| # taz.de -- Feministische Videokunst: „Nie mehr werde ich ein Huhn sein!“ | |
| > Brotlose Kunst trifft unbezahlte Reproduktionsarbeit: Der bisher | |
| > vergessenen Künstlerin Margaret Raspé gilt eine Schau im Berliner Haus am | |
| > Waldsee. | |
| Bild: Ich wollt', ich wär' kein Huhn: Installationsansicht Retrospektive von M… | |
| Margaret Raspé presst das Huhn auf ein weißes Tuch im Gras, stellt sich mit | |
| den Füßen von hinten auf dessen Flügel und schneidet ihm den Kopf ab. Das | |
| Tuch färbt sich rot. Wir sehen die Hände der Künstlerin in Aktion: Sie | |
| filmt die Schlachtung mit einer Super-8-Kamera, die sie auf einen | |
| Baustellenhelm montiert hat. Ihr Blick wechselt zwischen dem zuckenden | |
| Hühnerkörper und dem abgetrennten Kopf hin und her. Noch einige Male geht | |
| der Schnabel auf und zu. Dann rupft sie das Huhn und weidet es aus. | |
| Harter Schnitt: Jetzt hält Raspé ein Tiefkühlhuhn Marke Wiesenhof in die | |
| Kamera, befreit es aus seiner Plastikhülle, reibt es mit Salz und Paprika | |
| ein und schiebt es in den Ofen. „Oh Tod, wie nahrhaft bist du“ entsteht | |
| Anfang der 1970er Jahre zusammen mit weiteren Helmkamerafilmen. Die meisten | |
| davon zeigen Raspé, also ihre Hände, bei der Hausarbeit: beim Abwaschen, | |
| Kuchenbacken, Schnitzelschlagen. | |
| Zusammen mit weiteren Arbeiten sind sie nun in ihrer ersten Werkschau | |
| überhaupt zu sehen. Und die ist längst überfällig – Raspé wird in diesem | |
| Jahr 90. Anna Gritz, seit Mitte letzten Jahres Direktorin des Hauses am | |
| Waldsee, hat sie für das kleine, aber beachtenswerte Berliner Kunsthaus | |
| kuratiert. Auf Raspés Arbeit war sie zum ersten Mal in London aufmerksam | |
| geworden. Dort und auch in New York sei Raspé im Kontext des | |
| Experimentalfilms enthusiastisch aufgenommen worden, sagt Gritz. In | |
| Deutschland hingegen geriet ihr Werk in Vergessenheit, bis jetzt. | |
| Ende der 1950er Jahre hatte Raspé Kunst in München und Berlin studiert. | |
| Dann heiratete sie, bekam drei Töchter. Es vergingen mehr als zehn Jahre, | |
| bis sie in der Küche ihrer Villa im Berliner Bezirk Zehlendorf unweit des | |
| Hauses am Waldsee zu filmen begann und damit ihre künstlerische Tätigkeit | |
| aufnahm. Nach der Trennung von ihrem Mann behielt sie die Villa, lebte dort | |
| mit ihren drei Töchtern. | |
| ## Privater Salon für Wiener Aktionisten | |
| Bald öffnete sie es für Künstler:innen, vermietete Zimmer, um ihre | |
| wirtschaftliche Situation zu verbessern, machte Ausstellungen im Garten, | |
| hielt einen Salon in der Küche ab. In dieser kochte sie für die [1][Wiener | |
| Aktionisten], die regelmäßig zu Gast waren, und für Fluxuskünstler:innen, | |
| die durch Stipendien des DAAD nach Deutschland kamen. „Von all diesen | |
| Strömungen finden sich Spuren in Raspés Werk“, sagt Gritz. Monatelang saßen | |
| die Kuratorin und ihr Team fast wöchentlich in dieser Küche und führten | |
| Gespräche mit Raspé, um die Ausstellung vorzubereiten. | |
| „Oh Tod, wie nahrhaft bist du“ markiert einen Wendepunkt im Leben Raspés. | |
| „Als ich das Huhn tötete, habe ich auch eine Vorstellung von mir selbst | |
| getötet: Du blödes Huhn. Nie mehr werde ich ein Huhn sein! Ich habe ihm den | |
| Kopf abgeschnitten, weil Frauen ja nicht selber denken sollten“, sagte | |
| Raspé einmal in einem Interview. Als Frau in einem männlich dominierten | |
| Milieu blieb ihre künstlerische Tätigkeit so brotlos wie die | |
| Reproduktionsarbeit, die sie als Hausfrau und Mutter leistete. | |
| In einer Vitrine mit Dokumenten aus Raspés Archiv ist ein | |
| maschinengeschriebener, mit handschriftlichen Notizen versehener Text | |
| ausgestellt. Darüber steht der Titel „Arbeitszusammenhänge“. Raspé schre… | |
| darin, es sei ihr bei den Helmfilmen um einen Handlungsraum gegangen, der | |
| damals „nicht im Bewusstsein integriert“ gewesen, „nicht angesehen als | |
