# taz.de -- F.S.K.-Bassistin Melián: Wenn die Ohren Augen machen | |
> Michaela Melián macht Musik und Kunst-Installationen. Auf ihrem zweiten | |
> Album geht es um LA - die düster-glamouröse Stadt deutsch-jüdischer | |
> Exilanten. | |
Bild: Immer unterwegs, um hinter den eigenen Werken zu verschwinden: Michaela M… | |
Michaela Melián kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Eben hat sie | |
erfahren, dass auf der Website von Artnet ihre Kunstwerke in die Kategorie | |
"emerging artists", also NachwuchskünstlerInnen, eingeordnet werden. | |
"Klasse" fände sie das, verkündet die 50-jährige Künstlerin und Musikerin | |
fröhlich prustend, um dann ernsthafter hinzuzufügen, dass es ihr eigentlich | |
wichtiger sei, hinter ihren Werken einfach zu verschwinden. Denn den | |
Geniestatus, von der öffentlichen Wahrnehmung immer noch gern jeder | |
künstlerischen Geste zugeschrieben, will sie bewusst nicht für sich | |
beanspruchen, sondern im Gegenteil in Frage stellen - ganz in der Tradition | |
von Andy Warhol, der mit seiner "blotted line" darauf verwies, dass alles | |
nur abgepaust, Abklatsch sei. | |
"Es muss klar werden: Es ist nicht meine persönliche Befindlichkeit, um die | |
es geht. Ich muss viel eher deutlich machen, woher ich komme, worauf ich | |
mich beziehe", so Melián. Vielleicht ist es diese Mischung aus | |
Bescheidenheit und Reflexion, die dazu beigetragen hat, dass die bei | |
München lebende Künstlerin erst langsam die Aufmerksamkeit bekommt, die | |
ihren so vielfältigen wie vielschichtigen Arbeiten seit Jahren angemessen | |
wäre. | |
Musikfans kennen die Frau, die mit ihrer hellwachen, grundsympathischen Art | |
tatsächlich jede Erwartung von altersgebundener Gesetztheit dahinschmelzen | |
lässt, freilich schon länger. Seit 27 Jahren ist Michaela Melián Bassistin | |
und Sängerin der Band F.S.K., 2004 veröffentlichte sie ihr erstes | |
Solo-Album "Baden-Baden", dem jetzt "Los Angeles" folgt. Eine Solo-Karriere | |
im klassischen Sinne interessiere sie aber nicht, stellt sie gleich klar, | |
denn die Band sei eine zu wichtige Diskursplattform. "Damals hätten wir uns | |
alle nicht vorstellen können, dass F.S.K. überhaupt so lange existiert", | |
erinnert sie sich amüsiert an die Anfänge an der Münchener Kunstakademie. | |
Das Avantgarde-Musikprojekt, das sie nach wie vor gemeinsam mit ihrem Mann, | |
dem Schriftsteller Thomas Meinecke, dem Kunstkurator Justin Hoffmann, dem | |
Fotografen Wilfried Petzi sowie ihrem Kooperationspartner für die | |
Solokompositionen, Carl Oesterhelt, betreibt, hätte sich eigentlich alle | |
drei Jahre auflösen können - zum ersten Mal schon 1983, in der | |
Katerstimmung nach dem großen Popsommer 82, als so viele der neuen Bands | |
wieder frustriert einpackten. Doch das Kollektiv, das ursprünglich aus der | |
Zeitschrift Mode & Verzweiflung hervorgegangen war, erfand sich mit jeder | |
Platte neu - und wurde nicht müde. | |
Die Idee, die eigene künstlerische Arbeit mit der Musik zu fusionieren - | |
ihre Tracks entstehen eigentlich alle als Teile von Ausstellungen bzw. | |
Auftragsarbeiten -, kam Melián erst relativ spät. Obwohl Anfang der | |
80er-Jahre "all die Oehlens, die Kippenbergers" ihre eigenen Bands hatten, | |
waren Musik und Kunst für Melián, die entnervt vom "Leistungssport" der | |
Musikhochschule zur Kunstakademie überwechselte, lange Zeit getrennte | |
Bereiche. Verunsichert vom Hochkulturgehabe der Kunsthochschule und | |
unschlüssig über die Wahl des richtigen Mediums, fand sie auf ihre Weise | |
einen Kanal für ihre Subkultur- und Popaffinität: 50 Prozent der Zeit und | |
