| # taz.de -- Hamburger Ausstellung von Benin-Bronzen: Geraubte Erinnerungen | |
| > Das Hamburger Museum am Rothenbaum wird seine als Raubkunst erkannten | |
| > „Benin-Bronzen“ zurückgeben. Vorher stellt es die Objekte aber noch | |
| > einmal aus. | |
| Bild: Gegenstand kollektiver Erinnerung: Gedenkkopf eines Königs, Königreich … | |
| Klingt erst mal nachvollziehbar: 179 sogenannte „Benin-Bronzen“ im Wert von | |
| rund 60 Millionen Euro lagern im Hamburger Museum am Rothenbaum (Markk), | |
| Kunstwerke, die im späten 19. Jahrhundert von britischen | |
| Kolonialist*innen aus dem westafrikanischen Königreich Benin geraubt | |
| wurden und über Handelsbeziehungen nach Hamburg gelangten (insgesamt | |
| existieren weltweit rund 3.000 bis 5.000 Objekte aus diesen Raubzügen, in | |
| Deutschland rund 1.200). Am 16. Dezember gab Markk-Direktorin Barbara | |
| Plankensteiner bekannt, dass diese Werke im Zuge von | |
| Restitutionsforderungen [1][bis Ende 2022 zurückgegeben werden] würden. So | |
| weit, so gut. So falsch. | |
| Dass es sich bei den Objekten nicht ausschließlich um Bronzen handelt, | |
| sondern dass unter anderem Elfenbein oder Holz verarbeitet wurden – das ist | |
| nicht wirklich wichtig, gibt aber einen Hinweis darauf, wie schludrig hier | |
| lange Zeit mit der Terminologie umgegangen wurde. | |
| Dass das Königreich Benin, in vorkolonialer Zeit eines der wirtschaftlich | |
| und kulturell bedeutendsten Staatsgebilde Westafrikas, nichts mit dem | |
| heutigen Staat Benin zu tun hat, der sich rund 1.000 Kilometer weiter | |
| westlich befindet, sondern in etwa den Grenzen des nigerianischen | |
| Bundesstaats Edo mit der Hauptstadt Benin City entspricht – kann man | |
| lernen, verdeutlicht aber, dass die unklaren Besitzverhältnisse eine | |
| Restitution der Arbeiten verkomplizieren. | |
| Dass im 19. Jahrhundert nicht nur Gegenstände aus Benin geraubt wurden, | |
| sondern auch Objekte, die aus wirtschaftlich mit der Großmacht | |
| verflochtenen Nachbarstaaten kommen, freilich einem ganz anderen | |
| kulturellen Hintergrund entstammen, wundert dann auch nicht mehr. | |
| Das ärgste Problem aber: Wie geht man damit um, dass in der Edo-Sprache | |
| kein Begriff dafür existiert, was im Westen als „Kunst“ gilt? Was sind die | |
| Arbeiten eigentlich? Kunsthandwerk, rituelle Objekte, Alltagsgegenstände? | |
| Schwierig. Es existiert der Begriff „Ama“, der die rechteckigen Platten | |
| bezeichnet, die im Allgemeinen unter dem Namen „Benin-Bronzen“ bekannt | |
| sind. „Ama“ lässt sich mit „Gelbgussfigur oder -platte zur Erinnerung an | |
| jemanden“ übersetzen, und das erläutert ein wenig die Funktion der Objekte. | |
| Das Edo ist keine Schriftsprache, Erinnerung und Geschichte wurden in den | |
| Bronzen festgehalten. Und der koloniale Akt des Raubes entpuppt sich hier | |
| als wahre Barbarei: Geraubt wurden nicht Kunstwerke, geraubt wurde die | |
| kollektive Erinnerung einer Gesellschaft. Daraus folgt, dass es gar keine | |
| Alternative zur Restitution geben kann. Und wie naiv es war, dass man es | |
| noch 2019 für eine gute Idee hielt, „Benin-Bronzen“ im Berliner | |
| Humboldt-Forum auszustellen. | |
| Die Ausstellung „Benin. Geraubte Geschichte“ im Markk ist im Vergleich | |
| reflektiert. Museumschefin Plankensteiner weiß um die Notwendigkeit von | |
| Restitution, sie hat den komplizierten Prozess schon vor langer Zeit | |
| angestoßen – und bevor sie ihre Objekte nach Benin City zurückgibt, zeigt | |
