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# taz.de -- Rückgabe-Diskussion: Der Dino in der Politik
> Ein Forschungsprojekt des Naturkundemuseums mit
> Wissenschaftler*innen aus Tansania hilft auch bei der
> Wiedergutmachung kolonialen Unrechts.
Bild: Agness Gidna, Paläontologin am Nationalmuseum Tansania, bei der Grabung
Wem [1][gehört der Dino] Giraffatitan (Brachiosaurus) brancai, der im
Hauptsaal des Museums für Naturkunde (MfN) steht? Das angeblich größte
rekonstruierte Dino-Skelett der Welt ist seit Jahrzehnten eine der
Hauptattraktionen des Museums. Doch in der Diskussion um die kolonialen
Kontexte hiesiger Museen gibt es immer wieder Stimmen, die seine Rückgabe
an das Herkunftsland Tansania fordern. Denn die Fossilien wurden bei einer
kolonialen Expedition 1909 bis 1913 im damaligen „Deutsch-Südostafrika“
geborgen und nach Berlin verbracht.
Am Mittwoch nun hat das Museum erste Ergebnisse eines gemeinsamen
Forschungsprojekts mit dem Nationalmuseum Tansania und der Universität von
Daressalam am Herkunftsort des Dinos – dem Hügel [2][Tendaguru in
Südost-Tansania] – vorgestellt. Die Funde seien „sensationell, allein schon
aufgrund der schieren Masse“, erklärte Daniela Schwarz, Saurierspezialistin
am MfN. Insgesamt wurden in wenigen Tagen mehr als eine Tonne Knochen
geborgen. Große Extremitätenknochen (der größte über 1 Meter 40) seien
dabei sowie zahlreiche Fragmente von Wirbeln, Rippen und Gürtelknochen.
„Ein Fund dieser Größenordnung war nicht zu erwarten“, sagt Schwarz, da d…
Gebiet in der Vergangenheit schon oft untersucht worden sei. Zwar seien die
Funde nicht ausreichend, um einen weiteren kompletten Dino zu
rekonstruieren, sagte sie auf taz-Nachfrage. Doch durch die Erkundungen am
Boden sowie Luftaufnahmen sei man nun in der Lage, genaue Orte zu
bestimmen, an denen sich weitere Grabungen lohnen würden.
Das Projekt mit dem Namen „[3][Fossil Heritage in Tansania]“ ist
durchdrungen von der Idee, über wissenschaftliche Zusammenarbeit eine Art
Wiedergutmachung kolonialen Unrechts zu erreichen. Eines der expliziten
Ziele: das Potenzial des Gebietes um Tendaguru für neue Dinosaurierfunde,
die in Tansania bleiben können, zu erkunden. Dabei geht es, auch wenn dies
niemand offen ausspricht, natürlich auch darum, tansanischen Forderungen
nach Rückgabe des berühmten „Berliner“ Dinos den Wind aus den Segeln zu
nehmen.
Bekanntermaßen sperrt sich MfN-Chef Johannes Vogel seit Jahren gegen solche
Forderungen, vor allem mit dem Argument, die eigentliche Forschungsarbeit
an den Fossilien sei damals in Deutschland geschehen. Gleichzeitig zeigt er
sich offen für das Thema Kolonialismus in hiesigen Museen. „Das Museum ist
der Diskussion über den kolonialen Kontext seiner Sammlungen sehr
verbunden“, sagte er denn auch am Mittwoch. Man wolle Verantwortung
übernehmen und arbeite daher schon lange eng mit Wissenschaftlern aus
Herkunftsländern zusammen.
In der Tat scheinen die beteiligten tansanischen Wissenschaftler sehr
zufrieden mit dem Dino-Projekt. Allein, dass die aktuelle Expedition unter
Führung tansanischer Wissenschaftler stattgefunden habe und von ihnen
koordiniert wurde, sei eine große Errungenschaft, so der Archäologe Frank
Masele von der Universität der tansanischen Hauptstadt Daressalam. „Es gab
viele Expeditionen zu Kolonialzeiten, aber dies war die erste, die wirklich
den Tansaniern gehört. Es gab hier keine kolonialen Aspekte.“
Dazu gehört auch, dass dieses Mal die Funde im Land bleiben und an der Uni
Daressalam präpariert und beforscht werden sollen. Die deutsche Seite würde
dafür Hilfe anbieten, etwa bei der Ausbildung von Präparatoren, sagte
Vogel; aber nur in Einzelfällen, wenn es notwendig wäre, würden Stücke nach
Berlin gebracht. „Und auf jeden Fall gehen sie zurück ins Herkunftsland“,
betonte er.
