| # taz.de -- Neue Dauerausstellung im Linden-Museum: Lediglich ein Extrakt | |
| > Das Stuttgarter Linden-Museum zeigt dauerhaft Teile seiner enormen | |
| > Ozeanien-Sammlung. Und beleuchtet damit auch die koloniale | |
| > Erwerbsgeschichte. | |
| Bild: Die Uli-Figuren standen mal im Zentrum von Zeremonien, jetzt in einer neu… | |
| Vierundzwanzig Flugstunden trennen Europa von Ozeanien, also dem Kontinent, | |
| zu dem Australien, Mikronesien, Melanesien und Polynesien gehören. Selbst | |
| dort gab es zwischen 1884 und 1918 deutsche Kolonien, die sogenannten | |
| deutschen Schutzgebiete Deutsch-Neuguinea sowie die deutschen Samoainseln. | |
| In jenen Jahren gelangten die meisten Objekte der Ozeanien-Sammlung in das | |
| Stuttgarter Linden-Museum. | |
| Zwanzig Jahre lang waren sie aus Platzgründen nicht in der Dauerausstellung | |
| zu sehen. Die neu eröffnete Sammlungspräsentation bringt uns die Kunst | |
| dieser weit entfernten Orte näher – und vermittelt auch, wie diese | |
| faszinierenden Objekte überhaupt ins Linden-Museum kommen konnten. | |
| Auf nur 300 Quadratmetern sind 270 Alltags- und Kultgegenstände zu sehen, | |
| lediglich ein Extrakt aus der 23.000 Objekte umfassenden Ozeanien-Sammlung | |
| des Museums. Geordnet sind sie nicht nach Regionen, sondern nach Themen. | |
| Denn obwohl die Inseln der Südsee oftmals Tausende Kilometer voneinander | |
| entfernt liegen, hat sich eine gemeinsame Formensprache entwickelt. | |
| Charakteristisch sind Wellenmuster, die sowohl Architekturelemente, Boote, | |
| Paddel, Keulen oder Figuren schmücken. Dabei handelt es nicht um | |
| standardisierte Muster, sondern um individuell für einen Gegenstand | |
| gestaltete Varianten. | |
| Kein Wunder also, dass Serge Brignoni von einem figürlich gestalteten | |
| Aufhängehaken begeistert war, der einst in einem Männerhaus in | |
| Papua-Neuguinea hing. Die monumentale Skulptur stammt aus der Sammlung des | |
| 2002 verstorbenen Schweizer Bildhauers und Malers, der wie viele | |
| Künstler*innen der Moderne von indigener Kunst fasziniert war. | |
| In ihrem ursprünglichen Kontext genügte sie auch spirituellen Ansprüchen, | |
| wie die mächtige Giebelmaske, die laut Ozeanien-Referent Ulrich Menter als | |
| „Gesicht des Hauses“ verstanden wurde. In der zurückhaltenden Szenografie | |
| des Berliner Büros neo.studio, das die Ausstellung in einen warmen | |
| Farbklang aus Siena und Blaugrün getaucht hat, werden der Haken und die | |
| Maske zu Kunstwerken. | |
| Im harten Kontrast zu den rhythmisch schwingenden Linien des ozeanischen | |
| Lebensgefühls stehen die grimmigen Uli-Figuren, die dem zeremoniellen | |
| Gedenken wichtiger Mitglieder der Gemeinschaft dienten. Sie verkörperten | |
| sowohl das nährende, weibliche Prinzip wie das kraftvolle, aggressiv | |
| männliche. Eine der fast menschengroßen Figuren gelangte über den | |
| Kolonialbeamten Wilhelm Wostrack und den Gouverneur von Deutsch-Guineas | |
| Albert Hahl in das Linden-Museum. | |
| Beide gehörten zum gigantischen Erwerbungsnetzwerk des Museumsgründers Carl | |
| von Linden, das für das Projekt „[1][Schwieriges Erbe]“ erforscht wurde. | |
| Laut Objektschild notierte Wostrack im Gegensatz zu anderen Sammlern | |
| Verwendung und Herkunft der Objekte. Wie er zu der wertvollen Uli-Figur | |
| gekommen ist, liegt jedoch noch im Dunkeln. | |
| Solche Provenienzen auf Unrechtskontexte zu erforschen, betrachtet das | |
| Linden-Museum „gegenwärtig und in der Zukunft“ als eine seiner zentralen | |
| Aufgaben. Das aber kommt einer Sisyphosarbeit gleich. Allein für den | |
| Ozeanien-Bereich seien 72 Objektgeber bekannt und 100 Sammlungskontexte, | |
| sagt Ulrich Menter. Demnächst würden zumindest alle [2][270 Objekte der | |
| Dauerausstellung mit deutschen und englischen Texten online sein]. | |
| Wichtig ist dem Ethnologen, konsequent den/die Hersteller*in zu nennen, | |
| auch wenn dann da meist „unbekannt“ stehen würde. Der Urheber des | |
| begehbaren, maßstabgerechten Modells eines großen Versammlungshauses | |
| hingegen ist verbürgt. Die flächendeckenden Schnitzarbeiten wurden 1905 von | |
| Tene Waitere, dem damals bekanntesten Holzkünstler in Aotearoa, Neuseeland, | |
| und Kollegen geschaffen. Auftraggeber war Thomas E. Donne, der es nach | |
| London überführen ließ, wo das Linden-Museum es 1912 erwarb. | |
| Ein solches, als lebendiges Wesen verstandenes Versammlungshaus war das | |
| Zentrum der Gesellschaft. Seine Schnitzereien erzählten die Legenden der | |
| Ahnen und von dem Halbgott Māui, der unsterblich werden wollte. Er kroch in | |
| die Vulva der mächtigen Göttin der Dunkelheit, um durch ihren Mund als Gott | |
| wiedergeboren zu werden, während sie sterben würde. Seine Hybris wurde ihm | |
| zum Verhängnis. Hine-nui-te-pō erwachte, schloss ihre Schenkel und brach | |
| Māui entzwei. | |
| 13 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.lindenmuseum.de/fileadmin/Dokumente/SchwierigesErbe_Provenienzf… | |
| [2] https://sammlung-digital.lindenmuseum.de/de | |
| ## AUTOREN | |
| Carmela Thiele | |
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