Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ethnologe Awono über Restitution: „Die Objekte symbolisieren Gew…
> Kolonialbeute könne man nicht einfach pauschal zurück fordern, sagt der
> Ethnologe Ndzodo Awono. Das würde Europa von seiner Verantwortung
> befreien.
Bild: Wurde diese Pfeife geraubt oder gekauft? Im kolonialen Konterxt egal, fin…
taz: Herr Awono, Sie haben drei Jahre lang zur [1][Provenienz], also zur
Herkunft der Kamerun-Sammlung im [2][Bremer Überseemuseum] geforscht. Aus
welchem Kontext stammen die Objekte?
Ndzodo Awono: Aus den Recherchen ging hervor, dass große Teile der Sammlung
durch das Militär nach Bremen gekommen sind. Andere stammen von Händlern,
die ihre Beziehungen in den ehemaligen Kolonialstaaten ausnutzten, um sich
die Objekte anzueignen. Was mich erschreckt hat, ist, dass sich im
[3][Überseemuseum die Kriegsbeute] aus dem Palast von Lamido Mohaman Lamou
befindet, die von einer Strafexpedition im Jahr 1899 stammt. Lamou war der
Herrscher der Volksgruppe Fulbe in der kamerunischen Stadt Tibati. Alles,
was man im Palast finden konnte, wurde bei dieser Expedition beschlagnahmt.
Diese Objekte sind demnach Raubkunst.
Aus meiner Sicht wurde ein Großteil der Objekte geraubt. Auch wenn einige
Dinge angeblich gekauft wurden, muss man den Kontext der Kolonialisierung
berücksichtigen. Auch Geschenke, die die Europäer in den Kolonien bekamen,
waren oft Teil von diplomatischen Verhandlungen und Versuche der lokalen
Herrscher, ihre Macht nicht zu verlieren. Dinge, die aufgrund der
Einschüchterung der lokalen Bevölkerung übergeben wurden, sind für mich
geraubte Objekte.
Müssen diese Objekte, die illegal erworben wurden, nun an Kamerun
zurückgegeben werden?
Das ist eine schwierige Frage. Um die zu beantworten, müssen auf beiden
Seiten sowohl Politiker mitwirken, als auch die Bevölkerung. Die Frage
dabei ist, welche Rolle die Objekte vor Ort spielen. Oft sind sie Ausdruck
der Identität bestimmter Gruppen. Gleichzeitig müssen wir sehr genau
schauen, was zurückgebracht werden kann.
Was meinen Sie damit?
Diese Objekte symbolisieren die Gewalt gegen die lokale Bevölkerung und die
Verantwortung, die die Kolonialmächte dafür tragen. Die Rückgabe aller
Objekte wäre gleichbedeutend mit der Befreiung Europas von seiner
Verantwortung für die koloniale Gewalt. Geschichte kann man aber nicht
löschen. Objekte, die für das jeweilige Land und die dortige Bevölkerung
wichtig sind, müssen zurückgegeben werden. Am wichtigsten sind dabei
Gebeine, damit man die Menschen endlich beerdigen kann. Auf jeden Fall
zurückgebracht werden müssen aber auch Dinge, die durch Strafexpeditionen
nach Europa gelangt sind.
Wie genau sollte der Rückgabeprozess aussehen?
Auf jeden Fall können die europäischen Länder und Museen nicht alleine
entscheiden, was zurückgegeben wird. Die Objekte sind zu Weltkulturgütern
geworden. Ich finde einen Dialog mit den Herkunftsländern über die Objekte
und deren Rückgabe sehr wichtig. Nur aus solchen Diskussionen können
gemeinsam Lösungen entstehen.
Diskussionen, wie es sie etwa über die [4][Benin-Bronzen im Berliner
Humboldt-Forum] derzeit gibt?
Deutsche Behörden dürfen auf keinen Fall alleine entscheiden, ob diese
Bronzen in Berlin bleiben. Die Entscheidung sollte bei der nigerianischen
Regierung liegen. Dafür muss man aber genau und transparent
veröffentlichen, was sich in dem Museum befindet. Trotzdem ergibt es nicht
immer Sinn, Objekte zurückzufordern.
Warum nicht?
Die Rückgabe von Gegenständen erfordert aus meiner Sicht die Erfüllung
bestimmter Voraussetzungen. Es muss garantiert sein, dass die Objekte vor
Ort sicher aufbewahrt werden können. Aktuell würde ich mir in einigen
Fällen Sorgen um die Zukunft der Objekte machen. Damit die Bedingungen für
eine Rückführung auf beiden Seiten garantiert sind, braucht es nicht nur
Geld, sondern auch ausgebildetes Personal.
In den 1960er- und 70er-Jahren gab es nach der Unabhängigkeit vieler
afrikanischer Länder Debatten und Forderungen über die Rückgabe von
Raubkunst aus der Kolonialzeit. Warum ist damals nichts passiert?
