| # taz.de -- Autor über Depressionen: Wie Neptun um die Sonne | |
| > Benjamin Maack erzählt von Depressionen: „Wenn das noch geht, kann es | |
| > nicht so schlimm sein“. Eine ganz persönliche Sicht. | |
| Bild: Herbst 2005, eine Busfahrt in Glasgow | |
| Es ist äußerst schwer, über Depressionen zu schreiben. Wie das in Worte | |
| fassen, was entweder im Wortlosen verharren will oder zu einer Tirade | |
| werden kann, die sich über das eigene Symptomsein nicht bewusst ist? Oder | |
| die sich dessen sehr wohl bewusst ist und genau deswegen nicht zu Wort | |
| kommen kann? | |
| Benjamin Maack, fast 42, Spiegel-Redakteur und ewiges Talent in Sachen | |
| Schriftstellerei, versucht es trotzdem. „Wenn das noch geht, kann es nicht | |
| so schlimm sein“ heißt das Buch, das jetzt in der Reihe Suhrkamp Nova | |
| erschienen ist. | |
| Maack hat sich für einen quasichronologischen Zugang entschieden, der ein | |
| wenig – wie auch seine Schreibe, dazu vielleicht später – an [1][Wolfgang | |
| Herrndorfs Umgang mit Krankheit und Wahn in dessen Blog/Tagebuch „Arbeit | |
| und Struktur“] erinnert. Kurze, mit ausbuchstabierten Zahlen versehene | |
| Kapitel, die jeweils Schlaglichter auf Situationen und Vorgeschichte | |
| werfen. So weit, so gut. | |
| Maack schreibt also als Ich, und er schreibt über sein privates Leben, das | |
| von außen betrachtet das weiße, männliche, privilegierte Glück sein müsste: | |
| Anerkennung, beneidenswerter Job, Frau, Kinder, Freunde, alles da. Über Job | |
| und Anerkennung legen sich dann aber düstere Zweifel, die Beziehungen | |
| außerhalb der Kernfamilie brechen, nein, schmelzen irgendwie weg. | |
| Stattdessen seitenlang das Wort „Fuck“. Ein Memoir soll das sein, eine | |
| Autofiktion, ein „Biographical“. | |
| Das liest sich, wie bereits angedeutet, eigentlich ganz gut. Maack hat eine | |
| flotte Schreibe, die hier und da auf flotte Effekte setzt, in dem sie zum | |
| Beispiel das Verb „rollkoffern“ erfindet. Popschreibe, hätte man früher | |
| gesagt und kann man heute noch sagen. Das Gute ist, dass sich durchaus ein | |
| Sog entwickelt, dafür sorgen auch schöne Einschübe wie der über den | |
| schlimmen Film „Ziemlich beste Freunde“ oder über Britney Spears. | |
| ## Keine Selbstanalyse | |
| Das Problem ist nur: Dahinter scheint nicht viel auf. Keine ausführliche | |
| Fallgeschichte, kein Versuch in Selbstanalyse wie bei Knausgård, keine | |
| Anklage an die Gesellschaft oder den Neoliberalismus oder den Katholizismus | |
| oder das Gesundheitssystem oder die deutsche Vergangenheit oder Gegenwart. | |
| Keine Anklage an die Familie. Obwohl, genau da könnte doch das Problem | |
| liegen. Mit Ehefrau und Kind scheint irgendwas nicht so richtig zu stimmen. | |
| Oder ist es am Ende doch ein rein, äh, biochemisches Problem? Wer glaubt | |
| denn so was? | |
| Es gibt Erzählungen über Depressionen, an die Maacks Buch bei weitem nicht | |
| heranreicht. David Foster Wallace hat in „Der Planet Trillaphon im | |
| Verhältnis zur Üblen Sache“ ein ganzes Universum des Horrors von innen | |
| beschrieben. Thomas Melle hat in „Die Welt im Rücken“ die Scham sprechen | |
| lassen, um sich vor der Welt und sich selbst für seine bipolare Störung zu | |
| entschuldigen. Und Sylvia Plath hat aus ihren Depressionen Weltliteratur | |
| erschaffen, ohne dass es um sekundäre Krankheitsgewinne oder | |
| Selbstausbeutung und Punkte auf dem Buchmarkt ging. Man lese nur „Die | |
| Glasglocke“. | |
| Maacks Buch passt in einen Strom von Selbsterkennungsbücher, die nicht nur | |
| für den Autor hilfreich sind, sondern auch von innen erzählen können. Was | |
| dem Buch fehlt, ist aber eine Verbindung in ein Außen: eine | |
| nachvollziehbare Forschung nach Ursachen, eine Verankerung im | |
| Gesellschaftlichen. Das alles will Maack, das wird im Buch explizit betont, | |
| ja gar nicht. | |
| Aber so bleibt als Fazit: Ja, Depressionen haben die ungute Eigenschaft, in | |
| unendlicher Langsamkeit wie Neptun um die Sonne und um sich selbst zu | |
| kreisen. In Buchform sollten sie aber über sich hinaus gehen. | |
| 8 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| René Hamann | |
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