des Interesses reservierte sie für die Musik, in der anderen Hälfte malte | |
sie Bilder von Underground-Protagonisten wie Alfred Hilsberg und Jackie | |
Eldorado. Als Ende der 90er der DJ dann zum "Gott des Ausstellungsbetriebs" | |
wurde, der die Kunstinstitutionen wieder sexy machen sollte, wurde Michaela | |
Melián klar: Genau hier könnte sie intervenieren und die beiden Disziplinen | |
Kunst und Musik, gegenläufig zum DJ-Star-Schema, in subtilen Installationen | |
zusammenführen. Ihren ersten Track schneiderte sie 2002 für eine | |
Ausstellung im Münchener Ignaz-Günther-Haus einer von ihr 80-mal | |
fotografierten, völlig entrückt wirkenden Magdalena-Skulptur des | |
bayerischen Rokoko-Künstlers auf den Leib - und nannte ihn, versehen mit | |
den passenden Beats, ganz keck "Ignaz Guenther House". | |
Hier wird der originelle, anekdotische Zugang deutlich, der Meliáns | |
Arbeiten auszeichnet: Für ihre gendertheoretisch unterfütterte Serie | |
"Tomboy", die ihren Mann zu seinem gleichnamigen Roman inspirierte, ließ | |
sie am Fahndungscomputer der Polizei Phantombilder von berühmten Frauen | |
erstellen, nach eigenen Beschreibungen. Prekäres Detail: Der Computer hatte | |
nur männliche Gesichtszüge auf Lager. Schon Jahre vorher hatte sie in einer | |
Ausstellung mit dem süffisanten Titel "Säcke" nach dem gleichen Prinzip | |
Fahndungsbilder berühmter Männer auf unförmige Säcke drucken lassen. Männer | |
wie Einstein kamen so auf einmal im Verbrechervisagen-Look daher. | |
Aber auch lokale Gegebenheiten sind ein wichtiger Ausgangspunkt für das | |
Geflecht an historisch-kulturellen Bezügen, die sich Melián gerne | |
flanierenderweise erwandert. Für ihr aus einer Installation | |
hervorgegangenes Hörspiel "Föhrenwald", das sich mit der wechselvollen | |
Geschichte einer Wohnsiedlung in der Nähe Münchens zwischen | |
Nazi-Mustersiedlung und Übergangscamp für jüdische Displaced Persons | |
auseinandersetzt, erhielt sie 2006 den Hörspielpreis der Kriegsblinden. | |
Das Dingbar-Machen von flüchtigen Geschichten, das Einschreiben von | |
scheinbar zufälligen Ereignissen, die sich aufgrund ungünstiger | |
Machtverhältnisse und Hierarchien in Luft aufgelöst haben und nie Teil des | |
kulturellen Gedächtnisses wurden, ist ein wichtiger Motor für Melián. "Wie | |
kann man eine andere Form von Denkmalstruktur schaffen, die nichts | |
Didaktisches hat oder konkret irgendjemandem dient - das sind die Fragen, | |
die ich mir stelle", so die Künstlerin. In ihrer Installation zu Hedy | |
Lamarr, der aus Nazi-Österreich geflohenen Hollywood-Schönheit, die mit | |
ihrem Patent zum Frequency Hopping für den Funkverkehr amerikanischer | |
Kriegs-U-Boote einen wichtigen Beitrag zur heutigen Mobilfunktechnologie | |
leistete, wurde einer dieser vergessenen Kulturbeiträge wieder ans Licht | |
geholt. | |
Dass ihre neue Platte nun, wie der Vorgänger "Baden-Baden", wieder einen | |
Städte-Titel trägt, ist da natürlich kein Zufall. Melián sieht sich als | |
Kind des 20. Jahrhunderts, das sich mit Vorliebe am Spannungsfeld deutscher | |
Geschichte zwischen Drittem Reich und RAF abarbeitet. Der Sehnsuchts-, | |
Flucht- und Migrationsort Los Angeles als Auffangbecken der | |
deutsch-jüdischen Intelligenz spielt dabei eine herausragende Rolle. Und | |
auch für ihre künstlerische Grundfrage, wie Musik zu Bildern passiert, ist | |
die Produktionsmaschine Hollywood eine wichtige Chiffre. "Nun können auch | |
die Ohren Augen machen", schreibt Didi Neidhardt über die Wechselwirkung | |
von Bild und Ton in Meliáns Installationen, in denen visuelle Versatzstücke | |
von Örtlichkeiten häufig als Näh- oder Stempelbilder abstrahiert und dann | |
