| # taz.de -- Kunst und Kolonialismus: Expressionistischer Südseetraum | |
| > Mit einer Doppel-Ausstellung beginnt das Brücke-Museum die Aufarbeitung | |
| > seines kolonialen Erbes. Das ist in den Werken der Brücke bis heute | |
| > sichtbar. | |
| Bild: Max Pechstein, Chogealls, 1917, Öl auf Leinwand | |
| Berlin taz | Die Dekolonisierung Berlins ist wieder ein Stück | |
| vorangekommen: mit der Doppelausstellung „Whose expression? Die Künstler | |
| der Brücke im kolonialen Kontext“ und „Transition Exhibition“ beginnt das | |
| Brücke-Museum die Auseinandersetzung mit den kolonialen Verwicklungen der | |
| berühmten Künstlerbewegung, deren Erbe es verwaltet. Dies ist insofern | |
| naheliegend, als die allgemeine koloniale Begeisterung an der Schwelle zum | |
| 20. Jahrhundert auch von den Männern dieser Gruppe geteilt wurde, die 1905 | |
| in Dresden von den vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz | |
| Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gegründet wurde. Wenig später | |
| kamen unter anderem Max Pechstein und Emil Nolde dazu. | |
| Sie alle besuchten die damals in Europa populären „Völkerschauen“ in Zoos | |
| und Zirkussen sowie die neu gegründeten Völkerkundemuseen. In den dort | |
| präsentierten „Anderen“ und „Wilden“ fanden sie Inspiration für ihre … | |
| mit der sie sich vom bürgerlichen Mainstream ihrer Zeit absetzen wollten. | |
| „Die Völkerkundemuseen waren so etwas wie die Initialzündung für die | |
| Künstlerbewegung“, erklärte die Direktorin des Brücke-Museums, Lisa Marei | |
| Schmidt, am Freitag bei der Pressevorbesichtigung. | |
| Unter anderem am Beispiel der [1][Benin-Bronzen, deren Rückgabe an Nigeria | |
| im kommenden Jahr ansteht,] zeigt die Ausstellung, wie etwa Nolde und | |
| Kirchner im Dresdner Völkerkundemuseum – völlig begeistert von der für sie | |
| neuen Ästhetik und Formsprache – Skizzen für spätere Gemälde anfertigten. | |
| Ein weiteres Kapitel der Ausstellung, die auf einer Kooperation mit dem | |
| Statens Museum in Kopenhagen und dem Stedelijk Museum Amsterdam beruht, | |
| befasst sich mit den Ateliers der Künstler. Kirchner etwa ist nie gereist, | |
| schuf sich jedoch in seinem Arbeitsraum eine eigene „exotische“ Lebenswelt | |
| – mit bestickten Wandvorhängen, gekauften Objekten wie einem | |
| Leoparden-Hocker aus Kamerun (der lange für ein Werk Kirchners gehalten | |
| wurde) sowie selbst geschnitzten Objekten. | |
| ## Künstler als Sammler kolonialer Objekte | |
| Überhaupt sammelten die meisten Brücke-Künstler selbst Kunst- und | |
| Alltagsobjekte aus den Kolonien, auch damit setzt sich die Ausstellung | |
| auseinander. Den mehr als 100 Werken aus aller Welt aus dem Nachlass von | |
| Schmidt-Rottluff widmet das Museum im benachbarten Kunsthaus Dahlem die | |
| zweite Ausstellung „Transition Exhibition“. Erstmals werden dort alle | |
| Sammlungsobjekte gezeigt, zeitgenössische Künstler kommentieren sie mit | |
| eigenen Werken und Interventionen. | |
| Zudem wurde die Schmidt-Rottluff-Sammlung für diesen Anlass digitalisiert | |
| und auf Wikimedia Commons veröffentlicht – und ist somit nun allgemein | |
| zugänglich und editierbar. „Wir wissen bislang wenig bis nichts über die | |
| Erwerbsumstände der Objekte“, so Schmidt. Mit der Veröffentlichung sei ein | |
| Anfang für weitere Forschung gemacht, auch Restitutionsforderungen seien | |
| nun möglich, ergänzte Daniela Bystron, Kuratorin des Museums für „Outreach… | |
| und Kooperationen. | |
| Finanziell unterstützt wird das Brücke-Museum dabei vom Land Berlin. 2019 | |
| hat Rot-Rot-Grün beschlossen, ein gesamtstädtisches Aufarbeitungs- und | |
| Erinnerungskonzept zum Thema Kolonialismus zu entwickeln – die | |
| Dekolonisierung der Landesmuseen ist ein Teil davon. Entsprechend haben | |
| sich die Brücke-Kurator*innen auch Beratung bei der „Dekoloniale“ gesucht, | |
| dem von postkolonialen und antirassistischen Gruppen getragenen | |
| Erinnerungsprojekt, das nun im Auftrag des Senats Museen bei ihrer | |
| Entkolonialisierung berät. | |
| In Dahlem hat die Dekoloniale bei der Erstellung eines Glossars und eines | |
| Zeitstrahls geholfen, der im Eingangsbereich in den kolonialen Kontext der | |
| Brücke-Künstler einführt. Zudem kommt einer der Dekoloniale-Macher, Tahir | |
| Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), in einem | |
| Video-Kommentar als Teil der Ausstellung zur Wort. | |
| ## Die Schwarzen Modelle | |
| Überhaupt sind die über die Ausstellung verstreuten Video-Kommentare | |
| hilfreich, damit auch Laien die präsentierten Gemälde, Skizzen, Fotos und | |
| Objekte aus postkolonialer Perspektive einordnen können. Die Schwarze | |
