| # taz.de -- Kunstwerk zu Kolonialismus: „Der verschwiegene Punkt“ | |
| > Kang Sunkoo über seine Installation „Statue of Limitations“: Warum eine | |
| > Hälfte im Humboldt Forum steht und die andere ab diesem Freitag im | |
| > Wedding. | |
| Bild: Aufstellung des oberen Teils (links), Diagramm des ganzen Kunstwerks (rec… | |
| taz: Herr Kang, an diesem Freitag wird der zweite Teil Ihrer Installation | |
| „Statue of Limitations“ auf dem Nachtigalplatz enthüllt. Der erste Teil | |
| steht im Humboldt Forum. Können Sie bitte zuerst den Namen erklären? | |
| Kang Sunkoo: „Statue of Limitations“ ist eine Abwandlung des englischen | |
| Begriffs „statute of limitations“, der Verjährung im juristischen Sinne | |
| bedeutet. Damit möchte ich einen Bezug herstellen zur Frage von Verjährung | |
| und Erinnerung und der Gültigkeit von Erinnerung – und ihren Konsequenzen. | |
| Warum hat Ihr Kunstwerk zwei Teile? | |
| Anlass für diese Arbeit war ein Kunst-am-Bau-Wettbewerb im Jahr 2017, der | |
| dem Standort Humboldt Forum und dort der sogenannten „Treppenhalle“ galt, | |
| die die beiden obersten Geschosse miteinander verbindet, wo sich die | |
| Sammlungen des Ethnologischen Museums sowie des Museums für Asiatische | |
| Kunst befinden. | |
| Das sind die beiden Sammlungen, über die vor allen Dingen diskutiert wird, | |
| wenn man um das Humboldt Forum streitet – weil sie viele Objekte aus | |
| kolonialen Kontexten haben. | |
| Genau, wobei ja nicht nur diese Nutzer umstritten sind, sondern auch die | |
| Kombination mit der Symbolik dieses Gebäudes. Die Ausschreibung bestand | |
| unter anderem aus Texten der Stiftung Humboldt Forum, die, vielleicht im | |
| Sinne einer Inspiration für die Teilnehmer, die Verehrung der | |
| Humboldt-Brüder als vermeintlicher Vertreter einer zeitgenössischen | |
| kosmopolitischen Einstellung ausführlich beschrieben. Kein Wort wurde | |
| dagegen verloren über die kolonialgeschichtliche Bedeutung des | |
| rekonstruierten Schlosses. | |
| Aber darauf nehmen Sie mit Ihrem Werk Bezug. | |
| Ja. Deswegen hatte mein Entwurf zwei Teile. Ich wollte diesen Standort, | |
| nach dem man gefragt hatte, mit einem Ort verbinden, nach dem überhaupt | |
| nicht gefragt worden war. Ich wollte den verschwiegenen Punkt | |
| herausstellen. | |
| Der Nachtigalplatz im Afrikanischen Viertel symbolisiert die koloniale | |
| Seite des Humboldt Forums? | |
| Dieses Viertel im Wedding ist eine Stadtplanung aus der Zeit des | |
| Imperialismus, wo dem Volk die kolonialistischen Aktivitäten durch eine Art | |
| städtebaulicher Propaganda nähergebracht werden sollten. Darum tragen die | |
| Straßen und Plätze dort Namen ehemaliger deutscher Kolonien und damaliger | |
| Akteure, die dort für das Deutsche Reich ihr Unwesen getrieben haben. Dazu | |
| kommt, dass die größte umbaute Freifläche dort, der Nachtigalplatz, einen | |
| besonderen städtebaulichen Moment enthält: eine achsensymmetrische | |
| Platzgestaltung, die – zufällig oder auch nicht zufällig – zumindest | |
| verblüffend ähnliche Dimensionen wie der Grundriss des Schlosses hat. | |
| Ach ja? | |
| Er hat fast identische Proportionen. Dieser Platz, benannt nach Gustav | |
| Nachtigal, dem Reichskommissar für das sogenannte „Deutschwestafrika“, ist | |
| ein für ein Wohnviertel überdimensionierter Platz, der offenkundig eine | |
| städtebaulich machtvolle Geste ausdrücken soll. Gekreuzt wird der Platz von | |
| zwei Achsen: einmal von der in der Mittelachse liegenden Petersallee, | |
| benannt nach einer weiteren kolonialistischen Figur aus dieser Zeit, und | |
| diagonal von der Afrikanischen Straße. Genau auf dieser Symmetrieachse ist | |
| meine Arbeit platziert, so wie ich auch innerhalb des Humboldt Forums meine | |
| Arbeit genau auf dieser Symmetrieachse platziert habe. Dort liegt die | |
| Arbeit somit in der gleichen Flucht wie das Kuppelkreuz, über das man ja | |
| auch viel gesprochen hat – was auch eine sehr starke Symbolik hat. | |
