| # taz.de -- Ausstellung „[Control] No Control“: Unter Kontrolle | |
| > In der Hamburger Kunsthalle fragt die Ausstellung „[Control] No Control“, | |
| > wie Bilder zur Ausübung von Macht dienen können. | |
| Bild: Düsseldorfer Hinterhöfe, mit der Nachtsichtkamera in Kriegsgebiete übe… | |
| HAMBURG taz | Wer ist sich schon rund um die Uhr bewusst, wie das eigene | |
| Tun gesehen wird? Welche Bilder entstehen durch mein Handeln? Sind die | |
| eigenen Verhaltensmuster vielleicht für andere in ganz anderer Weise | |
| bedeutend? Was machen Beobachter aus dem für das Selbst doch meist | |
| sinnvollen Alltag? | |
| Heute geht es bei solchen Überlegungen meist um Spuren in den | |
| elektronischen Medien. Aber das Problem ist älter, es ist eine Frage nach | |
| der Konstruktion der sozialen Wahrnehmung. | |
| Um sich selbst besser zu verstehen, hat die Französin Sophie Calle schon | |
| 1981 einen Privatdetektiv gegen sich selbst beauftragt. Wer nun die | |
| entstandenen Bild-Texttafeln liest, muss sich wundern: Auch das Publikum | |
| wird niemals wirklich herausfinden, was an Erkenntnissen über das Leben der | |
| Künstlerin wahr ist, was inszeniert und was nur Vermutung. Und bei einem | |
| Kunstprojekt ist ohnehin nicht sicher, ob diese ganze Idee nicht nur | |
| vorgespielt ist. | |
| Dergleichen romanhafte Unsicherheit wäre sogar amüsant, wenn nicht | |
| inzwischen im Alltag von allen Ansehen, Vertrauen, Kredite, ja | |
| Lebenschancen in hohem Maß von Überwachung und medialer Kontrolle abhingen. | |
| Und das Bild ist deren wichtigster Beleg. | |
| ## Ein Oval Office aus Papier und Pappe | |
| Die Ausstellung „[Control] No Control“ in der Hamburger Kunsthalle ist | |
| einer der konzeptuell brisanteren Teile der diesjährigen Hamburger | |
| Triennale der Photographie. Hier geht es nicht um Fotos als historische | |
| Dokumente oder schöne Kunst, es geht um Bilder zur Ausübung von Macht. | |
| Inhaltlich reicht das vom Präsidentenschreibtisch bis zum Grenzregime, | |
| technisch vom Guckkasten bis zur Künstlichen Intelligenz. Die 15 | |
| ausgewählten Künstler*innen forschen in Bildarchiven, fragen nach | |
| Kontexten, nach Realitätsbezug und verborgenen Informationen. Mitunter | |
| versuchen sie, die gleichen Techniken, wie Staat und Militär zu nutzen: | |
| Nachtsichtgeräte und kaum vorstellbar effiziente Hochleistungskameras. | |
| Der Rundgang beginnt mit ganz einfachen Fragen: danach, was denn ein Bild | |
| sei. Thomas Demands Fotos aus dem Heiligtum der US-amerikanischen Politik, | |
| dem Oval Office im Weißen Haus, bebildern in großer Nähe den Ort der Macht. | |
| Doch der Künstler baut seine Bilder akribisch als 1:1-Modelle aus Papier | |
| und Pappe im Atelier: Der Ort des Handelns wird zur theatralischen | |
| Vorstellung seiner selbst. | |
| ## Ein Haufen grün bedrucktes Papier | |
| Einfacher ist die Botschaft bei Anette Kelm: Ihr Haufen grün bedruckten | |
| Papiers ist als Dollarbild erkennbar, spätestens wenn die Noten das Wort | |
| „MONEY“ bilden. | |
| Es folgt ein Intermezzo mit Skulptur: In Aluminiumguss macht Bogomir Ecker | |
| sichtbar, wie viele unterschiedliche Apparaturen nötig waren, um Bilder | |
| überhaupt zu erzeugen. Daneben hat der Bildersammler Peter Piller sich für | |
