| # taz.de -- Ausstellung zu Künstlerin Cindy Sherman: Wer bestimmt, was schön … | |
| > Das Spiel mit Rollen und Normen ist der Mode nicht fremd. Eine | |
| > Ausstellung in Hamburg spürt dem im Werk von Cindy Sherman nach. Warum | |
| > erst jetzt? | |
| Bild: Cindy Sherman, Untitled #462, 2007/2008 (Ausschnitt) | |
| Dass es so lange gedauert hat, habe die Künstlerin überrascht. Davon konnte | |
| dieser Tage Alessandra Nappo berichten: Die ehemalige Kuratorin der | |
| Staatsgalerie Stuttgart war nach Hamburg gekommen, zur Eröffnung der | |
| zweiten Station von „Cindy Sherman: Anti-Fashion“. Konzipiert und zuerst | |
| gezeigt worden war die Ausstellung in Stuttgart. Sherman begutachte und | |
| bewillige immer noch jedes Konzept persönlich, so Nappo, und von der Idee, | |
| auf ihr Verhältnis zur Mode zu schauen, sei sie begeistert gewesen – und | |
| habe eben gefragt: Wieso erst jetzt? | |
| Denn wie ein roter Faden zieht sich die Mode durch das knapp 50 Jahre | |
| umspannende Werk der [1][US-amerikanischen Fotokünstlerin], das arbeitet | |
| diese Ausstellung heraus. Inszenierung und Verkleidung des Frauenkörpers, | |
| zuallererst ihres eigenen Körpers, sind ja, wofür Sherman bekannt ist – und | |
| beides ist immer auch Aufgabe der Mode gewesen. | |
| Selbst in ihrer wohl bekanntesten Serie, den in Hamburg nicht | |
| berücksichtigten „Untitled Film Stills“, tragen Kleidungsstücke, | |
| Accessoires und Frisuren bei zur trügerischen Authentizität dieser | |
| vermeintlichen Standbilder aus einem Film Noir oder einem Streifen des | |
| italienischen Neorealismus. Gedreht worden sind sie ja nie. | |
| Die Schau stellt eine Künstlerin vor, die sich zu jeder Zeit für Mode | |
| interessiert hat; für die Rollenbilder, die sie transportiert, für die | |
| Normen, die darin zum Ausdruck kommen und auch mal neu ausgehandelt werden. | |
| ## Die Firma war geschockt | |
| Kommentiert nicht der frühe Stop-Motion-[2][Kürzestfilm „Paper Dolls“ | |
| (1975)] bereits eine Gängelung der Mode tragenden Frau? Da sucht sich eine | |
| Cindy Sherman aus Papier selbst ein ebenfalls zweidimensionales Kleid aus, | |
| bewundert sich darin im Spiegel – bis eine riesige Menschenhand alles | |
| wieder zurück in die entsprechenden Plastiktaschen steckt. Was schön ist, | |
| bestimmt nicht jede für sich, so könnte das gemeint sein. | |
| Alle Individualität, die auszudrücken Mode helfen kann, hat ihre Grenzen, | |
| und vorne dran sein beim letzten (oder nächsten) Trend ist etwas anderes | |
| als schlicht exzentrisch. | |
| Wohlgemerkt, Sherman hat für Modefirmen und -magazine gearbeitet, ist also | |
| keine Gegnerin des Betriebs. Es ist ein schillerndes Verhältnis, das sie zu | |
| verbinden scheint mit ihren teils extrem hochpreisigen Auftraggebern. | |
| Anfangs stand es unter keinem guten Stern. 1984 sollte Sherman eine | |
| Dorothée-Bis-Kollektion fotografieren, das Unternehmen fand aber zu | |
| „schockierend“, was sie dann lieferte: Selbstinszenierungen als | |
| zurückhaltende, auch ängstlich wirkende Frau, mit teils vernarbtem Gesicht. | |
| Solche Bilder brachten ihr aber später Jobs etwa [3][für das Label Comme | |
| des Garçons] ein: Ihre Fotografien aus den 1990er Jahren für die japanische | |
| Modemarke waren eine Antithese zu den ästhetischen Standards der Industrie. | |
| Sherman zeigt sich darauf stark geschminkt, mit dicken Wangen und | |
| übergroßen Augen. Heute erscheinen uns solch groteske Inszenierungen kaum | |
| noch für Werbung ungeeignet. | |
| Rund 50 Bilder umfasst die Stuttgarter Auswahl, in Hamburg erweitert um | |
| Stücke anderer Künstler:innen der Pictures Generation aus der Sammlung | |
| Harald Falckenbergs: Richard Prince’ Autogrammkarten von Filmstar Sylvester | |
| Stallone oder der Phantasyfigur „Xena, Warrior Princess“ arbeiten dann das | |
| Absurde unserer Star-Verehrung nochmal anders heraus. Bei Prince wie bei | |
| Sherman ist die Kunst nicht losgelöst vom Massenmedialen, Trivialen, | |
| Hässlichen. | |
| Shermans Inszenierungen sind auch immer wieder komisch. Ihre Bilder, mit | |
| den Jahren zunehmend digital bearbeitet, stehen häufig an einem Kipppunkt, | |
| an dem der gekonnte Umgang mit dem Trend in eine selbstvergessene | |
| Lächerlichkeit umschlägt – auch, aber nicht erst [4][im Zeitalter des | |
| Selfies]. | |
| Auf [5][„Untitled #462“] zeigt sie sich gleich doppelt als angejahrte | |
| Partykönigin mit Daunenjacke, Goldkettchen und Eulenbrille. Sie mögen | |
| fashion victims sein, diese beiden nur im Bild existierenden | |
| Balenciaga-Kundinnen, an einer billigen Gelegenheit, sich solchen | |
| Charakteren überlegen zu fühlen, scheint Sherman aber kein bisschen | |
| interessiert. Da liegt die Hässlichkeit ganz im Auge des Betrachters. | |
| 18 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Cindy-Sherman-in-Berlin/!5730841 | |
| [2] https://www.dailymotion.com/video/x4yscje | |
| [3] https://www.kidsofdada.com/blogs/magazine/15959989-the-art-fashion-divide | |
| [4] /Doku-Girl-Gang-ueber-junge-Influencerinnen/!5885618 | |
| [5] https://www.volkswagen-newsroom.com/de/bilder/detail/cindy-sherman-untitled… | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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