| Arbeit, als zu vernachlässigen beurteilt“ worden sei. Diesen in der Kunst | |
| zu bearbeiten, sei schon gar nicht möglich gewesen. | |
| Auch die US-amerikanische Künstlerin Martha Rosler wagte sich 1975, kurz | |
| nach Raspé, mit ihrer ikonischen Arbeit [2][„Semiotics of the Kitchen“ | |
| offensiv an das Thema Hausarbeit]. In der Videoperformance steht Rosler, | |
| die zu dieser Zeit genauso wie Raspé alleinerziehende Mutter war, in einer | |
| Küche, frontal zur Kamera, zählt wie fremdgesteuert in alphabetischer | |
| Reihenfolge Gegenstände wie einen Fleischklopfer und einen Eispickel auf, | |
| hält die Gegenstände ins Bild und führt gestisch ihre Anwendung vor. Sie | |
| muten dabei mehr wie Mordwaffen als wie Küchenutensilien an. | |
| ## „Oh Tod, wie nahrhaft bist du“ | |
| Während Rosler zur festen Größe des in jüngerer Zeit aufgearbeiteten Kanons | |
| der feministischen Kunst wurde, taucht Raspé in den Sammlungen und | |
| Standardwerken dazu, etwa in „Feministische Avantgarde“ der | |
| Kunsthistorikerin Gabriele Schor und der Wiener Sammlung Verbund, nicht auf | |
| – völlig zu Unrecht. „Oh Tod, wie nahrhaft bist du“ ist eine | |
| Schlüsselarbeit der feministischen Kunst dieser Zeit. | |
| Das Tiefkühlhuhn steht, Pars pro Toto, für die industrielle Fertigung von | |
| Lebensmitteln und verweist so auch auf die Zusammenhänge von Lohnarbeit und | |
| Reproduktionsarbeit, wozu die Philosophin Silvia Federici ab den 1970er | |
| Jahren theoretisierte. Damals hatte Federici gerade auch die Kampagne „Lohn | |
| für Hausarbeit“ mit initiiert. | |
| Mit ihren Helmfilmen erkundet Raspé vor allem die Automatismen im Feld der | |
| Arbeit. Als Hausfrau sei sie im automatischen Funktionieren eingesperrt | |
| gewesen, zitiert Gritz aus einem Gespräch. Raspé experimentierte auch mit | |
| der automatischen Kunstproduktion, wie man sie aus dem Surrealismus kennt. | |
| Für „Die Selbstbewegungen des Frautomaten“ filmte sie sich 1977 mit der | |
| Helmkamera beim Zeichnen, das sie stundenlang praktizierte, auch unter dem | |
| Einfluss von Alkohol oder Marihuana, um zu unterschiedlichen Ergebnissen zu | |
| kommen. In schnell ausgeführten Bewegungen mit schwarzem Stift auf weißem | |
| Papier entstanden mal abstrakte Kringelwolken, mal eine aus einer einzigen | |
| Linie gezeichnete Hand. | |
| ## (All-)Tag als Hausfrau und Mutter | |
| In den 1980er Jahren filmte sie sich mit ihrer Helmkamera beim Malen mit | |
| den Grundfarben Blau, Rot und Gelb. Die Betracher:innen folgen dem | |
| Pinselkopf beim Eintauchen in die Farbtöpfe und beim mal hektischen, mal | |
| ruhigen Auftragen der Farben auf eine große Leinwand. | |
| Selbst wer zu den wenigen gehört, die Raspés Helmfilme kennen, dürfte in | |
| der Ausstellung überrascht werden. Sie schuf Installationen, Performances, | |
| experimentierte mit Klang und Fotografie. Darüber hinaus schrieb sie Texte | |
| und eine Reihe konkreter Gedichte. Ihr Mann taucht als G. in einem davon | |
| auf. Darin beschreibt sie ihren Tag als Hausfrau und Mutter: Kinder wecken, | |
| Frühstück machen, Kinder zur Schule bringen, wieder abholen, kochen und so | |
| weiter. | |
| Den Text hat sie auf einem weiteren Blatt auf ein Gedicht in Versform | |
| reduziert, in dem neben Uhrzeiten fast nur noch und immer wieder „Treppe | |
| rauf, Treppe runter“ steht, bis abends. Darunter der Satz: „G. fragt: was | |
| hast du den ganzen Tag getan?“ Poetisch muten auch Raspés Helmfilme an. Im | |
| Abwasch machte sie „Sekundenskulpturen“ aus, wie sie es nannte, zufällig | |
| aufgetürmte Tassen und Teller im schimmernden Wasser, die sie auch | |
| fotografisch festhielt. | |
| Raspé nahm viele der Themen vorweg, die heute in der zeitgenössischen Kunst | |
| virulent sind, etwa Spiritualität, Heilung oder Umweltverschmutzung. 1990 | |
