| # taz.de -- Ausstellung von Nhu Xuan Hua: Kuss eines Schwans | |
| > Nhu Xuan Hua ist bekannt für ihre Mode- und Porträtfotografie. In | |
| > Frankfurt zeigt sie nun seltsam surreale Dokumente der Gegenwart. | |
| Bild: Rauchende Heroine: „I’m home late, don’t you care where I’ve been… | |
| Die Mandarine repräsentiert die Mutter, die Auster den Vater, und ein Guss | |
| aus Gold, Silber, Grau oder Weiß verheißt größte Wertschätzung für die so | |
| erstarrten Dinge. Nhu Xuan Huas Kunst braucht kein Glossar, um visuell | |
| rasch in den Bann zu ziehen – aber schaden kann ein gewisses Vorwissen als | |
| Einstieg in den symbolisch aufgeladenen Bildkosmos auch nicht. | |
| Sonst könnte man die monochrom einbalsamierten Topfpflanzen, Stoffblumen | |
| und Gabentische leicht für eine triste Angelegenheit halten und nicht etwa | |
| für höchste Ehrerbietung. | |
| Das [1][Fotografie Forum Frankfurt] zeigt „Hug of a Swan“, die erste große | |
| Einzelausstellung der vietnamesisch-französischen Künstlerin in | |
| Deutschland. Sie vereint fotografisches und fotokünstlerisches Werk, | |
| Auftrags- und freie Arbeiten bewusst ebenbürtig. Damit steht Nhu Xuan Hua | |
| stellvertretend für eine Generation, der die gestrengen Grenzen | |
| künstlerischen Ernsts herzlich egal sind. | |
| Ihre Bilder zieren Kampagnen für Luxushäuser ebenso wie für Editorials: Auf | |
| ein Geschwisterpaar lässt sie Krawatten wie Konfetti über bronzefarbenen | |
| Grund regnen, eine andere Protagonistin wässert die Geranien oder cremt | |
| sich das Gesicht, die Bluse mit dem ikonischen Gucci-Doppel-G verrät den | |
| Auftraggeber. | |
| ## Bilder aus der eigenen Familiengeschichte | |
| Zu den messerscharf Abgelichteten gesellen sich gespenstisch verschwommene | |
| Figuren: Es sind die gesichts- und nahezu körperlosen Figuren aus Huas | |
| „Tropism“-Serie, die auf gefundenen Bildern aus dem Familienfundus | |
| basieren. Nhu Xuan Hua wurde in Frankreich geboren, ihre Eltern flohen vor | |
| dem Vietnamkrieg erst nach Belgien, dann ins Land der ehemaligen | |
| Kolonisierer. Die bewusste Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte | |
| kam für die Künstlerin erst nachträglich, aber mit Macht. | |
| Viele Jahre spürte sie den Menschen auf den Bildern, den | |
| intragenerationellen Traumata und der eigenen Sehnsucht nach Verbundenheit | |
| nach. Von den Personen, die Hua digital bearbeitet, bleiben nurmehr | |
| Silhouetten, die ihre Umgebung durchschimmern lassen. Als ob sie zwischen | |
| den Dimensionen von Zeit und Raum hin- und herswitchen, ohne sich je ganz | |
| zu materialisieren. Tragisches Manko oder vielmehr Superpower? | |
| Nhu Xuan Hua ist nicht nur Foto-, sondern eine ebenso bildmächtige | |
| Raumkünstlerin. Mit schlafwandlerischer Präzision arrangiert sie Sets für | |
| ihre Fotografien und hernach noch die Bilder, die dabei entstehen. Ordnung | |
| muss sein, dieses Prinzip gefällt ihr auch als künstlerisches. | |
| Das Ergebnis sind Fotoräume, die gleichzeitig hyper-artifiziell wie | |
| immersiv sich als Bühnen behaupten: Ein Red Room, der einem | |
| [2][Kenneth-Anger-Filmset] zur Ehre gereichen würde, tatsächlich aber auf | |
| vietnamesische Tempel rekurriert. Die Beletage mit Parkbank und | |
| Plastikrasen, Reminiszenz an die Familienwohnung im Pariser Vorort. | |
| Materielle Erinnerungsstücke sind wichtig. Das Empfinden der Diaspora ist | |
| auch ein ästhetisches. | |
| ## Aneignung von Diskursen | |
| Dass Huas Bilder im Ausstellungsraum hier geradezu neu erscheinen (und im | |
| Modekontext deutlich vertrauter), ist aufschlussreich: So eignet man sich | |
| im westeuropäischen Kunstbetrieb gern US-amerikanische Diskurse an, ohne | |
| dass damit allerdings zugleich ein besonderes Interesse für die | |
| spezifischen Lebenswelten der eigenen Länder, hier also die der zweiten | |
| oder dritten postmigrantischen Generation, einherginge. | |
| In Nhu Xuan Huas Bildern trifft ein kritischer auf einen liebevollen Blick, | |
| wobei ihre Sympathien klar bei der eigenen Familie liegen und bei den | |
| Anstrengungen, die Vater und Mutter auf sich nahmen, um den eigenen Kindern | |
| ein besseres Leben zu ermöglichen. Staubtrockener Humor gehört dazu. | |
| Im Celebration Room hängt das Bild einer asiatischstämmigen Heroine. | |
| Eisgefrorener Blick, schickstes Kettenkleid, rauchend – Hua inszeniert die | |
| Zigarette als Zeichen der Selbstbestimmung, die obligatorische Mandarine | |
| darf nicht fehlen. Darunter die Skulptur eines in mattes Grau getauchten | |
| Geburtstagstischs, wie ihn die Mutter der Künstlerin bereitete, mit genau | |
| abgezählten Flaschen Softdrinks, Kuchen, Leckereien. Vietnamese Style, mit | |
| europäischen Gaben darauf. | |
| Alles sei persönlich, sagt Nhu Xuan Hua, die Fashionkampagnen und die | |
| freien Arbeiten. Mit dieser Schau habe sie jetzt ein für sie wichtiges | |
| Kapitel geschlossen. Im bunt illuminierten Wedding Room mit Karaokebühne, | |
| darauf das Porträt einer fantastischen Jadekriegerin, davor hübsch | |
| dekorierte Tischhälften zum Niedersitzen, kann man über einen QR-Code den | |
| passenden Soundtrack anwerfen. | |
| Vietnamesischer Lambada sei besonders beliebt, erklärt die Künstlerin. | |
| Schön nostalgisch. Es ist eine doppelt und dreifach gewundene Nostalgie, | |
| die als europäisches Plagiat eines brasilianischen Paartanzes 1989 in Paris | |
| auftauchte, einen Bogen über die vietnamesischsprachige Welt schlug und nun | |
| also womöglich wieder in Frankreich landet, auf einem vietnamesischen | |
| Hochzeitskaraoke. | |
| 15 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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