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# taz.de -- Whitney-Biennale New York: Die neue Innerlichkeit
> Ist die New Yorker Whitney-Biennale so zahm, wie ältere US-Kunstkritiker
> behaupten? Oder sagt das etwas über das Innenleben eines brüchigen
> Imperiums?
Bild: Ein verkohltes Weißes Haus über Manhattan: Kiyan Williams, „Ruins of …
Der Renzo-Piano-Bau am Hudson River, der seit nun beinahe zehn Jahren das
New Yorker Whitney Museum beherbergt, hat zwei Soll-Öffnungen zur Straße
hin, vollverglaste Außenwände über die gesamte Breite des zweiten und
dritten Stockwerks.
Wer seit vergangener Woche hier am Fluss entlang joggen oder spazieren geht
und einen Blick nach oben wagt, dem blinken in Neonlettern Botschaften
entgegen, die den Beobachter wenigstens für einen Augenblick aus dem Tritt
bringen. „We must stop imagining/apocalypse/genocide and we must imagine
liberation“, schimmert da in zehn Meter Höhe über der Flusspromenade.
Die Neonschrift ist das einzige nach außen sichtbare Zeichen dessen, was
sich derzeit im Museumsinneren abspielt – die Biennale des Museums nämlich,
die seit nunmehr 51 Jahren nicht nur den jeweiligen Moment in der
amerikanischen Kunst abzubilden strebt, sondern der gegenwärtigen
Künstlergeneration eine Plattform bietet, [1][die Zustände in Kultur und
Gesellschaft zu kommentieren].
Diese Gelegenheit haben die Künstler in der Vergangenheit mit wechselnder
Intensität genutzt. Unvergessen ist etwa die Biennale des Jahres 1993, als
die US-Kunst sich mit einer verzweifelten Vehemenz gegen den Zynismus des
amerikanischen Neoliberalismus aufgelehnt und sehr zum Unbehagen des
Kunst-Establishments die Grenze zwischen Kunst und Polit-Aktivismus
verwischt hat.
## Konstruktion von Identität
Seither ist die 93er-Biennale zum Bezugspunkt für die Kuratoren aller
weiteren Biennalen geworden – man versuchte sich entweder davon zu
distanzieren oder, wie in den vergangenen Jahren, ihren Geist
wiederzubeleben und zu fragen, wie er für die heutige Zeit aktualisierbar
ist.
Meg Onli, die Co-Kuratorin der derzeitigen Biennale, gibt zu, bei der
Planung der Ausstellung mit ihrer Kollegin Chrissie Iles an die Diskurse
des Jahres 1993 angeknüpft zu haben. Das damals zentrale Thema war die
Konstruktion von Identität. Das Thema erscheint den Kuratorinnen auch heute
so unabgeschlossen wie eh und je, seine Verhandlung bleibt auch bei einer
seither neuen Künstlergeneration spannend.
Die New Yorker Kritik konnte dem Ansatz von Onli und Iles allerdings wenig
abgewinnen. Jerry Saltz etwa, der große Meinungsmacher in der New Yorker
Szene, fand die ganze Show zu brav und zu zahm. Das sei nicht zuletzt daran
abzulesen, dass der leuchtende Schriftzug an der Fassade des Whitney vom
indigenen Künstler Demian DinéYazhi das am explizitesten politische unter
den nur 71 Werken ist.
Der 73 Jahre alte Saltz, der in den militanten Kulturkämpfen der 70er und
80er Jahre sozialisiert wurde, wünscht sich das Wilde, Anarchische jener
Zeit zurück, er sehnt sich nach dem Ikonoklasmus von [2][Matthew Barney],
[3][Cindy Sherman], Barbara Kruger oder [4][Nan Goldin]. Die heutigen
Künstler sind ihm zu ängstlich, zu verschüchtert. Er habe bei der Biennale
nichts gesehen, meint Saltz, was wirklich aufrüttelt.
## Nichts ist laut oder schrill
Man kann ihm recht geben, nicht viel ist zu sehen, das laut oder schrill
daherkommt. Plakativ ist vielleicht noch die scheinbar verkohlte, in sich
zusammensinkende Nachbildung vom Weißen Haus auf der Außenterrasse des
fünften Stocks. „The Earth Swallows the Masters House“ nennt Kiyan Williams
die gut drei Meter hohe Plastik, auf der nur die amerikanische Flagge
unbeschadet ist.
Hier wird auf etwas zu triviale Weise das Ende des amerikanischen Imperiums
entweder illustriert oder herbeigewünscht, je nachdem wie man es
betrachtet. Dem gegenüber hat Williams eine triumphierende Statue der
Trans-Aktivistin Marsha P. Johnston platziert.
Doch schon hier merkt man, dass die Dinge komplizierter geworden sind seit
1993. Der leidenschaftliche Kampf um die amerikanische Seele ist im
Zeitalter von Trump einer gewissen Verzweiflung sowie einem wachsende
Zynismus gewichen. Und damit verbunden einer Kehre nach innen.
