| # taz.de -- Kunstfest Weimar: Tanzen Sie die Farbe Blau | |
| > Zwischen Gauforum und Bauhaus: Das Kunstfest Weimar horcht in die Stadt | |
| > hinein und erzählt von wechselnden Lesarten der Vergangenheit. | |
| Bild: Bei der Führung „Zwischen den Zeiten“ winkt der Schauspieler Markus … | |
| Wir widmen uns jetzt dem „gewissen Nichts“, das zwischen dem Bahnhof Weimar | |
| und dem „Klassiker-Disneyland“ in der Altstadt klafft. So süffisant kündi… | |
| der Schauspieler Markus Fennert den von ihm geführten Streifzug „Zwischen | |
| den Zeiten“ an. | |
| Es geht rund um einen Platz, der zuerst Adolf-Hitler-Platz hieß, als hier | |
| 1937 das erste Gauforum gebaut wurde, das als Modell für viele Verwaltungs- | |
| und Parteizentren der Nationalsozialisten gedacht war. Karl-Marx-Platz hieß | |
| er seit den späten 1940er Jahren, als hier die Sowjets residierten und die | |
| monumentale Architektur gerne für Gruppenfotos nutzten. In den Nuller | |
| Jahren, als die ehemalige Halle der Volksgemeinschaft zum Einkaufszentrum | |
| Weimar Atrium umgebaut wurde, erhielt der Platz den Namen Weimarplatz. | |
| Diese Schilder hängen heute noch, sind aber durchgestrichen. Darunter steht | |
| der aktuelle Name: Jorge-Semprun-Platz. Der spanische Schriftsteller | |
| gehörte zu den Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald. | |
| Die lange diskutierte Umbenennung will ein Signal sein. 2019 soll vor Ort | |
| ein Museum eröffnet werden, das an die Zwangsarbeiter erinnert, die aus | |
| Buchenwald kamen und das Gauforum bauen mussten. In Weimar hatte die NSDAP | |
| schon im Jahr 1932 52 Prozent der Stimmen bekommen. Wenn Markus Fennert bei | |
| seiner Führung, die bis zum Ende des Kunstfestes Weimar am 2. September | |
| noch mehrfach angeboten wird, davon erzählt und auf die Führerbalkone an | |
| den den Platz rahmenden Gebäuden verweist, vermeint man, in deren langen | |
| Arkaden das Echo aufmarschierender Soldaten zu hören. | |
| Aber Fennert widmet sich mit Anekdoten auch der Zeit der DDR, als in der | |
| großen Halle zunächst eine Champignonzucht war, berühmt und berüchtigt, | |
| weil die Pilze vor allem an die Funktionärselite verkauft wurden. Später | |
| saßen hier, Fennert zeigt auf eine verschlossene Tür im Untergeschoss, | |
| Arbeiterinnen der DDR in einem fensterlosen Raum und nähten Schneeanzüge, | |
| die in Westdeutschland bei C & A verkauft wurden. | |
| ## Italienische Kulissenstadt | |
| Für die meisten der Zuhörer sind diese Geschichten nicht neu, sie nehmen | |
| aus Interesse an der Historie teil, aber wie sie in der Führung, die Anke | |
| Heelemann konzipiert hat, vor Ort erzählt werden, schafft eine enge | |
| Verkettung „Zwischen den Zeiten“. Im Shopping Center Atrium landet man | |
| schließlich tatsächlich in einer Kulissenstadt, ein auf Rigips gemaltes | |
| italienisches Ambiente, in dem Geschäfte und Bistros mediteran verkleidet | |
| auftreten. Die jüngste Zeit zieht sich also wieder ein Gewand des | |
| Vergangenen an. Die Erbauer dieses Konsum-Tempels-Ambiente gewannen damit | |
| sogar einen Wettbewerb der Rigips-Bauer. | |
| Im Jahr 2019 wird in Weimar ein neues Bauhaus-Museum eröffnet, „Zwischen | |
| den Zeiten“ endet an der Baustelle des Museums. Zurzeit sind die | |
| Bauhaus-Sammlungen geschlossen, alles ist in Vorbereitung zum 100-jährigen | |
| Jubiläum kommendes Jahr. Dafür erzählt für die Dauer des Kunstfestes die | |
| Ausstellung „Wie das Bauhaus nach Weimar kam“ von der Gründungszeit mit | |
| vielen kopierten Dokumenten und assoziativ daran anknüpfenden neue | |
| Kunstwerken. | |
| Die von Janek Müller und Niklas Hoffmann-Walbeck konzipierte Ausstellung | |
| wirkt zunächst etwas geheimnisvoll, es gibt viel zu lesen, Stichworte und | |