| Autorin und Künstlerin Natascha A. Kelly etwa hat sich anlässlich der | |
| Ausstellung mit den Schwarzen Modellen befasst, die zahlreich in die | |
| Ateliers der Brücke-Künstler einbestellt und gemalt wurden. Trotz ihrer | |
| wichtigen Rolle in den Gemälden, so Kelly, sei zu ihnen kaum geforscht | |
| worden. „Es gibt mehr über die schwarze Katze von Kirchner als über seine | |
| schwarzen Modelle, das allein ist schon eine Ansage.“ | |
| Von den rund 30 Schwarzen Modellen seien heute nur drei namentlich bekannt, | |
| erklärt sie: „Milly“, „Nelly“ und „Sam“, Letzterer ein männliches… | |
| Milly und Nelly seien damals häufige Namen gewesen, die Schwarzen in der | |
| Regel von Weißen gegeben wurden, so Kelly. Sie vermute, dass die Frauen | |
| Tänzerinnen oder Zirkusartistinnen gewesen seien, in Archiven habe sie | |
| einen Hinweis auf den Zirkus Schumann gefunden. Außerdem hätten Schwarze | |
| Menschen damals in Deutschland kaum andere Arbeit finden können. Was | |
| übrigens auch zum Stereotyp der „Schwarzen Tänzerin“ beigetragen haben | |
| dürfte, merkt sie an, das in Teilen bis heute durch Köpfe spukt. | |
| Ein weiteres Stereotyp, zu dessen Popularisierung die Brücke-Künstler | |
| beitrugen, war die „unberührte Südsee“. Hier fokussiert die Ausstellung a… | |
| Emil Nolde und Max Pechstein – die einzigen Brücke-Mitglieder, die wirklich | |
| in die Kolonien reisten. Pechstein war 1914 mit seiner Frau Lotte auf den | |
| Palau-Inseln, kurz davor 1913 waren Nolde und seine Frau Ada Teil einer | |
| „medizinischen Expedition“ im heutigen Papua-Neuguinea. Sie sollte, vom | |
| Kolonialamt finanziert, die Ursache für das sogenannte „Arbeiterproblem“ | |
| ergründen – die Tatsache, dass es für die Kolonialunternehmen vor Ort immer | |
| schwieriger wurde, Arbeiter zu finden. | |
| Die medizinischen Leiter der Expedition wie auch Nolde waren überzeugt, | |
| dass dahinter ein angeblicher „Geburtenrückgang“ unter den | |
| Einwohner*innen steckte, erfährt man im Katalog zur Ausstellung. Dort | |
| wird Nolde so zitiert: „Die Eingeborenen wollen aussterben. Lieber dies – | |
| als für die Fremden arbeiten. Ihre fruchtbare eigene Insel war ihnen von | |
| einem Weißen genommen, sie selbst waren auf eine öde, kleine Nachbarinsel | |
| versetzt worden und mussten nun (…) in den fremden Kokospflanzungen ihrer | |
| Heimatinsel die Arbeit tun. (…) Das Kolonisieren ist eine brutale | |
| Angelegenheit.“ | |
| ## Das Südsee-Idyll auf Leinwand | |
| Das Lamentieren über den Untergang der Urkultur und der „Naturvölker“ dur… | |
| den Kontakt mit der „Zivilisation“, das in Notizen und Briefen beider | |
| Künstler zum Ausdruck kommt, sei jedoch nicht als grundsätzliche Kritik am | |
| Kolonialismus zu verstehen, betonte Brücke-Direktorin Schmidt. Die damals | |
| gängigen Vorstellungen von verschiedenen Menschen„rassen“ und der | |
| Überlegenheit der eigenen „weißen“, die allgemein als Rechtfertigung für | |
| den Kolonialismus galten, teilte man auch in der Brücke. | |
| Tatsächlich sieht man auf den Bildern von Nolde und Pechstein nichts von | |
| der kolonialen Realität. Nolde zeichnete und malte die Menschen mit ihrem | |
| Schmuck, ihrer Kleidung, ihren Frisuren – eine Art Ethnologe in eigenem | |
| Auftrag. Anonsten produzierte er unberührte Meeresbuchten und Landschaften | |
| in leuchtenden Farben sowie unbeschwerte „Eingeborene“ in ihrer | |
| „natürlichen“ Umgebung – der europäische Traum vom Südsee-Idyll. | |
| Schmidt erklärt diese „Kolonial- Amnesie“ – das Ausblenden der kolonialen | |
| Realität – damit, dass die Künstler in der „Südsee“ eben das gefunden | |
| hätten, was sie suchten: das Paradies, wie es schon Paul Gauguin propagiert | |
| und gemalt hatte. Tiefgründige soziale Fragen hätten sie ohnehin nicht | |
| umgetrieben, „auch das Berliner Elend hat sie nicht interessiert“, so | |
| Schmidt. Zudem habe vor allem Pechstein „sehr auf den Markt geachtet, was | |
| sich verkauft“. Bis zu seinem Lebensende 1955 sei seine Reise nach Palau | |
| eines seiner Hauptthemen geblieben – ein sehr erfolgreiches dazu. Und | |
| eigentlich, fügte sie hinzu, funktioniere das Südsee-Klischee ja bis heute, | |
| wie man etwa im Tourismus sehe. | |
| Bei der Auseinandersetzung mit diesen Zusammenhängen, betonte Schmidt, gehe | |
| es jedoch nicht darum, die Künstler aus einem heutigen Überlegenheitsgefühl | |
| heraus zu verurteilen. „Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen.“ Und | |
| will damit sagen: Es gibt eine Verpflichtung, sich dem kolonialen Erbe der | |
| Brücke zu stellen. Der Anfang ist mit der Doppel-Ausstellung nun gemacht. | |
| 22 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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