# taz.de -- Bloß keine Geschichte: Der Mythos der sauberen Baumwolle | |
> Mit rhetorischen Tricks kontert die Bremer Baumwollbörse | |
> Rassismus-Vorwürfe. Die eigene Rolle bei der Versklavung wird am World | |
> Cotton Day ignoriert. | |
Bild: Der Sklaverei ein Denkmal: Die Baumwollbörse hat eine aussagekräftige F… | |
Zum zweiten Mal veranstaltet die World Trade Organisation zusammen mit | |
Partnern aus Handel und Industrie am 7. Oktober den internationalen World | |
Cotton Day, und auch dieses Mal ist die Bremer Baumwollbörse beteiligt. Das | |
Ziel dieser Veranstaltung wird auf der entsprechenden Website [1][deutlich | |
benannt]: Es geht darum, dem schlechten Ruf der Baumwollindustrie und | |
-produktion als umweltschädigend und ausbeuterisch durch eine massive | |
proaktive Werbe- und Informationskampagne entgegenzutreten und die | |
wirtschaftliche Nützlichkeit, soziale Verträglichkeit und ökologische | |
Unbedenklichkeit der Baumwolle zu behaupten, um neue Kundenschichten und | |
Investoren zu gewinnen. | |
Dieser Tag wird an der Baumwollbörse mit einem riesigen Poster beworben, | |
das in 2019 noch als Werbebild die Website zierte, dort jetzt allerdings | |
durch ein harmloses Logo ersetzt wurde. Das überlebensgroße Plakat zeigt | |
einen schwarzen Arbeiter, der hinter dem riesigen Haufen blütenweißer | |
frisch gepflückter Baumwolle in seinen Armen kaum zu sehen ist, der aber | |
offensichtlich die Betrachterin mit einem offenen Lachen von seiner | |
Begeisterung für „sein“ Produkt anstecken soll. Der Zynismus dieses Plakats | |
ist kaum zu überbieten. | |
Wenn frau die globalen Ausbeutungsstrukturen bedenkt, in denen die | |
Erntearbeiter der Baumwollplantagen das allerschwächste Glied sind, die von | |
den Gewinnen, die die angeblich saubere Faser durch die | |
Bekleidungsindustrie und andere verarbeitenden Branchen abwirft, nur den | |
winzigsten Bruchteil sehen, kann sie den brachialen Frohsinn der Kampagne | |
kaum glauben. | |
In den letzten Tagen hat sich deshalb auch Protest aus der schwarzen | |
Community Bremens geregt. Die Bremer Baumwollbörse wurde aufgefordert, | |
dieses Motiv zurückzuziehen, da es in rassistischer Weise den Körper eines | |
schwarzen Menschen benutzt, um den weißen Mythos der sauberen Baumwolle zu | |
befördern. | |
## Gegenwart der Vergangenheit | |
Eine Antwort der Baumwollbörse kam prompt; sie zeigt allerdings nicht das | |
mindeste Einsehen: Das Schreiben wiederholt nur die Aussagen der | |
Werbeseiten für die Tagung. | |
Darüber hinaus weist die Antwort den Vorwurf des Rassismus zurück, und zwar | |
mittels des inzwischen sattsam bekannten rhetorischen Tricks, sich selbst, | |
also hier die Baumwollbörse, einfach als nicht-rassistisch zu behaupten – | |
so, als läge die Entscheidung darüber was Rassismus sei, ganz auf ihrer | |
Seite, und nicht auf Seiten der Betroffenen. | |
Mit einem kurz entschuldigenden Satz geht das Schreiben auf die schmutzige | |
Geschichte der Baumwolle ein, die von der Kampagne sozusagen reingewaschen | |
werden soll. Ja, früher sind mal schlimme Ungerechtigkeiten passiert, aber | |
das ist die Vergangenheit – so der zukunftsweisende Tenor. | |
Aber die Vergangenheit ist nicht vergangen. Und die Baumwollbörse kann sich | |
ihrer nicht so nonchalant entledigen. Schon wer das Gebäude betritt, stößt | |
auf sie: Überm Portal findet sich links, in Sandstein gehauen, ein | |
versklavter Arbeiter im Lendenschurz, der glücklich ist, für die im Stile | |
der Botticelli-Venus gehaltene Göttin der Baumwolle rechterhand einen | |
Ballen schleppen zu dürfen. | |
Es ist im Grunde das gleiche Motiv, wie auf dem Plakat, und die Bremer | |
hatten allen Grund, das hier verewigte Ausbeutungsverhältnis zu feiern. Ein | |
großer Teil des Vermögens einiger alteingesessener Familien sowie der Stadt | |
insgesamt beruht ja auf ihm. | |
Hier ist nicht der Platz, die globalen Verflechtungen des Bremer | |
Baumwollhandels seit dem frühen 17. Jahrhundert und seine Einbettung in | |