Dass dort die Erinnerungen an die koloniale Grabung vor über 100 Jahren
weiterhin sehr gegenwärtig sind, brachte das „Fossil Heritage“-Projekt
ebenfalls zutage. Neben der Fossiliensuche wurden nämlich die
BewohnerInnen von vier Dörfern rings um Tendaguru befragt.
Dazu erklärte der Historiker Musa Sadock von der Universität Daressalam:
„Die aktuellen Bewohner erinnern sich an die Namen ihrer Vorfahren, die die
Dinosaurier-Überreste ausgegraben haben, die von den Kolonisatoren
mitgenommen wurden.“ Sie könnten auch die Route beschreiben, entlang deren
ihre Vorfahren die insgesamt 200 Tonnen Knochenfunde seinerzeit bis zur
Küstenstadt Lindi tragen mussten – immerhin rund 60 Kilometer. Bis heute
würde „Tendaguru site“ zudem als „heiliger Ort“ angesehen, den man nur…
bestimmten Ritualen betreten dürfe.
Besonders betonte Sadock, dass sich die BewohnerInnen der Gegend einig
seien, dass auch sie (endlich) von der berühmten Fundstätte profitieren
wollen. Sie forderten den Bau eines Museums und wollten auch an Einnahmen
durch Dino-Funde beteiligt werden, um Straßen, Elektrizität und Bildung
finanzieren zu können. Allerdings gebe es Uneinigkeit darüber, wem die
Grabungsstelle gehöre: „Jedes Dorf beansprucht den Besitz für sich“, so
Sadock.
Uneinigkeit bestehe vor Ort auch in der Frage, ob der „Berliner Dino“
zurück an seinen Herkunftsort gehöre, sagte Sadock auf taz-Nachfrage.
Manche würden dies in der Tat fordern, andere hingegen befürworteten, dass
er in Berlin bleibt. „Aber Deutschland soll Geld geben“ für Straßenbau und
Weiteres – dies habe er oft gehört, so der Historiker.
Auch die tansanischen WissenschaftlerInnen wussten auf die Frage, ob sich
mit dem Projekt und der Aussicht auf weitere Dino-Funde die Forderungen
nach Rückgabe des Dinos erledigen würden, keine Antwort. „Das ist harte
Politik, das entscheiden unsere Bosse“, sagte Masele. Tatsächlich ist die
Frage politisch offenbar heikel: Auswärtiges Amt (AA) und MfN haben in der
Vergangenheit immer wieder betont, es gebe gar kein offizielles
Rückgabeersuchen der tansanischen Regierung.
Der tansanische Botschafter in Berlin, Abdallah Possi, hatte aber genau
dies im vorigen Jahr in deutschen Medien angekündigt. Und auch in Tansania
selbst äußern vor allem WissenschaftlerInnen und Museumsleute
Rückgabeforderungen – vom Berliner Dino wie von Kulturgütern gleichermaßen.
Ein wenig erinnert die Situation an die Diskussion [4][um die
Benin-Bronzen] im vorigen Jahr: Damals hatte der Botschafter Nigerias,
Yusuf Tuggar, immer wieder öffentlich die Forderung nach Rückgabe gestellt,
während AA und betroffene deutsche Einrichtung, in diesem Fall die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz, stets betonten, es gebe dazu nichts
Offizielles von der Regierung Nigerias. Am Ende musste Deutschland trotzdem
nachgeben und die Rückgabe der Bronzen zusagen: Zu groß war der öffentliche
Druck und potenzielle Imageschaden nicht nur fürs Humboldt Forum, wo die
Bronzen gezeigt werden soll(t)en, sondern ingesamt für Deutschlands
internationalen Ruf.
Beim Dino liegt die Sache allerdings etwas anders: Eine breitere Debatte,
ob er rechtmäßig hier ist oder nicht, gibt es bislang nicht – zumindest
nicht in Deutschland. Dennoch ist das „Fossil Heritage“-Projekt weit mehr
als ein Wissenschaftsprojekt, sondern „voller politischer Komponenten“, wie
Vogel sagte. Deshalb wurde es mit 1,7 Millionen Euro vom AA finanziert –
und deshalb ist Vogel zuversichtlich, dass die Politik auch die Fortführung
des Projekts – mit intensiveren Grabungen, die noch mehr Knochenfunde
bringen sollen – bezahlen wird.
20 Oct 2021
## LINKS
[1] /Dekolonisierung-in-Berlin/!5702686
[2] /Ausstellung-Not-A-Single-Bone-in-Berlin/!5442918
[3] https://www.museumfuernaturkunde.berlin/en/presse/pressemitteilungen/discov…
[4] /Schwerpunkt-Kunst-und-Kolonialismus/!t5773861
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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