So berichtet Meg Onli, sie habe während ihrer Recherchen eine Hinwendung
zur Subjektivität in der amerikanischen Gegenwartskunst beobachtet sowie
ein neues Interesse an der Psychoanalyse. Künstler misstrauten allem, was
Stabilität vorgibt oder Hierarchien zwischen einer behaupteten „Realität“
und einer „Irrealität“ aufmacht, wie es beispielsweise für heteronormale
Identitäten gegenüber queeren beansprucht wird.
## Fließend und instabil
Das Ergebnis ist eine Kunst, die das Fließende, Instabile betont. Da sind
zum Beispiel die Kaskaden aus belichtetem, aber unfixiertem Fotopapier der
kanadischen Künstlerin Lotus Laurie Kang, die sich durch die
Lichtverhältnisse im Museum weiterentwickeln und immer neue Brauntöne
produzieren. Oder die Arbeit von Suzanne Jackson, die Acrylfarbe mit
Acrylfarbe vermischt und darin zerschredderte Briefe oder Textilien
auflöst. Die Arbeit ist in einem steten Wandlungsprozess, ist ein Gemälde
ohne Leinwand, dem wortwörtlich der Halt fehlt.
Aber auch die eher klassische Malerei schafft es, materiell und psychisch
etwas Unstetes zu vermitteln. Da sind etwa die Gemälde der lange
übersehenen schwarzen Künstlerin Mavis Pusey. Sie lässt sich von der nicht
enden wollenden Abrisswut in New York inspirieren, wenn sie auf ihren
Leinwänden gerasterte, moderne Fassaden mit Brettverschlägen und Bauschutt
zu abstrakten Kompositionen vermengt.
Ähnlich gespenstisch sind die Bilder von Maja Ruznic, die als bosnisches
Kind in österreichischen Flüchtlingslagern massive Traumata erfuhr, die
sich auf ihr weiteres Leben ausgewirkt haben. Auf ihrem trügerisch
farbenfrohen Ölgemälde „The past awaiting the present“ deutet sie mit ihr…
kubistischen Figuren die schmerzhaften, aber auch hoffnungsvollen
Identitätsübergänge in ihrer Biografie an.
## Konstruktion von Trans-Identitäten
Am treffendsten passt das Thema uneindeutiger Identitäten freilich auf die
Konstruktion von Trans-Identitäten, die im heutigen Amerika an vorderster
Front der Kulturkämpfe verhandelt werden. Die Biennale hat deshalb mehrere
Trans-Künstler:Innen eingeladen, die sich jedoch auch nicht explizit
agitatorisch gebärden.
Doch speziell die scheinbar lakonischen Zeichnungen von Pippa Garner, die
mit Tesafilm in die Büroräume des Whitney gehängt wurden, sind deshalb umso
eindringlicher. Mit viel Humor und Selbstironie begleitete sie darauf über
viele Jahre ihre eigene Transition. Cartoonhaft, manchmal fantastisch,
wandelt sie Konsumgüter wie Autos oder Küchengeräte zu Körpererweiterungen
um und kommentiert leichthändig die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher
Selbsterschaffung.
Wer sich derweil angesichts des Titels der Biennale „Even Better Than the
Real Thing“ eine tiefergehende Diskussion der Wechselwirkung von
künstlicher Intelligenz und Kunst verspricht, der wird allerdings
enttäuscht. Im Grunde wird nur ein Werk digitaler Kunst gezeigt,
„xhairymutantx“ von Holly Herndon und Mat Dryhurst, und es stellt nicht das
herausragendste Beispiel dieser Sparte dar: Zu sehen ist [5][eine
AI-generierte Mutation der Künstlerin] als Gemälde, der Besucher kann per
QR im Netz weitere generieren. Solch ein Kommentar auf Deepfakes bleibt an
der Museumswand eher flach.
## Gegenentwurf oder Kritik?
Man könnte den Titel der Biennale aber auch auf einen anderen
konzeptionellen Ansatz gemünzt verstehen, dass sie nämlich nicht so sehr
als Kritik am amerikanischen Imperium gedacht ist, sondern eher als eine
Art Gegenentwurf. Chrissie Iles bringt im Katalog den postkolonialen
Begriff des „archipelagic space“ – des archipelen Raums – ins Spiel. Mit
dessen Hilfe sollen Dinge wie Imperium, Nation, aber auch jede andere Form
von Gemeinwesen holistischer gedacht werden, als instabiles Netzwerk von
Interdependenzen.
Es mag eine der Stärken der Whitney-Biennale sein, Amerika als ein solches
Archipel vorzuschlagen. Chaotisch, unruhig, insulär, aber lose verbunden
und vom Untergang bedroht. Ein verletzliches, prekäres Amerika, aber
better than the real thing. Wenn dies die Diagnose der Biennale ist, dann
kann man ihr nur zustimmen.
31 Mar 2024
## LINKS
[1] /Whitney-Biennale-in-New-York/!5394709
[2] /Ausstellung-von-Matthew-Barney/!5045708
[3] /Ausstellung-zu-Kuenstlerin-Cindy-Sherman/!5966158
[4] /Doku-ueber-Kuenstlerin-Nan-Goldin-im-Kino/!5933558
[5] /Model-ueber-KI-in-der-Sexindustrie/!5997391
## AUTOREN
Sebastian Moll
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