transatlantische, karibische, afrikanische und andere Plantagenökonomien in | |
all ihren Facetten zu beleuchten – eine umfassende Mikrostudie, die die | |
Anregungen verschiedener HistorikerInnen wie Sven Beckert und seines Buchs | |
„Empire of Cotton. A New History of Capitalism“ aufnimmt, steht noch aus. | |
Einige kurze Schlaglichter auf diese Verflechtung gerade Bremens in die | |
zutiefst unethische koloniale und versklaverische Geschichte der | |
Baumwollproduktion sind aber schon zu liefern. | |
Beispielhafte Fragen der und an die historische Forschung, die Lokal- mit | |
Globalgeschichte verknüpft, wären: Welche andauernden Verbindungen gab es | |
seitens des Bremer Baumwollhandels in das koloniale und postkoloniale Togo, | |
in dem – wie bereits die Historikerin Bärwald [2][beschreibt], einige | |
Bremer Kolonialisten versucht haben, „mithilfe der Nachkommen | |
afroamerikanischer SklavInnen eine Baumwollindustrie in der Kolonie Togo zu | |
etablieren“? | |
Wie kommt es, dass nach der Niederschlagung des Maji Maji Aufstandes im | |
Gebiet des heutigen Tansania (1905-1907) gegen die deutschkoloniale | |
Unterdrückung und die Ausbeutung der indigenen bäuerischen Bevölkerung | |
durch erzwungenen Baumwollanbau, der abgeschlagene Kopf eines der Führer | |
der Rebellion[3][, ins Bremer Überseemuseum verbracht wurde], und erst 1954 | |
in dessen Heimat zurückgeführt wurde? | |
## Bremens Kampf für Sklavenhaltung | |
Laut Beckerts Forschung unterstützte das Bremer Handelsblatt die Sklaverei | |
in den amerikanischen Südstaaten in einem Kommentar im Jahre 1853 mit nicht | |
übersehbarem Eigeninteresse – der wirtschaftliche Reichtum Europas hänge an | |
einem Baumwollfaden. Sollte die Sklaverei abgeschafft werden, würde dies | |
den Zusammenbruch der Baumwollproduktion zu fünf Sechsteln bedeuten, und | |
die Baumwollindustrie insgesamt wäre ruiniert. | |
Die Haltung der Bremer Baumwollwirtschaft, wie die kontinuierlich dichte | |
Berichterstattung über die amerikanische Entwicklung und die Widerstände | |
gegen den Fortbestand der Sklaverei zeigen – war eindeutig und wie Beckert | |
schreibt, „hyperventilierend“: Ohne die Sklaverei wären städtische und | |
private Existenzen auf das dringlichste gefährdet. | |
So sehr war die Bremer Industrie an den Fortbestand der privilegierten | |
Beziehungen zu den US-amerikanischen Plantageneliten gebunden, dass das | |
Bremer Handelsblatt nach dem Zusammenbruch der Konföderation 1865 sofort | |
für eine Politik der „Versöhnung“ mit den Plantagenbesitzern und eine | |
schnelle geordnete Rückkehr zu profitablen Baumwollernten eintrat, um den | |
Standort Bremens als Baumwollhandelszentrum nicht zu gefährden. Wie verhält | |
sich deshalb die Bremer Baumwollbörse zu den Forderungen nach | |
Reparationszahlungen? | |
Ähnlich wie bei der führenden Rolle Bremens in die versklaverische | |
Zuckerproduktion (dazu gibt es immerhin Arbeiten des Lokalhistorikers Horst | |
Rössler und den [4][Nachwuchswissenschaftlerinnen] Paula von Gleich und | |
Samira Spatzek) harren auch diese knappen Einblicke weiterer Forschung im | |
Rahmen der postkolonialen Verflechtungsgeschichte. | |
In der Förderung ihrer Untersuchung fände die Baumwollbörse ein reiches | |
Betätigungsfeld, wenn es ihr denn ernst wäre mit der „besonderen | |
Verantwortung“, die sie „historisch begründet“ vorgibt, zu tragen. In den | |
„emotional ansprechenden Kurzfilmen über Baumwolle“, die sie heute als | |
ihren Beitrag zum World Cotton Day online stellt, ist von solchen Fragen | |
jedoch nicht die Rede – mit keinem Sterbenswort. | |
7 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.icac.org/Content/SEEPDocuments/PdfFilesc8c17c7f_ba50_4b17_9ed5_… | |
[2] https://media.suub.uni-bremen.de/handle/elib/3362 | |
[3] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/tansania-der-vergessene-krieg-ma… | |
[4] https://www.bpb.de/apuz/216487/meine-stadt-und-versklavung-jugendliche-auf-… | |
## AUTOREN | |
Sabine Broeck | |
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