# taz.de -- Fotoausstellung über Konflikte: Die Krise ist bunt | |
> Klimawandel, Krieg, Vertreibung: Richard Mosse nähert sich dem Elend der | |
> Welt mit ambivalenten Techniken. Die Kunsthalle Bremen zeigt sein Werk. | |
Bild: Richard Mosses „Senador Porfírio, Pará“ aus der Serie Tristes Tropi… | |
BREMEN taz | Am Anfang ist [1][Richard Mosses Werk] vor allem laut. Das | |
muss so. Grelles Pink übertönt eine liebliche Landschaft, in der eine | |
Rinderherde an den Ufern eines mäandernden Flusses im Kongo grast. Aber das | |
wäre, konventionell fotografiert, nur eine harmlose, hübsche | |
Landschaftsfotografie. Eine, die nichts erzählt, nichts erzählen kann über | |
den Kontext, indem sie entstand. | |
So aber macht die extreme Farbigkeit klar, das hier irgendwas nicht stimmt. | |
Aufklärung schafft erst und nur der kleine Begleittext, der von Kämpfen | |
bewaffneter Gruppen berichtet, von Vertreibungen, Plünderungen und | |
Erpressungen, dazu von Tutsi, die aus dem hier angrenzenden Ruanda | |
eindrangen und den Urwald fällten, um Weideland zu schaffen. Wer weiter | |
liest, taucht in unübersichtliche Konflikte und koloniale wie | |
post-koloniale Vergangenheiten ein. | |
Richard Mosses Fotos funktionieren halt nur, wenn man sich ganz auf sie | |
einlässt. Das unterscheidet sie von klassischer, oft sehr emotionaler | |
Kriegs- und Krisenfotografie, die gleich auf den ersten Blick ihre Wirkung | |
entfalten will und muss. Hier aber nähert man sich den Werken erst von | |
Weitem, etwas vorsichtig, um dann ganz nah ranzugehen, schließlich noch mal | |
die Wuchtigkeit des großen Formates aus der Distanz auf sich wirken lässt. | |
Die Bilder zwingen einen förmlich, sich auf sie einzulassen. Das geht | |
nicht, ohne auch deren Texte zu lesen und sich mit der Technik zu | |
beschäftigen, die diese intensiven, verstörenden Farben erst erschafft. | |
Hier kommen sie aus der Infrarot-Fotografie, im Zweiten Weltkrieg für die | |
militärische Luftaufklärung entwickelt, um als Natur getarnte Menschen und | |
Verstecke ausfindig zu machen – infrarotes Licht reflektiert das Grün der | |
Landschaft in Magenta- Purpur- und Pinktönen. Im Vietnam-Krieg wurde das | |
oft eingesetzt, es dient aber auch der Wissenschaft – ein klassischer Fall | |
von Dual Use. | |
## Konflikte in Infrarot | |
Mosse nutzte im Kongo einen seit 2009 nicht mehr hergestellten | |
Infrarot-Farbfilm, um die vielfältigen Konflikte des Landes einzufangen – | |
es geht um nicht-nachhaltige Holzkohle-Wirtschaft, Bürgerkrieg, Flucht, | |
Armut, Vertreibung. Ihn treibt die Frage um, wie man diese komplexen | |
Konflikte in Fotos fassen kann, ja: ob das überhaupt noch geht. Seine | |
Arbeiten zeigen die Grenzen herkömmlicher Dokumentarfotografie auf, aus der | |
auch der 1980 im irischen Kilkenny geborene Mosse kommt, der mit 21 Jahren | |
nach Bosnien und Herzegowina fuhr, kurz nach dem Krieg. | |
Es war der Wendepunkt seiner Karriere. Heute bewegt er sich in der Sphäre | |
der Kunst, 2014 wurde er auf der Biennale ausgestellt. Die Kunsthalle | |
Bremen zeigt erstmals in Deutschland einen breiten Überblick über sein | |
Werk, mehr als 70 Fotos, die seit 2010 auf der ganzen Welt entstanden. Es | |
ist keine Ausstellung, die man einfach so konsumiert. | |
Doch auch Mosses Technik hat ihre Grenzen: Das „Madonna and Child“ genannte | |
Foto, das einen Soldaten mit Gewehr über der Schulter und Säugling im Arm | |
zeigt, ein klassisches Sujet der Kriegsfotografie also: Es wäre in | |
Schwarz-Weiß eindringlicher, denn die Infrarot-Fotografie schafft in diesem | |
