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# taz.de -- Ausstellung im Kunsthaus Dahlem: Selbstüberhöhung mit Barbarossa
> Welche ideologischen Spuren stecken in Möbelhinterlassenschaften? Die
> Ausstellung „Einstürzende Reichsbauten“ begibt sich auf Spurensuche.
Bild: Ein Blick in die Ausstellung im Kunsthaus Dahlem
Nur entfernt erinnert dieser muskulöse Körper aus silbrigem Plastik an jene
Idealtypen, die Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker aus Bronze oder
Stein schuf. Doch in Brekers ehemaligem Staatsatelier, in dem sich heute
das Kunsthaus Dahlem befindet, liegt die Assoziation nahe. [1][Die
Künstlerin Henrike Naumann] hat den Plastikathleten auf Ebay-Kleinanzeigen
erstanden, wie die meisten ihrer Requisiten. Obendrein hat sie ihm Lampen
in die Hände gesteckt, wo zuvor Hanteln waren, denn er stand einmal in
einem Fitnessstudio – Körperkult gestern und heute.
In ihrer Ausstellung „Einstürzende Reichsbauten“ hat Naumann rund um den
Plastikathleten Möbelstücke und Wohnaccessoires gruppiert. Neben den Kopien
postmoderner Entwürfe, die in den 1990er Jahren zuhauf Einzug in
ostdeutsche Wohnzimmer hielten, und die – mitunter ergänzt um Reichsflaggen
und andere Nazi-Devotionalien – zu Naumanns Markenzeichen wurden, stehen
hier nun auch Originale aus den 1930er Jahren. Sie stammen aus dem [2][Haus
der Kunst in München], das nach Plänen von Paul Ludwig Troost gebaut und
von ihm und seiner Frau Gerdy ausgestattet wurde.
Auf diesen Leihgaben – etwa einer neoklassizistischen Sitzgruppe, die
gleich am Eingang förmlich im Weg steht – darf man sich nicht niederlassen
wie sonst üblich in Naumanns Interieurs. Dass darauf einmal Hitler Platz
genommen haben könnte, vielleicht zur Eröffnung des Museums im Jahr 1937,
als es noch Haus der Deutschen Kunst hieß, mutet ohnehin unbequem an. So
wie die Bauernstühle und -tische aus dem „Bierstüberl“ im Keller des
Museums, die ebenfalls gut ins völkische Möbelbild passten.
Im Kunsthaus Dahlem, wo allein schon die Deckenhöhe im Verhältnis zur
Besucherin nationalsozialistische Überlegenheitsfantasien heraufbeschwört,
reinszeniert Naumann eine Auseinandersetzung, die sie schon 2019 mit
Recherchen und einer Installation im Haus der Kunst begann. Ein Foto des
großen Wohnsalons in Hitlers Landhaus, dem „Berghof“ in Obersalzberg,
diente als Ausgangspunkt der Münchner Installation. Als Hitlers
Lieblingsinnenarchitektin hatte Troost auch dessen Privatwohnungen
eingerichtet.
## Rechte Jugendkulturen
Auf einer Galerie im Ausstellungsraum in Dahlem hat Naumann
Nachwende-Schrankwände mit dreieckigen Vitrinen – „Modell Toscana“ – z…
Alpenpanorama arrangiert. Aus Lautsprechern dringt eine mehrstimmige
Komposition wie vom Gipfel herab ins Tal gesungen. Das Lied und dessen
Protagonist, „Der alte Barbarossa“, stehen für eine machtpolitische
Selbstüberhöhung, wie Hitler sie in Anlehnung an Barbarossa betrieb und an
die der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke heute anzuknüpfen versucht,
wenn er sich ebenfalls an diesem Mythos bedient. Faschismus gestern und
heute.
Naumann wurde 1984 im sächsischen Zwickau geboren, wo das NSU-Trio lange
unentdeckt lebte. Bisher beschäftigte sie sich vor allem mit jenen
Wohnräumen im Osten Deutschlands, in denen rechte Jugendkulturen und
Reichsbürgerfantasien gediehen. Nun setzt sie diese mit den
Möbelhinterlassenschaften des Dritten Reichs in Beziehung. Das lässt
Nachforschungen entlang von Linien zu, die über die Postmoderne hinaus und
hinein in jene Zeit des Bruchs mit der Moderne reichen, den die Nazis mit
Speers Machtarchitekturen, den sie schmückenden Breker-Plastiken und der
Institutionalisierung völkischer Kunst auf der einen Seite und der
Diffamierung der Avantgarden auf der anderen betrieben. Daran erinnert in
der Ausstellung ein Kandinsky-Wandteppich – auch ein Ebay-Fundstück.
[3][Naumanns Praxis ist komplexer geworden], ihre Installation dadurch auch
etwas weniger zugänglich als von ihr gewohnt. Ein Glücksfall, dass im
Distanz Verlag ein Band mit Bildstrecke erschienen ist, mit deren Hilfe
sich viele der gesetzten Analogien dechiffrieren lassen. Den auf Stühlen
und Tischen gelegten Kunstfellen etwa stellt sie in einer Fotomontage
Materialproben aus dem Gerdy-Troost-Archiv für einen Teppich im Berghof
gegenüber und fügt noch Teppichrollen in ähnlichem Roséton aus einem
deutschen Möbeldiscounter hinzu. So schlägt sie wieder den Bogen in die
Nachwendezeit.
Die Kunsthistorikerin Angela Schönberger hat einen Essay über Speers
Ruinenwerttheorie beigetragen. Mit dem Architekten und Designtheoretiker
Andreas Brandolini führte Nauman ein Gespräch über das postmoderne
„Deutsche Wohnzimmer“, ein Environment aus Sitzgruppe und Nierentisch in
Wurstform auf Lagerfeuerteppich, das dieser 1987 auf der documenta 8
zeigte.
Im Buch spitzt Naumann noch einmal jene Zusammenhänge zu, die sie
interessieren: wie politische Prozesse den privaten Raum durchdringen, sich
umgekehrt an diesem ablesen lassen, welche ideologischen Spuren sich durch
die Designgeschichte ziehen und wie diese sich zu einem eklektischen Bild
politischer Versatzstücke zusammensetzt. Möbel, sagt Naumann, erzählen uns
etwas über uns als Gesellschaft. Oft lässt sich das erst erkennen, wenn man
sich mit einem gewissen Abstand darauf niederlässt. Falls man darf.
23 Aug 2021
## LINKS
[1] /Ausstellung-in-Hannover/!5606979
[2] /Maler-mit-kognitiven-Einschraenkungen/!5713063
[3] /Modehauptstadt-Kinshasa/!5553275
## AUTOREN
Sabine Weier
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