| # taz.de -- Auszeichnung für die Uni Bremen: Der Stoff der Ausbeuter | |
| > Ein Semester lang geht es an der Uni Bremen um die Frage, was die | |
| > Baumwolle für den Kapitalismus bedeutet. Für dieses Projekt wird die Uni | |
| > jetzt ausgezeichnet. | |
| Bild: Ausbeuterisches Geschäft: Baumwoll-Arbeiter im indischen Dhamnod | |
| BREMEN taz | Die Uni Bremen wird für ihr Projekt „Eine Uni – ein Buch“ | |
| ausgezeichnet. Bundesweit hatte der Stifterverband der Deutschen | |
| Wissenschaft Universitäten aufgerufen, ein Buch auszuwählen, das ein | |
| Semester lang von allen Uni-Angehörigen gelesen und debattiert werden soll. | |
| Die Bremer Uni, das wurde am Donnerstag bekannt gegeben, hatte mit ihrem | |
| Vorschlag, das Buch „King Cotton“ zu thematisieren, offenbar die beste Idee | |
| und gewann die Ausschreibung. | |
| In „King Cotton“ wird anhand von Baumwolle die Entstehung, Entwicklung und | |
| Verflechtung von Kapitalismus und Kolonialismus erzählt. „Zu all diesen | |
| Themen hat Bremen in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart eine | |
| besonders enge Beziehung. Damit wollen wir uns jetzt intensiv | |
| beschäftigen“, sagt Silke Betscher vom Institut für Ethnologie und | |
| Kulturwissenschaften. | |
| Ziel ist, dass möglichst alle Uni-Angehörigen im Sommersemester bei dem | |
| Projekt mitmachen. „Dazu gehören explizit nicht nur die Institute, sondern | |
| auch zum Beispiel das Studentenwerk oder die Mensa“, sagt Betscher. Denn | |
| ein Bezug zu Baumwolle lässt sich in praktisch jeder Berufsgruppe und in | |
| jedem Lebensbereich finden, ob in Kleidung, Geldscheinen oder in | |
| Nahrungsmitteln. | |
| Sven Beckert erzählt in „King Cotton“, wie der Kolonialismus als | |
| gewalttätige Form des Kapitalismus heutige Wirtschaftsverhältnisse | |
| ermöglichte. Ohne Ausbeutung in den früheren Kolonien, insbesondere in | |
| Afrika, wäre der hochindustrialisierte Kapitalismus nicht möglich gewesen, | |
| erzählt der Autor – und zwar in Form einer Materialgeschichte: Denn | |
| Baumwolle ist der Stoff, der wie kein anderer die globalisierten Märkte, | |
| Sklavenhandel, Produktionsorte und Handelsrouten veranschaulicht. | |
| Baumwolle verband erstmals bis dahin voneinander unabhängige Regionen und | |
| Märkte. Heutige Kleidungsproduktionen für den europäischen Markt, die unter | |
| menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen etwa in Bangladesch stattfinden, | |
| führen diese Ungleichheit fort. | |
| Das Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaften nimmt das Buch im | |
| jetzt startenden Semester zum Anlass, auch die bremische Geschichte unter | |
| diesem Blickwinkel zu betrachten. Dass die Hansestadt eine wichtige Rolle | |
| im Kolonialismus spielte, ist weithin bekannt. Und mit der Bremer | |
| Baumwollbörse befindet sich hier eine von weltweit nur vierzehn ähnlichen | |
| Institutionen, die die Interessen von lokalen wie internationalen Händlern, | |
| Spediteuren und Spinnereien vertritt. „Diese Verflechtungsgeschichte kann | |
| man hier gut sehen“, sagt Betscher. | |
| Damals wie heute spielt der Hafen eine wichtige Rolle. Die bis 2009 tätige | |
| Bremer Woll-Kämmerei AG hatte eine riesige Produktionshalle in Blumenthal. | |
| Deshalb hat sich die Uni auch dafür entschieden, außerhalb des Campus | |
| Veranstaltungspartner zu finden. Die Baumwollbörse hat sich ebenso dieser | |
| Initiative angeschlossen wie das Überseemuseum oder das Staatsarchiv. | |
| Das Sommersemester ist voll von Veranstaltungen zum Thema, sowohl | |
| Uni-intern als auch öffentlich. Kommende Woche geht es mit einem Vortrag | |
| los, der Produktion und Konsum von Baumwollprodukten aus der | |
| Nachhaltigkeitsperspektive beleuchtet. Die öffentliche Vortragsreihe | |
| beginnt dann im Mai, wenn Beckert zu einer Podiumsdiskussion nach Bremen | |
| kommt. Zudem wird es eine Reihe von Lehrveranstaltungen unter dem Titel | |
| „Global Cotton“ geben. | |
| Geplant ist, dass Studierende einen interaktiven Stadtplan über Schauplätze | |
| der Baumwolle erstellen und Führungen dazu anbieten. Gerade im Hinblick auf | |
| die koloniale Gewaltgeschichte ist das eine Herausforderung. „Es soll die | |
| Sichtbarmachung dieser Geschichte ermöglichen“, sagt Betscher. Schließlich | |
| habe die Gewalt des Kolonialismus nicht in Bremen existiert, sondern eben | |
| in Afrika. Eine Verantwortung dafür lässt sich aber an historischen Orten | |
| Bremens finden. | |
| 13 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| André Zuschlag | |
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