Bild keinen Mehrwert. Trotzdem findet es sich auch in [2][vielen] | |
[3][Texten] über die Ausstellung wieder. | |
Am Anfang von Mosses Foto-Serien steht nicht das Thema, sondern die | |
Faszination für den Apparat, eine bildgebende Technologie, gern eine, die | |
auch militärisch genutzt wird. Eine Wärmebildkamera etwa, die über 30 | |
Kilometer hinweg funktioniert, offiziell als Waffe gilt. Mosse nutzt sie, | |
um die Flüchtlingslager dieser Welt auszuleuchten, [4][Moria] etwa, auf der | |
griechischen Insel Lesbos. | |
Er will der Politik den Spiegel vorhalten und die ganz und gar | |
[5][unmenschlichen Zustände] in all diesen Lagern offenlegen. Er liefert | |
damit aber auch die Geflüchteten unseren Blicken aus. Mosses „Heat Maps“ | |
kommen ein wenig daher wie mittelalterliche Stadtpanoramen. Sie bestehen | |
aber mosaikgleich aus vielen Einzelbildern, die ein großes Ganzes ergeben, | |
eine Art Leuchtkasten, dessen Bilder sehr dreidimensional wirken und an ein | |
Konzentrationslager denken lassen. Auch das soll so. | |
Die Technik nimmt den Menschen ihre Individualität, sie erscheinen hier nur | |
noch als jene anonyme, uniforme Masse, als die sie meist auch von der | |
Politik behandelt wird. Nur: Wird da nicht auch das Elend dieser Menschen | |
bildungsbürgerlich ästhetisiert? Wurden sie gefragt, eh sie fotografiert, | |
im Museum ausgestellt und ihre Bilder verkauft wurden? Werden sie an den | |
Gewinnen beteiligt, die der Fotograf mit ihnen macht? Ist es okay, aus der | |
sicheren Distanz auch noch den letzten privaten Raum zu erhellen, der den | |
Geflüchteten geblieben ist – weil man es ja gut mit ihnen meint? Die „Heat | |
Maps“ werfen viele Fragen auf. | |
## Drohnen über Umweltverbrechen | |
Einfacher ist da die Umweltkriminalität, mit einer Drohne und durch die | |
Brille der Multispektralfotografie betrachtet. Diese Technik dient sonst | |
der analytischen Wissenschaft, aber auch agrarindustriellen Ausbeutern und | |
Profitmaximierern. Mosse ist mit ihr 2019 nach Brasilien gefahren, in den | |
Amazonas und das Pantanal, das größte Binnen-Feuchtgebiet der Welt, um den | |
Raubbau des Menschen an der Natur zu zeigen. Starke Farben zeigen | |
schonungslos, wo es noch Leben gibt und wo nur noch tote Pflanzen stehen | |
oder wie tief hochgiftige Abwässer schon zu den Menschen vorgedrungen sind. | |
Die Bilder erinnern zunächst ein wenig an Farbfeldfotografie oder gar an | |
Paul Klee, doch je detaillierter man sie betrachtet, desto mehr gleichen | |
sie einer wissenschaftlichen Karte. Auch die muss man erst entschlüsseln, | |
komplizierte Fragen bedürfen eben manchmal auch komplizierter Bilder. Sie | |
sind dann als Konzeptkunst nur nicht mehr für jeden zugänglich. | |
Die in Bremen in insgesamt acht Räumen gezeigten Arbeiten legen auch die | |
Entwicklung des Fotografen Richard Mosse offen: Je neuer die Arbeiten sind, | |
desto vielschichtiger, aber abstrakter werden sie auch. Sie sind dann | |
präziser – und doch ist die fundamentale Krise, die gerade die aktuellsten | |
Fotos zeigen, hier viel weniger greifbar. | |
21 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] http://ww.richardmosse.com/projects/incoming#home | |
[2] https://www.monopol-magazin.de/richard-mosse-kunsthalle-bremen?slide=6 | |
[3] https://www.dw.com/de/richard-mosse-kunsthalle-bremen/a-61260666 | |
[4] /Foto-Ausstellung-ueber-Moria/!5809854 | |
[5] /Bremer-Linke-besucht-Fluechtlingslager/!5771792 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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