| # taz.de -- Daniel Spoerri-Ausstellung in Hamburg: Die Pointe geht in der Anhä… | |
| > Daniel Spoerri wollte die Wirklichkeit radikal mit der Kunst | |
| > verschmelzen. Doch sein opulentes Werk scheint die Hamburger | |
| > Deichtorhallen zu überfordern. | |
| Bild: Daniel Spoerri, Bistro der Santa Marta „Romance I“: Fuchsia, 2014 Ass… | |
| Daniel Spoerri (1930-2024) muss ein widerspenstiger Charakter gewesen sein. | |
| In seiner Kunst frönte er vor allem seiner eigentlichen Leidenschaft: dem | |
| Essen. Seine „Fallenbilder“ („Tableau piège“) sind Momentaufnahmen von | |
| Gastmählern, gemütlichen Zusammenkünften oder hitzigen Tischdebatten. Seit | |
| den 1960er Jahren fixierte Spoerri Gedeck, Essensreste, Zigaretten und | |
| Weinflaschen nach der Mahlzeit auf dem Tisch, sägte dessen Beine ab und | |
| brachte das Ganze an die Wand. Nie zuvor war die Kunst so sehr aus dem | |
| Leben gegriffen, geriet der Bildbegriff mit Spoerris Erfindung der Eat Art | |
| in dieser Form in Schieflage. | |
| Sammeln [1][war die zweite große Leidenschaft des Künstlers, der den Zufall | |
| kultivierte.] Auf Flohmärkten ließ er sich treiben, kaufte ohne | |
| zielgerichtete Absicht historische Küchengeräte oder Schaufensterpuppen, | |
| die er dann eines Tages „verkunsten“ würde. Als Mitglied der 1960 | |
| gegründeten Nouveaux Réalistes gehörte der Künstler einer Generation an, | |
| die die Wirklichkeit auf rabiate Weise mit der Kunst verschmelzen wollte. | |
| „Ich liebe Widersprüche“ lautet der Titel der groß angelegten | |
| Übersichtsschau, die sich aktuell in den Hamburger Phönixhallen auf rund | |
| 6.000 Quadratmetern erstreckt. Widersprüche in Bezug auf Spoerris Werk | |
| sollen dabei vermutlich als Synonym für Produktivität verstanden werden. In | |
| der Ausstellungskonzeption dagegen sind sie – nun ja, widersprüchlich. | |
| Spoerri habe sich, so betont Kuratorin Barbara Räderscheidt, stets neu | |
| erfunden. Von diesem Innovationsgeist aber ist auf den fünf Stockwerken | |
| wenig zu erkennen. Die Ausstellung setzt nämlich auf serielle Wiederholung. | |
| Gleich am Eingang warten mehrere Varianten des Wortspiels „Ça crêve les | |
| yeux“ (Das sticht ins Auge) auf. Alle zeigen Augenpaare, in deren Augäpfeln | |
| Scheren stecken. Gemeinsam mit Künstlerkollegen wie Robert Filiou | |
| entwickelte Spoerri diese „Wortfallen“, in denen Redensarten bildlich | |
| umgesetzt sind. Die Pointe geht in der Anhäufung der Werke allerdings | |
| verloren, die gesellschaftskritischen Spitzen, die gegen die Überhöhung der | |
| Kunst durch Eliten gerichtet waren, wirken abgestoßen. | |
| ## Das ist doch keine Minimal Art | |
| Diese Serialität, die eher zu [2][Donald Judds ganz anders gearteten, | |
| minimalistisch-akkuraten Objekten] passen würde, zieht sich durch alle | |
| Stockwerke. Ein „Fallenbild“ reiht sich hier an das nächste, Eaten | |
| by-Tische, als Porträt von Personen gedacht, schließen daran an. Wenig | |
| Abwechslung liefern auch die späteren arrangierten „Mosaiques des années | |
| cinquante“, die auf Mosaik-Tischchen aus den 1950er Jahren arrangiert sind, | |
| oder die zahlreichen Künstler*innen-Tische, die als Atelier-Stillleben | |
| bezeichnet werden können. | |
| Auch die aneinander gereihten Arbeiten der 2015 entstandenen Serie „Was | |
| bleibt“, in der Spoerri Nippes, Kuscheltiere oder Plastikpflanzen | |
| verwertete, die abends auf Flohmärkten übriggeblieben waren, wirken hier | |
| einfach redundant. Trotz der angehäuften Menge der Werke ist der frühe | |
| Spoerri in dieser Schau auffallend wenig vertreten. | |
| ## Brachiale Bronze-Güsse | |
| Und wie sind nun die Bezüge zu Werken aus der Sammlung Falckenberg gemeint, | |
| mit denen ein Dialog entstehen soll? Die Verbindung mit einer Zeichnung | |
| eines verpackten Gebäudes von Christo erklärt sich aus der Kunstgeschichte | |
| heraus: Beide Künstler gehören zu den Gründungsmitgliedern der Nouveaux | |
| Réalistes. Die Verwandtschaft von Spoerris mannshohen Bronzen, den | |
| „Prillwitzer Idolen“, mit brachialen Bronze-Güssen von Jonathan Meese | |
| bleibt dagegen schleierhaft. Ist es das Material, die Reminiszenz des | |
| Jüngeren an den Älteren? Der Wandtext schweigt sich dazu aus. | |
| Ohnehin fällt die Vermittlung der Ausstellung etwas karg aus. Zum Zeitpunkt | |
| der Eröffnung fehlte neben der Reihe der „Morduntersuchungen“ zumindest | |
| eine Triggerwarnung, handelt es sich doch um überarbeitete Fotografien von | |
| gewaltvoll zu Tode gekommenen Kindern. Spoerri wollte mit den heftigen | |
| Bildmontagen demonstrieren, dass jeder Gegenstand potenziell zur Mordwaffe | |
| werden kann – [3][Memento Mori,] sei dir des Endes bewusst, so die | |
| eigentliche Botschaft. Die Deichtorhallen reichten einen entsprechenden | |
| Hinweis nach, etwas spät angesichts der aktuellen Awareness-Debatte. | |
| Unbestritten gehört Daniel Spoerri zu den großen Erneuerern der Kunst. | |
| Seine revolutionären Ideen haben Maßstäbe gesetzt und gleichzeitig | |
| althergebrachte Normen verrückt. Die Deichtorhallen sind ihm jedoch in die | |
| Falle gegangen. Anhand der schieren Größe der Phönixhallen haben sie sich | |
| offensichtlich in der Masse von Spoerris Schaffen verstrickt. Die Kraft | |
| seiner Kunst haben sie dabei aus den Augen verloren. | |
| 28 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anne Simone Kiesiel | |
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