# taz.de -- Ausstellung zu Marx und Wagner in Berlin: Ein Unterschied ums Ganze | |
> Das Deutsche Historische Museum möchte sich dem Thema Kapitalismus | |
> nähern. Erst mit Karl Marx, demnächst wird Richard Wagner folgen. | |
Bild: Barackensiedlung in Paris, Rue Champlain, 20. Arrondissement, Paris Charl… | |
Karl Marx und Richard Wagner, unterschiedlicher können zwei politische | |
Leben kaum verlaufen. Auf die Idee, sie irgendwie zusammen zu denken, kommt | |
man eher nicht, sie verbindet einzig der Umstand, zur selben Zeit gelebt zu | |
haben. Allein das Wort Zeitgenosse möchte man lieber vermeiden. Miteinander | |
beschäftigt haben sie sich nicht. Nur eine einzige Kommentierung von Marx | |
ist überliefert – er schimpfte, wenig überraschend, Wagner einen | |
„neudeutsch-preußischen Reichsmusikanten“. | |
Dennoch hat das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin sich für Marx | |
und Wagner entschieden, um sich einem Thema zu nähern. Mit zwei | |
Ausstellungen, die erste zu Karl Marx wurde vor zwei Tagen eröffnet, die | |
zweite zu Richard Wagner kommt im April hinzu, klammert das DHM das Thema | |
Kapitalismus. | |
Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museum, wollte eine | |
„Ausstellung zeigen, die sich Kapitalismus zum Thema macht“, wie er | |
anlässlich der Eröffnung der Marx-Ausstellung sagte, und: „Wir haben alle | |
eine bestimmte Vorstellung davon was Kapitalismus ist – nur nicht | |
dieselbe.“ | |
Das mag sein, ist doch der Kapitalismus nicht überall und nicht zu jeder | |
Zeit gleich, er verändert sein Gesicht und ist konflikthaft, aber dennoch | |
sollte klar sein, was den Kapitalismus grundsätzlich kennzeichnet, nämlich: | |
Privateigentum, Warentausch, Konkurrenz und der Widerspruch zwischen | |
Kapital und Arbeit. | |
## Verwerfungen der Moderne | |
Doch um die Analyse des Kapitalismus geht es in der Ausstellung nicht | |
wirklich. Ein paar marxsche Grundbegriffe werden kurz erklärt, aber die | |
marxsche Analyse und Theorie der politischen Ökonomie steht nicht im | |
Vordergrund. Vielmehr wird Marx hier in erster Linie, einer hegemonialen, | |
schiefen Lesart folgend, als Kapitalismuskritiker vorgestellt. Und als | |
einer der „schärfsten Kritiker der Verwerfungen der Moderne“; als Akteur in | |
seiner Zeit, einer Zeit des Umbruchs, des größtmöglichen vielleicht. | |
Kapitalismus meint hier Industriekapitalismus, der sich seit dem 18. | |
Jahrhundert von England ausgehend ausbreitete, mit seinen Maschinen und | |
Fabriken, neuen Rohstoffen und neuen Alltagsgegenständen, neuen | |
Lebensstandards und neuen Verelendungen, aber vor allem mit einer nie zuvor | |
gesehenen Produktivität, die eine erste große Welle der Globalisierung in | |
Gang setzte. | |
Marx-Biograf Jonathan Sperber hat den ersten Konzeptentwurf zur Ausstellung | |
geliefert. Entlang von sieben Themen wird den Besucher:innen Marx’ | |
Wirken in seiner Zeit nähergebracht. Originalmanuskripte und Marx’ eigene | |
„Kapital“-Ausgabe, Teller und Zigarrenetui aus dem Besitz der Familie Marx, | |
Gemälde aus seiner Epoche (leider nicht immer im Original), Plakate, eine | |
Spinning Jenny, eine Geruchsinstallation und so weiter werden gezeigt. Ein | |
Humboldt-Pinguin macht auf Marx’ Einlassungen zur Ökologie aufmerksam. | |
Die Ausstellung führt den technischen und sozialen Wandel im 19. | |
Jahrhundert gut vor Augen, auch von den politischen Auseinandersetzungen | |
und Emanzipationsbestrebungen bekommen die Besucher:innen einen guten | |
Eindruck. | |
## Themen der Zeit | |
Unverschämt unterkomplex hingegen mutet der Abschnitt „Wirkungsgeschichte“ | |
an. Dass es Filme und neue Publikationen gibt, die den Namen Karl Marx im | |
Titel tragen, für dieses Wissen bedarf es nicht einer Vitrine mit wahllos | |
zusammengestellten Büchern. Überhaupt, [1][wer die Ausstellungen zum | |
Marx-Jubiläum 2018 in Trier gesehen hat], vor allem jene über sein Leben | |
und Wirken im Trierer Simeonstift, die tatsächlich ein großes Panorama | |
seiner Zeit auffächerte, wird enttäuscht sein von der DHM-Ausstellung. | |
Im April werden dann die Besucher:innen sehen können, wie | |
unterschiedlich doch Marx’ und Wagners [2][Sicht auf Entfremdung], | |
Emanzipation oder Antisemitismus waren. Themen, die sie in ihrer Zeit nicht | |
als Einzige bearbeiteten. Ein Unterschied ums Ganze und ein Vergleich, der | |
lohnend sein könnte. | |
11 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Karl-Marx-Ausstellung-in-Trier/!5500676 | |
[2] /Debatte-Entfremdung-bei-Marx/!5501103 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
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