zoo. | |
| Völkerschau hieß das damals. | |
| Spätestens hier wird’s unbequem. Denn selbstverständlich ist das | |
| unerträglich. Und ebenso selbstverständlich bleibt das Bild ja schön. Und | |
| indem sie dieses verschüttete Wissen ausstellen, zwingen Kelly und die | |
| Kunsthalle dazu, sich der Dissonanz der eigenen Wahrnehmung zu stellen. | |
| Konsequent wäre, sich das Auge auszureißen. Aber tut man’s? | |
| 30 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://nationalhumanitiescenter.org/pds/maai3/protest/text10/text10read.htm | |
| [2] /Vorstoss-gegen-Rasse-im-Grundgesetz/!5693371 | |
| [3] https://archive.org/details/blacklooksracere00hook/mode/2up?q=body&view… | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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