Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Retrospektive Rosemarie Trockel: Ihr Branding ist, keines zu haben
> Konträre Konzeptkünstlerin: Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt
> a.M. zeigt Rosemarie Trockel.
Bild: Rosemarie Trockel, „Ohne Titel“ (2005), Privatsammlung
Über Rosemarie Trockel zu schreiben bedeutet, frei von dem üblichen
Vokabular schreiben zu können, das sonst oft in großen Retrospektiven von
Künstlerinnen zur Anwendung kommt: „Wiederentdeckung“, „späte Genugtuun…
„im Schatten von xy [Mann einfügen]“. Aber auch, was explizit nicht ist,
ist Elefant im Raum. „Prisoner of Yourself“ heißt treffend denn auch das
erste Werk, dem man in der Ausstellung begegnet. Ein Wand-Siebdruck aus
feinmaschigem Muster, der die gesamte Museumshalle umzieht.
Das Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt zeigt Rosemarie Trockel,
die gerade ihren 70. Geburtstag feierte. Es ist die erste große
Überblicksausstellung seit Langem. Die Verbindung zwischen dem Museum und
Trockel ist eng. Schon zu seiner ersten Ausstellung wurde die damals noch
junge Künstlerin gezeigt und gleich angekauft, heute befinden sich
zahlreiche ihrer Arbeiten in der MMK-Sammlung.
Ein Besuch lohnt allein für die Videoarbeit „Continental Divide“ von 1994.
Darin stellt die aufstrebende Künstlerin ihrem narzisstisch gespiegelten
Alter Ego zunehmend unbeherrscht die Frage nach dem besten Künstler aller
Zeiten.
Trockel ist die Art Star, der im Englischen offiziell bekanntlich kein
Geschlecht kennt. Die Rankings beim Branchenportal Artfacts sprechen eine
andere Sprache. Gerade drei Künstlerinnen befinden sich unter den 20
wichtigsten Namen, darunter Rosemarie Trockel. Aufgewachsen in einem
kunstfernen Elternhaus, hat sie den Ausstellungsraum nach einem Studium an
den Kölner Werkschulen und Begegnungen mit insbesondere US-amerikanischen
[1][Künstlerinnen, darunter auch Cindy Sherman], rasch erobert. Das
Rampenlicht scheut sie und erklärt ihre Kunst auch öffentlich kaum.
## Das Kolorit der Nachkriegs-BRD
Das Kolorit der Nachkriegs-BRD blitzt früh in den Arbeiten der 1952 in
Schwerte Geborenen auf. Auch im lakonischen Wortwitz, der Trockels gesamtes
Werk durchzieht. „Leichtes Unbehagen 1 & 2“ titeln zwei ausgestellte
Bücher, „Ich kann über meine Filme nur lachen“, heißt es über einem
Kinderfoto der Künstlerin.
Wie ungewöhnlich Rosemarie Trockels Wirken noch heute erscheinen kann, wo
sie doch eigentlich so viele andere längst mitgeprägt hat, erzählt
MMK-Direktorin und Ausstellungskuratorin Susanne Pfeffer in einer Anekdote.
„Oh, it looks like a group show!“, bemerkte demnach ein junger
Städelschüler, der zum Aufbau im Museum mithalf, ob der stilistisch
unterschiedlichen Arbeiten erstaunt. Trockels Branding war stets, keines zu
haben. Oder eher, ihm immer wieder ob eigener Unterforderung, Genervtheit,
aber auch List erfolgreich zu entkommen.
Ein paar Ikonen sind trotzdem nicht zu vermeiden. Im Erdgeschoss, spitzer
Winkel ganz vor Kopf, wurde schwarzer Teppich verlegt. In schmusiger
Atmo haucht eine Frauenstimme „Mr. Sun“ zur Hausarbeit-Videoarbeit in den
Raum, der abgefilmte Gasherd ein Rekurs [2][auf den Suizid der
US-Schriftstellerin Sylvia Plath], an den Wänden hängen Trockels berühmte
Strickbilder und Herdplatten-Reliefs.
Die ausschließlich maschinell gefertigten Strickbilder waren ein Kommentar
auf das immer noch manifeste Frauen- und Künstlerinnenbild ihrer Zeit,
zugleich steckt in ihnen die geballte Kraft nachkriegsdeutscher Emsigkeit
und Wirtschaftswunderfreuden. Wollmark, Made in West Germany.
