| # taz.de -- USA-Reisebericht von Stefanie Sargnagel: Alle Simpsons-Folgen auf e… | |
| > In „Iowa“ grantelt sich die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel teils | |
| > zusammen mit der Berlinerin Christiane Rösinger durch den Mittleren | |
| > Westen. | |
| Bild: Eine echte Wienerin geht in den USA nicht unter: Stefanie Sargnagel | |
| Liest man das Wort „Iowa“, will das Gehirn umgehend ergänzen: „Gilbert | |
| Grape – irgendwo in …“, nach dem gleichnamigen Film mit Johnny Depp von | |
| 1993. Endlose Maisfelder, reizlose Landschaften – mehr ist hierzulande über | |
| den US-Bundesstaat im Mittleren Westen kaum bekannt, außer vielleicht, dass | |
| er bei Präsidentschaftswahlen als „Swing State“ umkämpft ist. | |
| Auch Stefanie Sargnagel ist erst einmal popkulturell überwältigt, als sie | |
| irgendwo hinter Des Moines an genau so einer gottverlassenen Tankstelle | |
| steht, wie sie in zahllosen US-Filmszenen vorkommt: „Die Schiebetüren | |
| öffnen sich, und vor mir tut sich das Amerika auf, von dem ich immer | |
| geträumt habe. Eine psychedelisch grelle Farblandschaft, alle | |
| Simpsons-Folgen auf einmal.“ Und dann diese Wurstauswahl: Pork Dog, | |
| Vegetable Eggroll, Chicken Caesar … | |
| Fasziniert notiert Sargnagel: „Endlose Variationen von Hot Dogs scheinen | |
| sich hier seit Jahren im Eigenfett zu wälzen, Kruste um Kruste aufzubauen | |
| wie Panzer gegen Verderblichkeit. Ich schaue zu, schaue, wie sich alles | |
| dreht, und weiß nicht mehr, wie lange mich die Würste hypnotisiert haben, | |
| die anderen müssen sich schon Sorgen machen.“ | |
| ## Hang zum Ungesunden | |
| Die anderen, das sind der Fahrer und die Berliner Musikerin Christiane | |
| Rösinger. Das Liberal Arts College in Grinnell, Iowa hat die für ihre | |
| pointierte Kurzprosa gefeierte Wiener Autorin Sargnagel eingeladen, im | |
| Sommersemester 2022 ein Humorseminar abzuhalten; Christiane Rösinger wird | |
| auf dem Campus ein Konzert geben mit ihren Indie-Chansons. Eine grantelnde | |
| Jungfeministin mit Hang zum ungesunden Lebensstil und eine Berliner | |
| Szenepflanze zusammen in der US-amerikanischen Einöde: Dieses Setting | |
| schreit geradezu nach literarischer Verwertung. | |
| Nun hat Sargnagel ihre Erlebnisse in Buchform aufgeschrieben – ergänzt | |
| durch einige kratzbürstige Fußnoten von Christiane Rösinger. Dank | |
| Sargnagels Witz und Beobachtungsgabe enttäuscht dieses spezielle | |
| Reisetagebuch nicht. | |
| Sehr unterhaltsam, wie die beiden ungleichen Frauen die überdimensionierte | |
| Collegewohnung in Beschlag nehmen, sich im Walmart mit Oreokeksen | |
| (Rösinger) und Zutaten für Erdäpfelgulasch (Sargnagel) eindecken – und sich | |
| schon bald ein Auto wünschen. Auf der Suche nach Unterhaltung landen sie in | |
| Grinnells einziger Absturzkneipe und verzweifeln nicht nur am kulinarischen | |
| Angebot. | |
| ## Boring as hell | |
| „Grinnell, Grinnell. Boring as hell. Juwel der Prärie. So fad war mir noch | |
| nie“, dichtet Rösinger auf dem Fußweg durch die menschenleeren Straßen des | |
| Städtchens. Wie ein altes Paar entwickeln die beiden abendliche | |
| Fernsehroutinen und treiben einander mitunter zur Verzweiflung: Rösinger | |
| klaut kaltblütig Kosmetikschwämmchen und Spielzeugautos für den Enkel. Und | |
| Sargnagel lebt ihren Hang zum Trash in den reichlich vorhandenen | |
| Trödelläden aus. „Das waren mit die dunkelsten Stunden meines | |
| Iowa-Aufenthalts“, kommentiert Rösinger lakonisch. | |
| Jenseits der Skurrilitäten des Provinzlebens lebt das Buch vom Gegensatz | |
| der Protagonistinnen: Wiener Gemütlichkeit trifft auf Berliner Tempo, | |
| Do-it-yourself-Punk auf Generation Smartphone, Zweite-Welle-Feminismus auf | |
| die Dritte Welle. | |
| Christiane Rösinger, heute 62, brach als alleinerziehende junge Frau aus | |
| dem ländlichen Baden auf in die Kreuzberger Künstlerszene. Ihr ewig | |
| prekäres, erst spät zu einer breiteren Anerkennung gelangtes | |
| Künstlerinnendasein ist für Sargnagel, geboren 1986, ein Role Model: Als | |
| Pubertierende in den späten Neunzigern, schreibt die Wienerin, habe sie | |
| Rösinger als Sängerin, Autorin und Entertainerin des heiteren Trübsinns | |
| verehrt. | |
| ## Fetter Wiener Orsch | |
| Bei aller Verschiedenheit eint die zwei, dass sie aus bescheidenen | |
| Verhältnissen heraus in die akademisch geprägte Welt der Kultur getreten | |
| sind. Und dass sie sich weigern, gängige Geschlechterklischees zu erfüllen. | |
| Rösinger, Urheberin der legendären Textzeile „Pärchen stinken, Pärchen | |
| lügen, Pärchen winken und fahrn nach Rügen“, ist bekennende Alleinlebende, | |
| Sargnagel kokettiert gerne mit ihrem fetten Wiener „Orsch“ und säuft wie | |
| ein Kerl. | |
| Für die Jüngere ist der Kurztrip mit Rösinger auch eine willkommene | |
| Lehrstunde im Älterwerden. Erleichtert stellt Sargnagel fest: „Man kann | |
| lässig bleiben, chaotisch, trotzig und charmant. Für immer Punk. Noch nie | |
| hatte ich eine weibliche Zukunftsvision gesehen, die mich so zuversichtlich | |
| stimmte.“ | |
| In typischer Sargnagelmanier wechseln sich nachdenkliche Betrachtungen über | |
| das Altern in Würde und weibliches Rockstartum ab mit Blödeleien, etwa | |
| übers Furzen in Paarbeziehungen: „Mich würde es weniger stören, wenn mein | |
| Freund mit jemand anderem Sex hat, als wenn er vor einer anderen furzt.“ | |
| „Das sagst du jetzt aber auch nur, weil es gut klingt.“ „Stimmt.“ | |
| High und low, Klassenkampf im Seminar und Kirschkuchenwettbewerb in der | |
| Kirchengemeinde: „Iowa“ ist unterhaltsam wie ein | |
| österreichisch-berlinerisches Road Movie. Hat man Stefanie Sargnagel nach | |
| Rösingers Abreise noch in eine Mall voller Feuerwaffen begleitet und dann | |
| mitsamt ihrer angereisten Mutter zu den Amish People, sieht man vorm | |
| inneren Auge neben der hochgewachsenen Gestalt Johnny Depps auch zwei | |
| stämmige female cowboys in der Landschaft von Iowa, wie sie lachend ihre | |
| Hintern aneinanderreiben vor einem Firmenschild: Orscheln. | |
| 12 Jan 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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