| seine Serie „Möglichkeitssinn“ in Polizei- und Bundeswehrarchiven | |
| umgesehen. In einer ganzen Menge der daraus reproduzierten Fotos wurde wohl | |
| einst ein Sachverhalt dokumentiert. Aber ohne Wissen darum, was das Bild | |
| belegen soll, belegt es rein gar nichts: Alles kann Waffe werden, überall | |
| ein Tatort sein. | |
| Durch Unmengen von ähnlichen Informationen lernen aber die Maschinen. Eine | |
| wahre Bilderflut von Objekten, Gesichtern, Gesten und Aktionen füttert | |
| Datenbanken, um die Künstliche Intelligenz zu speisen. Was diese KI daraus | |
| machen könnte, imaginiert Trevor Paglen in seinem teils verpixelten Video: | |
| Es ist mit einer suggestiven elektronischen Musik unterlegt, die aus den | |
| zum gleichen Wiedererkennungszweck den Maschinen eingespeisten Stimmen und | |
| Geräuschen komponiert wurde: Schöne Grüße aus der vielleicht längst | |
| eingetretenen Zukunft. | |
| ## Bild-Technik des Kampfes | |
| Zu den ungemütlicheren Teilen der Ausstellung gehört der | |
| politisch-militärische Komplex. Der 2014 verstorbene Dokumentarfilmer Harun | |
| Farocki stellt in „Auge/Maschine“ dar, wie sehr visuelle Kriegstechnologien | |
| das zivile Leben durchdrungen haben. Und wie sehr zivile Kommunikation zum | |
| Geschäfts- und Kontrollmodell geworden ist, zeigt aktuell die Dokumentation | |
| der durchaus unbefriedigenden Anhörung zum Datenschutz von Facebook-Boss | |
| Mark Zuckerberg im US-Senat. | |
| Als Reaktion auf die Medienbilder zum Golfkrieg rückt Thomas Ruff an sich | |
| belanglose Motive aus Düsseldorfer Hinterhöfen mittels Nachtsichtkamera in | |
| die Anmutung von Kriegsreportagen und befreit eine vom Kampf dominierte | |
| bildgebende Technik zur Kunstsprache. | |
| Sprache selbst kann zum Bild werden, zumindest in der Verweigerung von | |
| Information: Jenny Holzer reproduziert in großformatigen handgeschöpften | |
| Drucken „Top Secret“-Papiere der CIA. Ausgerechnet bis auf das Stichwort | |
| Waterboarding ist der übrige Text der ganzen Seite geschwärzt. | |
| Ebenso machen der Fotograf Edmund Clark und der Anti-Terror-Ermittler | |
| Crofton Black das Ergebnis von Kontrolle sichtbar: An verschleppte und | |
| verschwundene Personen erinnern sie in einer großen Collage mit | |
| geschwärzten Belegen und verpixelten Fotos. | |
| Unbedingt überwältigen aber will Richard Mosse: Sein 2014 – 2017 | |
| produziertes Dreikanal-Video „Incoming“ zeigt in falschfarbigem | |
| Schwarz-Weiß Menschen auf der Flucht. In Stadt und Land, auf dem Meer und | |
| für den Blick in den von Vögeln und Kampfmaschinen geteilten Himmel benutzt | |
| er eine waffentaugliche Wärmekamera, die speziell menschliche Körper auf | |
| über 30 Kilometer Entfernung aufspüren kann. | |
| Das Leiden und die Agonie derer in den überfüllten Fahrzeugen und Booten, | |
| die wie außerirdisch dagegengesetzte technische Macht des Militärs, schon | |
| das kalte Glitzern der Rettungsfolien: Diese Bilder scheinen von einem | |
| anderen Planeten. Aber all das passiert hier, in Nordafrika, in Südeuropa , | |
| auf dem Mittelmeer. Egal was die moralischen und politischen Folgerungen | |
| sind: Es soll niemand sagen, er hätte es nicht gesehen. | |
| 19 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| hajo schiff | |
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