| Die Arbeit selbst ist eine Fahnenstange auf halbmast – also ein Zeichen der | |
| Trauer? | |
| Ganz genau. Das Maß des Fahnenmasts wird bestimmt durch die gegebene lichte | |
| Raumhöhe von 11 Metern im Humboldt Forum: Das ist die untere Hälfte des | |
| Fahnenmasts, oben sieht man die Hälfte der Flagge in der Decke | |
| verschwinden. Die obere Hälfte des Fahnenmasts, die identisch lang ist, | |
| befindet sich auf dem Nachtigalplatz. Dort kommt die Flagge aus dem Boden | |
| heraus und man sieht die Spitze der Fahnenstange. | |
| Steht etwas auf der Fahne? | |
| Nein, die gesamte Arbeit hat die gleiche Textur, Materialität und | |
| Farbigkeit: Alles ist gegossene Bronze, im Sandgussverfahren hergestellt | |
| und schwarz patiniert. | |
| Ist es nicht schön, dass so eine kritische Arbeit den Wettbewerb gewonnen | |
| hat, dessen Thema eher affirmativ gedacht war? Offenbar haben Sie die | |
| Auftraggeber überzeugt. | |
| Nicht alle. Als mir mitgeteilt wurde, dass ich diesen Wettbewerb gewonnen | |
| habe, wurde im selben Satz gesagt, ich solle mich bitte nicht zu früh | |
| freuen, es gebe enormen Widerstand. Und ich solle auch damit rechnen, dass | |
| diese Arbeit nicht realisiert wird. | |
| Wie kam es dann doch dazu? | |
| Zum einen hat sich das Humboldt Forum durch die Ausschreibung über | |
| öffentlich rechtliche Verfahren verpflichtet, das zu machen. Es hat aber | |
| sehr lange gebraucht, bis es zu einer Beauftragung kam und zu einem | |
| formalen Commitment des Humboldt Forums, dass man diese Arbeit ausführen | |
| wird. Noch später war es, ungefähr zu der Zeit, als die erste Hälfte meiner | |
| Arbeit 2020 realisiert wurde, dass man in einem anderen, zustimmenden Ton | |
| über meine Arbeit zu sprechen begann. | |
| Was war da geschehen? | |
| Es war in der Zeit, als die Kuppel fertiggestellt wurde, über die es wegen | |
| ihrer Symbolik viel Ärger gab. Da hat man bei der [1][Öffentlichkeitsarbeit | |
| des Humboldt Forums] gedacht, dass meine Arbeit hilfreich sein kann, wo man | |
| gerade so stark unter Beschuss steht. | |
| Haben Sie sich nicht instrumentalisiert gefühlt? | |
| Ja. Ich habe darum gebeten, bestimmte Aussagen von Seiten des Humboldt | |
| Forums zu unterlassen, die den Eindruck erweckten, dass meine Arbeit von | |
| ihnen in kuratorischer Absicht, in einer inhaltlichen Zusammenarbeit | |
| zwischen uns entstanden sei. Das ist nicht der Fall. | |
| War Ihnen eigentlich bewusst, dass der Nachtigalplatz umbenannt werden | |
| soll? Und hängt damit zusammen, dass das Kunstwerk nur temporär dort stehen | |
| soll? | |
| Ja, das wusste ich – aber einen Zusammenhang hat das für mich nicht. Mein | |
| Vorschlag war, dass diese Arbeit permanent bleibt. Aber dieser Vorschlag | |
| wurde vonseiten des Bezirks nicht angenommen, er hat nur eine temporäre | |
| Aufstellung von sechs Monaten genehmigt. Leider war ich bei der | |
| Vereinbarung zwischen dem Humboldt Forum und dem Bezirksamt Mitte nicht | |
| dabei. Ich wollte selbst mit dem Bezirk verhandeln, aber dort wurde mir | |
| erklärt, sie wollen nur mit dem Humboldt Forum sprechen. Mit dem Ergebnis, | |
| dass nur diese sechsmonatige Aufstellung möglich sein soll. | |
| Das ist aber schade! | |
| Ich würde den permanenten Verbleib der Arbeit auf dem Nachtigalplatz nach | |
| wie vor begrüßen. Aber ich sehe die jetzige Situation nicht unbedingt als | |
| Nachteil. Diese Gegebenheit bildet die Realität ab, in die diese Arbeit | |
| hineinkommt. Die Arbeit hat durch diese politischen Prozesse und diese | |
| Sequenzialität auch einen performativen Aspekt bekommen. So befasse ich | |
| mich schon lange mit der Frage, was nach diesen sechs Monaten mit der | |
| Hälfte passieren wird. | |
| Und? | |
| Es gibt verschiedene Szenarien, die ich noch nicht konkret öffentlich | |
| machen kann. Es geht in die Richtung, dass die Arbeit zum Beispiel wandert. | |
| Denkbar wäre aber auch eine Vervielfältigung. | |
| 25 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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