# taz.de -- Humboldt Forum: Und sie rudern weiter zurück | |
> Am Donnerstag eröffnet das Kernstück des Humboldt Forums, die | |
> außereuropäischen Sammlungen. Die jahrelange Kritik hat das Haus | |
> erschüttert. | |
Bild: Der Thron „Mandu Yenu“ in der Ausstellung des Ethnologischen Museums … | |
BERLIN taz | Selbst am umstrittenen „Luf-Boot“ haben sie nachgebessert, | |
jenem wunderschönen, 15 bis 16 Meter langem, reich verzierten Auslegerboot | |
aus dem heutigen Papua-Neuguinea, das 1904 nach Berlin kam. Beim letzten | |
Presserundgang im Juni wussten die Museumsmacher*innen noch keine | |
Antwort auf die Frage, warum direkt am Objekt keine offensive | |
Auseinandersetzung mit der Geschichte des Bootes wie mit der | |
Kolonialgeschichte Deutschlands stattfinde. | |
Anfang Mai hatte der Berliner Journalist und Historiker [1][Götz Aly] mit | |
seinem Buch „Das Prachtboot“ recherchiert, wie die deutschen Kolonialherren | |
im „Schutzgebiet“ Deutsch-Neuguinea getötet, vergewaltigt und die Bewohner | |
zur Zwangsarbeit auf ihren Plantagen verschleppt hatten – und wie das Boot | |
später von derselben deutschen Firma erworben wurde, die 20 Jahre zuvor, am | |
Ende des 19. Jahrhunderts, das deutsche Militär um eine sogenannte | |
„Strafexpedition“ auf der Insel Luf gebeten hatte. | |
Die derzeitigen Besitzer des Bootes, genauer gesagt, die Stiftung | |
Preußischer Kulturbesitz (SPK) hatte vor Erscheinen des Buches aus dieser | |
Geschichte einen „rechtmäßigen Erwerb“ gemacht – und musste nun | |
zurückrudern. | |
Und sie rudern weiter zurück, wie ein neuerlicher Rundgang am | |
Montagvormittag anlässlich der Eröffnung eines großen Teils der | |
[2][außereuropäischen Sammlungen] zeigte. Inzwischen hat das Ethnologische | |
Museum, so sagte der stellvertretende Direktor Alexis von Poser, den | |
Filmemacher Martin Maden gebeten, auf Luf und um Luf herum auf Spurensuche | |
zu gehen – Oral History zu betreiben: Zur großen Überraschung der | |
Museumsleute hat er relativ rasch Nachkommen der Bewohner*innen Lufs | |
gefunden, die das umstrittene Boot gebaut haben. Auch ist die kleine Insel | |
nach Recherchen Madens heute, anders als angenommen, gar nicht mehr | |
unbewohnt. | |
## Sie wollen das Wissen zurück | |
„Das Wissen muss zu uns zurückgebracht werden“, sagt Interviewpartner | |
Stanley Inum, ein Nachfahre eines der Bootsbauer von Luf, im Film. „Wir | |
möchten nach Berlin kommen, Fotos machen und ein neues Boot bauen“, fügt er | |
an. „Ich gehe davon aus, dass wir nächstes Jahr eine Delegation hier haben | |
werden“, folgert von Poser gegenüber der taz. Im Oktober wird es im | |
Humboldt Forum eine Diskussionsveranstaltung geben, an der sowohl Götz Aly | |
als auch der Filmemacher Maden teilnehmen werden. | |
Auch jenseits des Luf-Boots erhält man bei der Betrachtung der | |
Ausstellungen, die schon mal 4.000 der am Ende 20.000 Objekte im | |
Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst im Humboldt Forum | |
zeigen werden, den Eindruck: Dieses rund 680 Millionen teure Haus, das | |
teuerste Kulturprojekt der Bundesrepublik mitten in Berlin, hat sich in den | |
letzten Jahren sehr verändert. Es wurde durch die anhaltend scharfen | |
Debatten um Kolonialismus, Provenienzforschung und Restitution geradezu | |
erschüttert. | |
An vielen der Objekte, die größtenteils im 19. Jahrhundert gekauft, geraubt | |
oder erpresst wurden, befinden sich auf orangefarbenen Tafeln die | |
Informationen zu deren Geschichte, die die vier Provenienzforscher*innen, | |
die seit 2019 am Humboldt Forum arbeiten, bislang erforscht haben. Bei | |
einer Kette aus Känguruzähnen aus Australien erfährt man beispielsweise, | |
dass sie wahrscheinlich von Yarruun Parpur Tarneen gefertigt wurde, einer | |
bedeutenden Ahnin der Gunditjmara People, die von idigenen | |
Australier*innen als Symbolfigur des Widerstands gefeiert wird. | |
## Künstlerische Interventionen | |
In anderen Räumen gibt es zahlreiche künstlerische Interventionen. So setzt | |
sich Justine Gaga aus Kamerun in ihrer Arbeit „Indignation“ mit den Folgen | |
des Kolonialismus auseinander: Auf 18 bunten Säulen aus Gaskanistern | |
prangen bezeichnende Begriffe wie „Violence“ und „Frontière“. | |
Und die namibische Künstlerin Cynthia Schimming befasst sich mit dem | |
Genozid an den Herero und Nama durch die deutschen Kolonialherren, indem | |
sie ein Herero-Kleid neu interpretiert. Das prächtige Gewand verfügt über | |
eine Kopfbedeckung in Form von Rinderhörnern, die an die stolze | |
Vergangenheit der Herero als Viehzüchter*innen erinnert. Am Saum des | |
Kleides gibt es die Abbildung eines Ekori, einer Kopfbedeckung, wie sie | |
Herero-Frauen vor der Kolonialzeit trugen und wie ihn Schimming, so der | |
Ausstellungstext, zum ersten Mal im Humboldt Forum gesehen hat. Diese | |
Ausstellungsräume gehören zu den besten, die ab Donnerstag im Humboldt | |
Forum zu sehen sein werden. | |
Hermann Parzinger, Präsident der SPK, sprach vor Kurzem noch lieber | |
diplomatisch von der Zirkulation der Objekte als von deren Restitution. Nun | |
redet er scheinbar ohne Bedauern davon, dass vieles von dem, was ab | |
Donnerstag die Ausstellungen schmückt, bald nicht mehr zu sehen sein wird. | |
Die Benin-Bronzen beispielsweise, so viel steht fest, werden endlich im | |
nächsten Jahr zurück nach Afrika gehen. „Das Humboldt Forum ist kein | |
Museum“, sagt Parzinger, „sondern ein Austragungsort.“ Und damit trifft er | |
tatsächlich mal einen Nerv. | |
Denn im Humboldt Forum wird sich nicht nur entscheiden, wie sich die | |
deutschen Museen zu ihren Sammlungen werden verhalten müssen. Hier wird | |
auch diskutiert werden, wie sich Deutschland insgesamt zu den Veränderungen | |
unserer Zeit verhalten könnte. Denn dieses Ausstellungshaus wird vermitteln | |
müssen zwischen der tiefen Sehnsucht nach Sicherheit in einer wackligen | |
Welt, die in der Rekonstruktion einer barocken Schlosshülle ihren Ausdruck | |
gefunden hat – und zwischen einer Welt, die zunehmend von Migration, | |
Urbanisierung und Klimawandel auf den Kopf gestellt werden wird. | |
Insofern ist es Zeit, den Macher*innen des Humboldt Forums nachzusehen, | |
dass sie lang nicht in die Vorderhand kamen. Nun kann endlich über die | |
Ausstellungen gesprochen werden. | |
20 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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