wiederum von Musik erweitert werden. Musik, die ebenfalls auf spezifisch | |
lokale oder historische Hintergründe verweist: Beim"Ignaz Guenther House" | |
ist das etwa ein Klavier-Präludium in h-Moll vom Zeitgenossen Bach, bei der | |
Arbeit "Panorama" (2003), die in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais | |
gezeigt wurde, ein von ihr auf der Gitarre interpretiertes Motiv aus dem | |
Lied "Innsbruck, ich muss dich lassen". | |
Die neun Stücke auf "Los Angeles", deren Beats Michaela Melián nach ihrem | |
Einsatz in den jeweiligen Installationen noch mal entschlackte, um den Sog | |
des Albums nicht zu schmälern, versprühen in der Tat den düsteren Glamour | |
klassischer Hollywood-Produktionen. Weniger Beat-orientiert und | |
atmosphärisch aufgeladener als auf "Baden-Baden", changieren die auf bis zu | |
80 Spuren arrangierten Stücke mit Violoncello, Ukulele, Orgel, Synthie, | |
Melodica und Glockenspiel zwischen E und U. Mal lassen sie, wie bei | |
"Angel", mit ihrem Ambient-Geflirre an My Bloody Valentine oder Fennesz | |
"Endless Summer" denken, mal evoziert die zart gezupfte Ukulele auf "Stift" | |
ein Echo von Jim ORourke. Beim Opener "Locke-Pistole-Kreuz" mit seinen | |
kargen Piano-Tupfern sieht man sich gleich im glamourösen Exil-Haus der | |
Werfel-Mahlers in Hollywood sitzen. | |
Den Entstehungsprozess der Tracks am Rechner charakterisiert Melián als an | |
den Kompositionsprozessen einer Band statt den endlosen Möglichkeiten | |
moderner Software geschult; "ein bisschen so, als würde man eine Collage | |
noch mit der Schere ausschneiden". Der Einsatz handwerklicher Techniken | |
spielt auch in ihren täuschend simplen künstlerischen Arbeiten eine | |
wichtige Rolle, wenn sie zum Beispiel Konturen herausarbeitet und mit Faden | |
nachstickt bzw. -näht. "Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich eine | |
Linie mit einem Bleistift oder einem Faden produziere. Gleichzeitig haben | |
diese Techniken natürlich alle eine geschlechtsspezifische Geschichte. Ich | |
habe immer betont, dass der Schneider ursprünglich ein Mann war und die | |
Nähmaschine später für die Industriearbeiterin entwickelt worden ist. Ich | |
sehe das also gar nicht unbedingt als weibliche Technik, mir geht es eher | |
um das Maschinenartige, um eine digitale Linie. Dieses ,Loch und Strich' | |
und ,Null und Eins' ist ja eine Auflösung einer Handschrift." | |
Die Wahrnehmung von Geschlecht sei in letzter Zeit durch die Konjunktur und | |
die "Sexiness" von Genderdiskursen in der Kunst deutlich differenzierter | |
geworden, ist sich Michaela Melián sicher. Eine Reaktion wie auf ihre rein | |
weiblich besetzte Gruppenschau "Balkon" 1989 in München (u.a. mit Rosemarie | |
Trockel, Jutta Koether und Johanna Kandl), die als überflüssige | |
"Tamponkunst" verunglimpft wurde, wäre heute in dieser offen | |
antifeministischen Vehemenz nicht mehr möglich. Trotzdem sind es immer noch | |
die malenden Männer, die sich auf den vordersten Plätzen der | |
Kunstbestseller-Listen drängeln und nicht die von Valie Export beeinflusste | |
Medienkunst. Aber ein Gutes hat die Verniedlichung Michaela Meliáns als | |
"emerging artist" gegenüber den "big players": Es ist so anregend kluge | |
Musik und Kunst, hinter der sie da verschwindet, dass das Etikett | |
"emerging" auf sie eigentlich gut passt, erzählt es doch auch von stetiger | |
Weiterentwicklung. | |
5 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Sonja Eismann | |
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Hamburg | |
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