| Zitate stehen an den Wänden, die man nicht gleich mit den Kunstwerken in | |
| Verbindung bringen kann. Bis man hier und da auf eine der komplizierten | |
| Spuren kommt, das Denken über Eck. | |
| ## Farben und Symbole | |
| „Iris leuchtet im Kristall / Farbenbrücke im Weltall / Goldenes Gelb | |
| Wahrhaftigkeit / Violett Verschwiegenheit / Feuerrot der Heiterkeit / Gütig | |
| Grün und einfach Blau / einen sich zum großen Bau“. So dichtete Walter | |
| Gropius, Bauhaus-Gründer und Architekt. Der Künstler Torsten Blume stellt | |
| den auf die Wand geschriebenen Gedichtzeilen vom farbsatten Rausch einen | |
| gläsernen Tisch gegenüber, mit Kugeln und Zylindern, die durch farbiges | |
| Licht in viele Prismen getaucht werden. Das ist einerseits die Skizze für | |
| ein Bühnenbild, in dem ein Stück von Paul Scheerbart, einem Visionär | |
| gläserner und kristalliner Architekturen, aufgeführt werden soll, | |
| andererseits ein Eintauchen in die mystische und expressionistische Seite | |
| des Bauhauses. | |
| In Weimar war sie noch virulent, die Diskussion um Farben, um Symbole und | |
| universalistische Zeichen. Die Ausstellung dokumentiert dies in Briefen. | |
| Aber auch frühe Hetzschriften gegen das Bauhaus sind zu sehen und Gesuche | |
| von Schülern, ob sie wegen Wohnungsmangel im Atelier schlafen oder am | |
| Bauhaus-Freitisch teilnehmen dürfen. So entsteht ein Bild von der politisch | |
| aufgeheizten Stimmung der Gründerjahre, von der sozialen Situation der | |
| Studenten, und von dem visionären Überschuss. Als das Bauhaus wegen der | |
| Nazis Weimar verlassen musste und in Dessau einen Neuanfang nahm, hatte | |
| auch eine Umorientierung begonnen, man suchte mehr nach konkreten | |
| Lösungsansätzen im Design und Architektur. | |
| Vergessen ist die irrlichternde Seite des Bauhauses, die Müller und | |
| Hoffmann-Walbeck betonen, zwar nicht, aber sie ist im Image der Schule | |
| weniger präsent. Deren Geschichte erfährt immer wieder neue Lesarten. In | |
| den letzten Jahrzehnten entstand ein Interesse für die Bauhäuslerinnen, die | |
| von der theoretischen Verheißung der Gleichberechtigung an diese Schule | |
| gerufen wurden und sich dann doch oft in die Klasse der Webkunst | |
| abgeschoben fühlten. Eine Ausnahme war die Formmeisterin Gertrud Grunow, an | |
| die Künstlerin Jenny Brockmann erinnert. | |
| ## Universelle Gesetze | |
| „Und nun tanzen Sie die Farbe Blau“, erinnert eine der Schülerinnen von | |
| Gertrud Grunow, und wie beklemmend solch eine Anweisung sein konnte. Andere | |
| empfanden deren Unterricht, eine Harmonisierungslehre, als inspirierend. | |
| Die Lehre gehörte zum Grundkurs am Bauhaus in Weimar, und beruhte auf der | |
| Verknüpfung von Bewegungen mit Tönen und Farben: Ein In-sich-Hineinhorchen, | |
| um im eigenen Mikrokosmus auf universelle Gesetze zu treffen, die mit dem | |
| großen Universum in Übereinstimmung zu bringen waren. | |
| Grunow hatte damit von 1919 bis 1923 einen Status als Meisterin, wenn auch | |
| viel schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Ihre Stimme zählte im | |
| Meisterrat, wenn es darum ging, ob Schüler nach dem Vorkurs an der Schule | |
| aufgenommen wurden oder nicht. Ob Grunow eine Anbindung an eine | |
| schöpferische Kraft sah, war entscheidend. Doch auch dieses Konzept | |
| beruhte, wie die Medienwissenschaftlerin Sophia Gräfe darlegte, auf | |
| Ausschluss des Unreinen, Schwachen, Disharmonischen. Diese Seite der | |
| Moderne war nicht nur bei den Nazis verpönt, sondern auch bei der von ihnen | |
| bekämpften Bauhaus-Schule. | |
| 23 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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