| sie sie noch einmal der Öffentlichkeit. Nicht um das seit Ende des 19. | |
| Jahrhunderts bestehende exotistische Interesse an „Benin-Bronzen“ zu | |
| befriedigen, sondern um klarzustellen: Wovon reden wir hier überhaupt? | |
| „Benin. Geraubte Geschichte“ ist keine Einordnung der Raubkunst in die | |
| Kunstgeschichte, sondern ein Auflisten von Fakten. | |
| Das gibt der in einen einzigen Raum gedrängten Ausstellung ein wenig eine | |
| trockene Anmutung. Kuratorisch ist die Präsentation kein Meisterwerk, | |
| Vitrine reiht sich an Vitrine, so umfangreiche wie informative Texttafeln | |
| erläutern den geschichtlichen Zusammenhang, ein etwas didaktisch wirkendes | |
| Zeichentrickvideo gibt einen groben Überblick über den Niedergang des | |
| Königreichs Benin im Zuge der britischen Expansionsbestrebungen. | |
| Dazu zeigt Plankensteiner ein paar wenige zeitgenössische | |
| Edo-Künstler*innen: Bini-Spielkarten (2019) von Osaze Amadasun etwa, die | |
| das Prinzip kollektiver Erinnerung in (rein formal an die bekannteren | |
| Bronzen erinnernder) künstlerischer Darstellung wieder aufnehmen. Oder den | |
| aus Plastik-Rosenkränzen zusammengesetzten Wandteppich „Ich bin Ogiso, der | |
| König vom Himmel“ (2017) von Victor Ehikhamenor. Die Idee einer | |
| Fortschreibung in die Gegenwart ist gut, sorgt aber durch die gedrängelte | |
| Präsentation dafür, dass die Ausstellung wahllos wirkt, zusammengestückelt. | |
| Die tatsächlich spannenden Momente finden sich andernorts. In einer auf den | |
| ersten Blick unspektakulären Deckelkanne aus dem 16. oder 17. Jahrhundert, | |
| in der sich Einflüsse aus Europa, Indien und dem islamischen Kulturraum | |
| mischen. Das Objekt ist beeinflusst durch den Kontakt mit portugiesischen | |
| Händlern dieser Zeit, was einen Hinweis darauf gibt, wie eingebunden das | |
| Königreich Benin in die frühe Globalisierung war. | |
| Oder die immer wieder auftauchenden naturalistisch gestalteten Hähne, die | |
| auf matriarchale Hierarchien in der Benin-Kultur verweisen. Oder die | |
| eigentlichen Bronzen, die sich mit diesem Wissen lesen lassen, als | |
| Bildergeschichten, die etwas erzählen über die Organisation einer | |
| hochkomplexen Gesellschaft, und so weit über das westliche Kunstverständnis | |
| hinausweisen. | |
| Wie barbarisch mit diesen Zeugnissen umgegangen wurde, zeigen beschädigte | |
| Objekte, die die Ausstellung mit ihren Sprüngen, Rissen, Zerstörungen | |
| zeigt: einen Hahn, der wahrscheinlich im 18. Jahrhundert als Altarfigur | |
| geschaffen wurde und in dem ein großes Loch klafft. Oder den Kopf und | |
| Körper einer Schlangenfigur, die schon 1910 in Hamburg ausgestellt wurden – | |
| und dafür mittels Blech und Nieten miteinander verbunden worden waren, im | |
| Gegensatz zur ursprünglichen Intention. Über die sich niemand die Mühe | |
| gemacht hatte, nachzudenken, klar. | |
| Am 27. Oktober kam ein erstes Objekt nach langen Verhandlungen zurück nach | |
| Benin City: der sogenannte „Benin-Hahn“, der im Jesus College in Cambridge | |
| ausgestellt war. „Benin. Geraubte Geschichte“ ist zumindest ein | |
| Bewusstmachen der Verantwortung, die Hamburg mit seinem Bestand an | |
| „Benin-Bronzen“ eingegangen ist. Auch wenn die Ausstellung etwas mehr | |
| Esprit verdient gehabt hätte. | |
| 21 Dec 2021 | |
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| Falk Schreiber | |
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