| # taz.de -- Foto-Ausstellung zum Donbas-Krieg: Abendessen im Kerzenlicht | |
| > Das Bayerische Armeemuseum zeigt die Ausstellung „Donbas – Krieg in | |
| > Europa“. Die Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen den Krieg jenseits der | |
| > Schauplätze. | |
| Bild: Valentina im Gemüsekeller, fotografiert im Herbst 2017 | |
| Ingolstadt taz | Ernst und erschöpft schaut Vadym starr geradeaus. Der | |
| 47-jährige Soldat der ukrainischen Armee sitzt mit der Kalaschnikow über | |
| dem Knie auf einem Sofa, dem die Rückenpolster fehlen. Das Sofa steht | |
| mitten auf einer Straße in Shyrokyne – einem Küstenort in der | |
| [1][Ostukraine]. Drumherum sind die Häuser zerstört, Bauschutt und | |
| herausgerissenes Mobiliar säumen die Straße. Es herrscht Krieg, die Armee | |
| kämpft gegen russische Milizen. Auf der Lehne des Sofas stehen gestapelt | |
| fünf heile Teller. Es ist eines der letzten Fotos von Vadym, wenige Tage | |
| danach kommt er im Mai 2019 an der Front ums Leben. | |
| Die Schwarz-Weiß-Bilder des Bamberger Fotografen und Journalisten Till | |
| Mayer aus den Jahren 2017 bis 2021 sind aktueller denn je. In Ingolstadt | |
| werden sie gezeigt unter dem Titel „Donbas – Krieg in Europa“, im | |
| [2][Bayerischen Armeemuseum]. Russlands Präsident Wladimir Putin stellt | |
| derzeit massiv Truppen vor der Ukraine auf, Einmarsch und Krieg werden | |
| befürchtet. Dass aber im Osten des Landes schon seit Jahren Krieg herrscht, | |
| ein Krieg in Europa, ist in der Öffentlichkeit weitgehend ausgeblendet. Ja, | |
| die Halbinsel Krim war 2014 von Russland besetzt worden. Seitdem kämpfen | |
| von Russland gesteuerte Milizen im Osten des Landes gegen die Armee, | |
| erobern Land, weichen wieder etwas zurück. | |
| Es ist eine menschliche Katastrophe, und es ist eine kalkulierte | |
| Komplettzermürbung. Die Gesichter der Menschen in diesen Bildern zeigen das | |
| ebenso wie ihre zumeist abgerissene Kleidung und die völlige Zerstörung um | |
| sie herum aus zerschossenen oder niedergebrannten Häuserskeletten. | |
| ## Mayer nutzt nahezu jeden freien Tag für die Fotografie | |
| An der Front bei Maripul sind die Soldaten von streundenden Hunden, Katzen | |
| und Ratten umgeben, im Kerzenlicht nehmen sie das Abendessen ein, Strom | |
| gibt es nicht. Eine Mutter pflegt das im Winter zugeschneite Grab ihres | |
| toten Sohnes. Todtraurig ist das Foto vom einstigen Zimmer einer Klasse in | |
| der Vorschule von Shyrokyne – die Absplitterungen von der Decke und den | |
| Wänden haben die Schultische zugeschüttet, sie sind kaum mehr zu sehen. Ein | |
| Soldat steht in dem verwüsteten Raum und hält ein altes Kinderbuch in der | |
| Hand. | |
| „Ich zeichne keine Schlachtengemälde“, sagt Till Mayer, „sondern mache | |
| soziale Fotografie.“ Bei seinen Aufenthalten vor Ort arbeitet der | |
| 49-Jährige meist mit einem ukrainischen Kollegen zusammen, der auch | |
| dolmetscht. „Den Leuten ist es wichtig, dass überhaupt mal jemand darüber | |
| berichtet“, meint Mayer. | |
| Das alles macht der Journalist in seiner Freizeit. Hauptberuflich ist Mayer | |
| Lokaljournalist beim Obermain-Tagblatt im oberfränkischen Lichtenfels. Dort | |
| berichtet er vom Geschehen vor Ort, über Vereine und Stadtratssitzungen, er | |
| redigiert Texte über die Aufführungen des Musikvereins. Nah dran an den | |
| Leuten. Aber jeden Urlaubstag und auch sonst nahezu jeden freien Tag nutzt | |
| er seit 2017 für seine Reisen in die Ostukraine und die Arbeit dafür. | |
| Finanziell lohnt sich das nicht. Doch Mayer geht es um die Sache: „Ich gehe | |
| in die Orte, wenn der Medientross schon wieder weg ist.“ | |
| Der schnelle Fokus auf ein Ereignis bestimmt weite Teile der herkömmlichen | |
| Kriegsberichterstattung. Flash an, ein paar drastische Aufnahmen und | |