| stieg sie im weißen Kittel in den völlig von Industrieabfällen verseuchten | |
| Fluss Bzura in der Nähe der polnischen Stadt Łódź, wo sie an einem | |
| Kunstprojekt teilnahm. Im eisigen Wasser sang sie Obertöne – eine Methode, | |
| bei der man den Körper zum Schwingen bringt –, bis ihre Stimme versagte. | |
| Als sie wieder aus dem Wasser stieg, war der Kittel von schwarzen Flecken | |
| übersät. | |
| Die Performance ist in der Ausstellung in Form einer großformatigen | |
| Fotodokumentation präsent. Gritz und ihr Team haben aber auch | |
| Installationen aus den 1990er Jahren aufwendig rekonstruiert, etwa | |
| Arrangements aus klobigen kleinen Fernsehgeräten, an deren Bildschirmen | |
| angetrocknete Bienenwaben angebracht sind, durch die das Flackern der | |
| Bilder und Geräusche dringen. Auf einem runden Tisch mit weißem Tischtuch | |
| platziert, umgeben von leeren Stühlen, bilden sie die Installation | |
| „Fernsehfrühstück“. Die Waben stehen nicht nur für Natur, sondern lassen | |
| sich auch als Chiffre für Arbeit lesen. | |
| Nachdem Gritz und ihr Team Raspés Œuvre nun erstmals umfassend | |
| aufgearbeitet haben, bleibt die Frage, wie es damit weitergeht. Zwar solle | |
| die Ausstellung Raspés Arbeiten zuallererst einer neuen Generation von | |
| Künstler:innen und Interessierten zugänglich machen, sagt Gritz, aber es | |
| sei eben auch zu überlegen, in welche Sammlung die rekonstruierten Werke | |
| gehörten. Noch ist Gelegenheit, diese Gespräche direkt mit Margaret Raspé | |
| zu führen. | |
| 7 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aktionskuenstler-Otto-Muehl-gestorben/!5066617 | |
| [2] /Feministische-Kunst/!5061949 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine Weier | |
| ## TAGS | |
| Videokunst | |
| Feministische Kunst | |
| Ausstellung | |
| Care-Arbeit | |
| Kultur in Berlin | |
| Künstlerin | |
| Videokunst | |
| Bildende Kunst | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| wochentaz | |
| Fotokunst | |
| Kunst | |
| Berliner Volksbühne | |
| Feminismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Videokunstpionier Bill Viola gestorben: Mit Rembrandt'scher Geduld | |
| Die Videokunst von Bill Viola war medienkritisch, spirituell und manchmal | |
| von barocker Monumentalität. Nun ist der US-Amerikaner gestorben. | |
| Kunst zu „Kochen Putzen Sorgen“: Bis zum surrealen Familiengesicht | |
| Die Ausstellung „Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop zeigt | |
| feministische Kunst von den 1960ern bis heute. Die ist ziemlich satirisch. | |
| Rom*nja-Künstlerin über Frauen: „Gegen Stereotype arbeite ich an“ | |
| Małgorzata Mirga-Tas' Kunst trifft in einer Berliner Ausstellung auf | |
| deutschen Expressionismus. Ein Gespräch über Freundinnen, Nacktheit und den | |
| Genozid. | |
| Mutterschaft im Theaterbetrieb: Der Bauch wächst, der Vorhang fällt | |
| Beruf und Familie sind rund um den Bühnenbetrieb besonders schwer | |
| vereinbar. Der Verein Bühnenmütter fordert deshalb strukturelle | |
| Verbesserungen. | |
| Ausstellung von Nhu Xuan Hua: Kuss eines Schwans | |
| Nhu Xuan Hua ist bekannt für ihre Mode- und Porträtfotografie. In Frankfurt | |
| zeigt sie nun seltsam surreale Dokumente der Gegenwart. | |
| Monografie „Viewshed“ über Larissa Fassler: Die soziale Maschine erfassen | |
| Die Künstlerin Larissa Fassler entwirft ausufernde Modelle von urbanen | |
| Konfliktzonen. Die Monografie „Viewshed“ gibt einen Überblick. | |
| Florentina Holzinger über Feminismus: „Ich habe niedrigen Blutdruck“ | |
| Florentina Holzinger ist eine der angesagtesten Performer:innen der | |
| hiesigen Theaterszene. Hier spricht sie über Nacktheit, Stunts und | |
| Feminismus. | |
| Künstlerin über Feminismus und Politik: „Grundsätzlich das Absurde sehen“ | |
| Das Münchner Haus der Kunst zeigt eine Werkschau der 86-jährigen Joan | |
| Jonas. Ein Gespräch über ihre Anfangszeit in New York. |