Überhaupt, die Hausarbeit! Und „Frauenarbeit“. Und „Care-Arbeit“. Sie
taucht dann doch immer wieder auf im Œuvre der Künstlerin, auch später, als
sie schon keine Strickbilder mehr anfertigen wollte. Wie die Grater,
überdimensionierte, platinierte Keramiken, die an messerscharfe Reiben
erinnern.
## Kennerhafter Fetischblick
Trockels Kunst kann urkomisch sein. Präzise seziert sie die Ordnungen und
Kategorien heraus, in denen wir agieren, Fetische ausbilden, andere in ihre
Assets und Elemente zu zerlegen suchen. Und zugleich ist sie als Künstlerin
natürlich selbst mit kennerhaftem Fetischblick ausgestattet, bringt die
Einzelteile mit wohligem Grusel zusammen (in „Daddys striptease room“
versteckt sich modellbauerisch der Kölner Dom) und die Motive und
Materialien in Kombinationen, die noch immer ungeheuer anziehend wirken.
So gesellt sich üppiger weißer Keramikguss auf händisch geformte „Clock
Owner“, und die großen, neuen Bildwände vereinen BRD und USA, Warhol-Gags
und german Wortwitz, Pop- und Warenwelt, Kunstbetrieb und Wladimir Putin.
In Rosemarie Trockels Werk findet sich aber nicht nur ein cooler, sondern
auch ein ausgesprochen zugewandt-beobachtender Blick. Der trifft jedenfalls
die Tiere um uns, denen sich die Künstlerin regelmäßig in verschiedensten
Formaten widmet. Zu sehen beispielsweise in den feinsinnig gezeichneten
Affen-Porträts, die in einem blau getünchten Raum wie eine klassische
Kabinettausstellung präsentiert werden.
Zwischen Arbeiten von 1970 bis heute, von Keramik über Zeichnung und
Collage widersteht die Schau größtenteils der Versuchung, einen irgendwie
gearteten Markenkern herauszustellen. Allenfalls vielleicht noch den, sich
mit wenig gemein zu machen – im Zweifel nicht mal mit sich selbst. Deshalb
erscheint Rosemarie Trockels Kunst so frei, wie es Kunst im besten Falle
sein kann. Auch heute noch, obwohl sie längst gründlichst in den Kanon
eingetütet wurde.
16 Dec 2022
## LINKS
[1] /Foto-Ausstellungsreihe-True-Pictures/!5814102
[2] /Autor-ueber-Depressionen/!5667319
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## TAGS
Ausstellung
Bildende Kunst
Konzeptkunst
Feministische Kunst
Rezension
Bildende Kunst
Kolumne High & Low
Kunstausstellung
wochentaz
Feminismus
Bildende Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Konzeptkünstlerin Adrian Piper: Habitus im Spiegelsaal
Die US-amerikanische Konzeptkünstlerin Adrian Piper versetzt das Publikum
im Frankfurter Portikus in die totale Selbstbespiegelung – mit Humor.
Kunst und Monster: Sich leibhaftig verschlingen lassen
Akustische Traumreisen und meterhohe Tierskulpturen: Zwei Ausstellungen in
Frankfurt am Main ergänzen sich für eine Reise in die Fantasie.
Ausstellung von Nhu Xuan Hua: Kuss eines Schwans
Nhu Xuan Hua ist bekannt für ihre Mode- und Porträtfotografie. In Frankfurt
zeigt sie nun seltsam surreale Dokumente der Gegenwart.
Die Künstlerin Leiko Ikemura in Berlin: Zerbrechlich wie Eierschalen
Etwas Beschützendes und Unheimliches liegt in vielen Skulpturen von Leiko
Ikemura. Ihre hybriden Wesen bewohnen jetzt das Kolbe Museum in Berlin.
Künstlerin über Feminismus und Politik: „Grundsätzlich das Absurde sehen“
Das Münchner Haus der Kunst zeigt eine Werkschau der 86-jährigen Joan
Jonas. Ein Gespräch über ihre Anfangszeit in New York.
Feministische Kunst in München: Bitte nicht berühren
Eine Ausstellung im Münchner Lenbachhaus zeigt emanzipatorische Kunst. Sie
reicht von den 1950er Jahren bis zur Post-Porn-Kunst.
F.S.K.-Bassistin Melián: Wenn die Ohren Augen machen
Michaela Melián macht Musik und Kunst-Installationen. Auf ihrem zweiten
Album geht es um LA - die düster-glamouröse Stadt deutsch-jüdischer
Exilanten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.