| Beschreibungen. Flash aus, der Krieg wird wieder vergessen. Vor 2017 reiste | |
| Mayer lange Jahre als ehrenamtlicher Helfer des Roten Kreuzes in | |
| verschiedene Konfliktregionen der Welt, nebenbei fotografierte und schrieb | |
| er. Während andere im Urlaub in der Toskana oder der Provence ein bisschen | |
| Land-Art-Fotos produzieren, fährt er mit seiner Kamera in die ukrainischen | |
| Oblasten – das bedeutet Gegenden – Lugansk und Donezk. Das ist der Donbas, | |
| einst für seine Kohleförderung und Stahlproduktion bekannt. | |
| Mittlerweile hat der Krieg zu 13.500 Toten geführt, 3,5 Millionen Menschen | |
| sind Binnenvertriebene. | |
| ## „Kein Sanatorium für gekränkte Wehrmachtsseelen“ | |
| Nun zum Ausstellungsort, dem Bayerischen Armeemuseum. Dieses ist im | |
| mächtigsten historischen Gebäude von Ingolstadt angesiedelt, dem Neuen | |
| Schloss aus dem 15. Jahrhundert. Es ist eine riesige Anlage, zum Eingang | |
| läuft man über zwei Burggräben und vorbei an einer ganzen Batterie | |
| aufgestellter Kanonen. Es gibt auch eine Ausstellung mit dem Titel „Formen | |
| des Krieges 1600 bis 1815“. In München wurde das Museum 1879 gegründet mit | |
| militaristischer Mission. | |
| „Es war damals ein Denkmal des Sieges über Frankreich 1871“, sagt der | |
| Leiter Ansgar Reiß im Gespräch mit der taz. Nach den Zerstörungen im | |
| Zweiten Weltkrieg war das Armeemuseum lange Zeit vergessen. Bis es 1972, | |
| vor 50 Jahren, in diesem wuchtigen Schloss in Ingolstadt wiedereröffnet | |
| wurde. Das war durchaus gedacht als konservativer oder auch reaktionärer | |
| Kontrapunkt zum sich völkerverständig zeigenden [3][München in diesem Jahr | |
| mit den Olympischen Spielen], die für ein friedliches, weltoffenes | |
| Deutschland stehen sollten. | |
| Das Museum blieb auf das Militärhistorische beschränkt – sachlich, so gut | |
| das geht. Doch diese Phase will der Leiter Reiß hinter sich wissen. „Jetzt | |
| sind wir ein kritisches historisches Museum“, sagt er. Und da passen die | |
| Fotos von Till Mayer bestens. „Es geht um die Aufarbeitung von Militär, | |
| Krieg und Gewalterfahrung.“ Weiter meint Reiß, auch auf die [4][Ostukraine] | |
| gemünzt: „Krieg hört nicht dann auf, wenn keiner hinschaut.“ Diese Öffnu… | |
| des Museums war nicht immer einfach. Im Jahr 2011 zog eine Ausstellung über | |
| die NS-Militärjustiz und ihre Opfer den Zorn des Freundeskreises des | |
| Museums auf sich. NS-Juristen würden darin pauschal diffamiert, so die | |
| Kritik. Den Konter von Reiß zitierte der Ingolstädter Donaukurier: Das | |
| Museum sei „kein Sanatorium für gekränkte Wehrmachtsseelen“. | |
| Schwarz-Weiß ist für den Fotografen Till Mayer ein ästhetisches Mittel. Das | |
| Dargestellte wirkt eindrücklicher, fokussierter, keine bunten Farbkleckse | |
| lenken ab. Besonders beeindruckend in der Ausstellung ist ein eigener Raum | |
| mit neuen Fotos: nur mit Frauen aus dem Krieg, meist aus dem Jahr 2021. Zu | |
| sehen sind die Arme einer jungen Kämpferin, sie hat sich den „Kleinen | |
| Prinzen“ als Tattoo stechen lassen. Die Fingernägel sind lackiert, sie hält | |
| die Waffe. Die Soldatin Lera wiederum posiert starr, sie hat daheim zwei | |
| kleine Kinder. Olesia, 19, schaut in die Kamera, sie hat kurze Haare und | |
| eine Baseballmütze auf dem Kopf. Sie wollte studieren, doch kurz nach der | |
| Aufnahme dieses Fotos wurde sie im Krieg getötet. | |
| 1 Feb 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ukraine-Konflikt-und-Deutschland/!5828931 | |
| [2] https://www.armeemuseum.de/de/ | |
| [3] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-olympia-jubilaeum-olympische-… | |
| [4] /Neue-Gefechte-in-der-Ostukraine/!5759007 | |
| ## AUTOREN | |
| Patrick Guyton | |
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