Nach der Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten mussten sich diese
zuerst vor allem um wirtschaftliche und politische Dinge wie
Demokratisierungsprozesse kümmern. In Europa hat man zu den Forderungen
geschwiegen, in Afrika hatte man andere Prioritäten.
Was kann man daraus für die heutige Debatte mitnehmen?
Dass heute über diese Dinge gesprochen wird, verdanken wir vor allem
europäischen und afrikanischen Historikern. Da ist etwa Alexandre Kum’a
Ndumbe, der auch in Berlin lehrte und lange Zeit die Rückgabe des Tangués,
eines im Kamerun gestohlenen Bootsornaments gefordert hatte, allerdings
ohne die Unterstützung der Regierung von Kamerun. Einzelne Stimmen, die
eine Rückgabe fordern, gibt es schon lange, in Deutschland heißt es dazu
jedoch, man verhandle nur mit dem Staat, nicht mit einzelnen Personen.
Mittlerweile beschäftigt die Frage der Provenienz jedoch so viele
Wissenschaftler, diese Stimmen kann man nicht mehr überhören.
Es tut sich also was?
Es freut mich, dass Afrikanische Regierungen sich jetzt stärker mit dem
Thema beschäftigen. Wie weit sie wirklich gehen, wird sich zeigen. Ich habe
den Eindruck, dass die Kultur in der Prioritätenliste häufig auf den
letzten Plätzen ist. Dabei geht es nicht mehr nur um die Objekte einzelner
Gruppen, sondern um das Kulturerbe ganz Afrikas.
Lesung „Afrikas Kampf um seine Kunst“ von Bénédicte Savoy. 8.10.2021, 18.…
Uhr, im Festsaal der Bremischen Bürgerschaft, Am Markt 20
7 Oct 2021
## LINKS
[1] /Anfaenge-der-Restitutionsdebatte/!5769743
[2] https://www.uebersee-museum.de/
[3] /Rueckgabe-von-geraubter-Kunst/!5591215
[4] /Humboldt-Forum/!5797821
## AUTOREN
Teresa Wolny
## TAGS
Bremen
Göttingen
Provenienz
Restitution
Kolonialismus
IG
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
Ethnologie
Museum
Ethnologie
Benin
Restitution
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
US-Sklaverei-Geschichte
## ARTIKEL ZUM THEMA
Museumsbund wählt Präsidentin: Wiebke Ahrndt soll's machen
Noch nie hatte der Deutsche Museumsbund eine Präsidentin. Nun hat der
Vorstand die Direktorin des Bremer Überseemuseums vorgeschlagen.
Neue Dauerausstellung im Linden-Museum: Lediglich ein Extrakt
Das Stuttgarter Linden-Museum zeigt dauerhaft Teile seiner enormen
Ozeanien-Sammlung. Und beleuchtet damit auch die koloniale
Erwerbsgeschichte.
Provenienzforschung in Braunschweig: Der Patronengurt des Helden
Kaufleute und Militärs stifteten ihrer Stadt gerne erbeutete Trophäen. Das
Museum nimmt jetzt diese historisch sensiblen Bestände ins Visier
Koloniale Raubkunst: Frankreich gibt etwas zurück
Benins Präsident Patrice Talon darf 26 historische Objekte aus Paris nach
Hause zurückbringen. Französische Truppen raubten sie im Jahr 1892.
Aktivistin über koloniales Erbe: „Der Schmerz ist noch präsent“
Wahrscheinlich geraubt und jetzt im Berliner Humboldt Forum: Sylvie Vernyuy
Njobati kämpft um die Rückgabe einer Figur mit spiritueller Bedeutung.
Rückgabe-Diskussion: Der Dino in der Politik
Ein Forschungsprojekt des Naturkundemuseums mit
Wissenschaftler*innen aus Tansania hilft auch bei der Wiedergutmachung
kolonialen Unrechts.
Einigung zu Raubkunst aus Nigeria: Fahrplan für die Bronzen
Deutschland und Nigeria unterzeichnen Absichtserklärung: Alle Benin-Bronzen
werden zurückgegeben, ein kleiner Teil soll in Museen „zirkulieren“.
Anfänge der Restitutionsdebatte: Der Rückgabe-Pionier
Herbert Ganslmayr, Direktor des Bremer Überseemuseums, wollte schon vor 50
Jahren Raubkunst zurückgeben. Dafür wurde er von Kollegen angefeindet.
Bloß keine Geschichte: Der Mythos der sauberen Baumwolle
Mit rhetorischen Tricks kontert die Bremer Baumwollbörse
Rassismus-Vorwürfe. Die eigene Rolle bei der Versklavung wird am World
Cotton Day ignoriert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.