# taz.de -- Baumwolle: Zwangsarbeit kein Thema | |
> Schwerpunkt der 32. Bremer Baumwolltagung ist die Bekleidungsindustrie. | |
> Arbeitsbedingungen, Ausbeutung und Zwangsarbeit spielen dort allerdings | |
> keine Rolle. | |
Bild: Füllen eine Lücke auf der Baumwolltagung: Gertraud Gauer-Süß (Mitte) … | |
BREMEN taz | Ohne Weiteres kamen die TeilnehmerInnen der 32. Baumwolltagung | |
Bremen nach ihrer gestrigen Mittagspause nicht zurück ins Rathaus: sie | |
mussten erst an einer Handvoll AktivistInnen vorbei, die sich am | |
Treppenaufgang postiert hatten. Freundlich, aber bestimmt drückten die den | |
Baumwollhändlern, Produzenten, Textilherstellern und Wissenschaftlern Flyer | |
in die Hand: „End Cotton Crimes – Baumwolle ohne Zwangsarbeit und | |
Gentechnik“ war darauf zu lesen. | |
„Wir thematisieren einen Aspekt der Baumwollherstellung und -verarbeitung, | |
der eigentlich Teil der Veranstaltung sein sollte“, sagte Gertraud | |
Gauer-Süß vom Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und | |
Entwicklung. Ist er aber nicht: stattdessen tauschen sich auf Einladung der | |
Bremer Baumwollbörse noch bis morgen 500 TeilnehmerInnen aus 40 Ländern | |
über die neuesten Entwicklungen von Pestiziden, Herbiziden und | |
Düngemitteln, über genmodifiziertes Saatgut, Erntemethoden und | |
Preisentwicklungen aus. Schwerpunkt der Tagung ist die | |
Bekleidungsindustrie, aber die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in | |
Bangladesh oder Indien werden nicht thematisiert – oder zumindest kaum. | |
„Es freut uns“, sagt Gauer-Süß, „dass neben den Textilriesen auch Magda… | |
Schaffrin eingeladen wurde.“ Die Designerin entwirft Kollektionen aus | |
ökologischer Baumwolle und hat den „Green Showroom“ auf der Berliner | |
Fashion Week gegründet. Dort wird ausschließlich nachhaltige Mode gezeigt, | |
produziert unter menschenwürdigen Bedingungen. Angekündigt wird Schaffrin | |
auf der Homepage freilich mit dem neutralen Thema „Cotton from a Designer’s | |
Point of View“. | |
Die Einladung sei „ein kleiner Schritt in die richtige Richtung“, sagt | |
Gauer-Süß. Aber: „Uns empört, dass die Situation der Kleinbauern in Lände… | |
wie Indien völlig ignoriert wird und vor allem der kritiklose Umgang mit | |
Usbekistan als einem der größten Baumwollproduzenten der Welt“, sagt sie. | |
In dem zentralasiatischen, diktatorisch regierten Land würden die Menschen | |
nicht aufgrund wirtschaftlicher Zwänge, sondern auf Weisung des Staates auf | |
die Baumwollfelder geschickt: „Zur Erntezeit müssen die Menschen ohne | |
angemessene Bezahlung, oft sieben Tage die Woche, Baumwolle pflücken.“ Wer | |
sich weigert, verliert Job oder Studienplatz, „und selbst Kinder werden zur | |
Feldarbeit verpflichtet.“ | |
Das hat die Baumwollbörse nicht daran gehindert, Ibrokim Abdurakhmonov | |
einzuladen. Er ist nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Mitglied des | |
usbekischen Landwirtschaftsministeriums und spricht über biotechnologische | |
Entwicklungen der usbekischen Baumwollindustrie – nicht über das laut | |
Gauer-Süß „größte staatlich organisierte Zwangsarbeitersystem der Welt“. | |
„Er ist ein hervorragender Wissenschaftler“, sagt dazu Elke Hortmeyer, | |
Sprecherin der Baumwollbörse. „Und ab der nächsten Saison sollen in | |
Usbekistan erfreulicherweise Erntemaschinen eingesetzt werden“, sagt sie. | |
Dass sich auch die AktivistInnen an der Baumwolltagung „beteiligten“, | |
findet sie gut: „Aufgrund ähnlicher Aktionen ist ja auch der Anteil der | |
Bio-Baumwolle in den letzten Jahren stetig angestiegen.“ Dass auch die | |
Baumwollbörse als Forum für den internationalen Baumwollmarkt solche | |
Impulse setzen könnte, glaubt sie indes nicht: „Wir sind in Bremen ja nur | |
ein kleines Licht.“ | |
19 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
Simone Schnase | |
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