| # taz.de -- Ausstellung zu Staatsbürgerschaften: Eine Frage der Nation | |
| > Im Deutschen Historischen Museum Berlin geht es um Staatsbürgerschaften. | |
| > Um Papierstücke, die viel bewirken. | |
| Bild: Ein Ausweis aus dem Elsass von 1919, damals wieder französisch | |
| Nach jüngsten Meldungen bereitet Russland derzeit die Integration der | |
| Region Cherson im Süden der Ukraine in das eigene Staatsgebiet vor. Damit | |
| verbunden wäre der zwangsweise Wechsel der Staatsbürgerschaft für | |
| diejenigen Ukrainer, die noch nicht von dort geflüchtet sind. | |
| Die Nachricht macht deutlich, wie aktuell eine Ausstellung im Berliner | |
| Deutschen Historischen Museum über Staatsbürgerschaften ist. Es geht um | |
| eine imaginäre Zugehörigkeit, ein vermeintliches Privileg, das sich | |
| zugleich zwangsläufig ins Gegenteil verkehrt, weil andere Menschen eben | |
| nicht über diese, sondern eine andere Zugehörigkeit verfügen. | |
| Staatsbürgerschaften haben in aller Regel etwas Zufälliges, denn sie | |
| werden, anders als im Fall des besetzten Cherson, meistens qua Geburtsort | |
| oder der Abstammung verliehen. | |
| Staatsbürgerschaften sind Fluch und Segen – und eine Ausgeburt der | |
| Französischen Revolution, die den Citoyen erfand, den Bürger, der durch | |
| seine Zugehörigkeit zum Staate über anerkannte Rechte, aber auch über | |
| Pflichten verfügte. | |
| Es ist deshalb selbstverständlich, dass Frankreich auch ein hervorragender | |
| Platz in der Ausstellung gebührt. Kurator Dieter Gosewinkel hat dem aber | |
| nicht einfach nur Deutschland beigefügt, sondern ein weiteres Nachbarland | |
| hinzugesetzt: Polen. Das „Weimarer Dreieck“ also, von dem in letzter Zeit | |
| nicht so viel zu hören war. | |
| ## Länder historisch miteinander verknüpft | |
| Dennoch ist die Auswahl folgerichtig, denn gerade diese drei Länder sind | |
| durch ihre Staatsbürgerschaften miteinander verknüpft und verkettet, mit | |
| ihnen verbinden sich die besten Traditionen (Frankreich) wie die | |
| furchtbarsten (Deutschland). Dem einen Land ging seine Staatsbürgerschaft | |
| wie der ganze Staat zeitweise verloren (Polen), das andere trachtete | |
| danach, die Welt mit seinen streng „arischen“ Staatsbürgern zu beherrschen | |
| (Deutschland). | |
| Wie aber bekommt man so etwas Papierenes in eine Ausstellung, die doch über | |
| mehr als nur zwei Dimensionen verfügen sollte? Welche Objekte eignen sich | |
| dazu, um den Begriff Staatsbürgerschaften zu illustrieren? Zwangsläufig | |
| muss diese Ausstellung darunter leiden, dass als „Flachware“ geschmähten | |
| Stücke wie Bücher, Plakaten und – in diesem Fall – Pässe und Legitimatio… | |
| dominieren. Aber wer sich davon nicht abschrecken lässt, der findet so | |
| einige großartige Werke darunter. | |
| Vor allem aber gelingt es der Schau, den ambivalenten Charakter von | |
| Staatsbürgerschaften deutlich zu machen. Zu Beginn stehen da Bertolt | |
| Brechts Sätze „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt | |
| auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch.“ | |
| Geschrieben hat Brecht das 1940/41, zu einer Zeit also, als Deutschland | |
| politisch missliebigen Emigranten die Staatsbürgerschaft entzog, während | |
| andere – besonders die Jüdinnen und Juden – gar nicht mehr als vollwertige | |
| Staatsbürger galten, sondern ermordet wurden. Dieser Punkt der Negation von | |
| Gleichheit und der Unterdrückung qua Reisepass taucht in mehreren der sechs | |
| Themenräume wieder auf, immer dann, wenn es um Rassismus, Antisemitismus, | |
| Kolonialismus und den Entzug von Privilegien geht. | |
| ## Staatsbürgerschaft schließt genauso ein wie aus | |
| Andererseits: Staatsbürgerschaft ist eben auch eine „Verrechtlichung von | |
| Zugehörigkeit“, so Museumsleiter Raphael Gross, die Lebens- und | |
| Überlebenschancen bietet, vor allem aber verbriefte Rechte beinhaltet, | |
| darunter – jedenfalls in Demokratien – das Wahlrecht. Sie schließt | |
| allerdings in der Regel jene Inhaber einer fremden Staatsbürgerschaft von | |
| genau diesem Recht wieder aus. Und sie war lange, zumindest für die | |
| männlichen Staatsangehörigen, mit der Pflicht zum Militärdienst verbunden. | |
| „Was sind Sie denn eigentlich – ein Pole, ein Deutscher oder wie?“ „Ich… | |
| ein halber Pole, ein halber Deutscher und ein ganzer Jude“, antwortete | |
| Marcel Reich-Ranicki auf diese Frage. Zur Staatsbürgerschaft gehört die | |
| Nation – und der Nationalismus. Das Zitat macht das lange geübte Prinzip | |
| der unbedingten Loyalität deutlich, das mit der Staatsbürgerschaft | |
| verbunden war und teilweise noch ist. | |
| All jene aber, die emigrieren mussten oder wollten, die nun im falschen | |
| Staat lebten oder deren Heimat plötzlich einem anderen Staat zufiel, hatten | |
| und haben damit ein Problem: Sie zählen nicht dazu. Die Ausstellung | |
| erinnert da an Elsass-Lothringen, deren Bürger sich nach der Eindeutschung | |
| 1871 zu entscheiden hatten, Deutsche zu werden oder aus dem Land zu | |
| verschwinden. | |
| Die Schau gedenkt der Polen, die als billige Arbeitskräfte zuerst nach | |
| Deutschland und dann nach Frankreich zogen, immer den vermeintlich falschen | |
| Pass im Handgepäck. | |
| ## Positiver Ausblick | |
| Das Deutsche Historische Museum gibt aber auch einen positiven Ausblick. | |
| Das Schlusskapitel ist der Erweiterung der Europäischen Union gewidmet, den | |
| Doppelstaatlern und den steigenden Einbürgerungsraten, der | |
| Supra-Nationalität, der Überwindung des Engstirnigen also, die in jüngster | |
| Zeit durchaus vorangekommen ist. | |
| Ob es dabei bleibt? Kurator Gosewinkel möchte sich da nicht festlegen. Aber | |
| er warnt davor, zu glauben, dass sich die Vorstellung der einen | |
| Staatsbürgerschaft erledigt habe. Womit wir wieder am Anfang sind, bei | |
| Cherson in der südlichen Ukraine, deren Bewohner befürchten müssen, dass | |
| ihnen demnächst eine andere Staatsbürgerschaft als pures Herrschaftsmittel | |
| droht. | |
| 4 Jul 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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