| # taz.de -- Neues Album von Wiener Trio Zinn: Schmäh, Schwermut und Apocalypso | |
| > Das Frauentrio Zinn findet auf seinem neuen Album „Chthuluzän“ | |
| > musikalische und poetische Stilmittel, um Melancholie in fetzige Songs | |
| > umzumünzen. | |
| Bild: Gleich ballern sie los: Zinn aus Wien | |
| In den vergangenen Jahren hat sich Österreichs Hauptstadt Wien | |
| bekanntermaßen zu einer wahren Fundgrube eingängiger und dabei doch leicht | |
| verschrobener deutschsprachiger Popmusik entwickelt. | |
| Erst kürzlich setzte die TV-Dokumentation „Vienna Calling“ der Wiener | |
| Musikszene ein Denkmal. Neben bereits bekannteren Künstler:innen wie | |
| [1][Der Nino aus Wien], [2][Voodoo Jürgens] und Buntspecht wird darin auch | |
| das Frauentrio Zinn vorgestellt. Mit „Chthuluzän“ veröffentlicht es nun | |
| sein zweites Album. | |
| Bereits in Rezensionen des gleichnamigen Debüts wurden Vergleiche [3][zur | |
| Berliner Band Die Heiterkeit um Sängerin und Komponistin Stella Sommer] | |
| gezogen. Zumindest auf musikalischer Ebene scheint der Vergleich | |
| naheliegend. | |
| ## Im unteren Drehzahlbereich | |
| Denn ähnlich wie das Heiterkeit-Debütalbum „Herz aus Gold“ war das 2021 | |
| veröffentlichte Zinn-Erstlingswerk ein schwermütiges, aufs Wesentliche | |
| reduziertes Gitarren-Pop-Album im unteren Mid-Tempo-Bereich. Die Musik von | |
| Zinn lebt von eingängigen Melodien und der getragenen, sonoren Altstimme | |
| von Sängerin und Gitarristin Margarete Wagenhofer. | |
| Und ähnlich wie Sommers Band anno 2014 mit ihrem zweiten Album „Monterey“ | |
| haben zehn Jahre später nun auch Zinn den Synthesizer für sich entdeckt, | |
| der auf „Chthuluzän“ erstmals im Zentrum des noch einmal um mehrere BPM | |
| gedrosselten Slowcore-Sounds steht, der von Bassistin Jasmin Strauss und | |
| Drummerin Lili Kaufmann vervollkommnet wird. | |
| In fast schon doomigem Zeitlupentempo schleppt sich gleich der Auftaktsong | |
| „Chtulucene“ voran, der trotz düsterer Stimmung mit einer utopischen | |
| Verheißung beginnt: „Ich can hear/I can see a new world“, singt Wagenhofer. | |
| Bloß wo? | |
| ## Nachgeschlagen bei Donna Haraway | |
| Fündig geworden ist sie [4][im Werk Donna Haraways. Die US-Philosophin] | |
| veröffentlichte 2018 das Buch „Unruhig bleiben: Die Verwandtschaft der | |
| Arten im Chthuluzän“. Darin versucht sie eine zukünftige Gesellschaft zu | |
| skizzieren, in der sich nicht mehr der Mensch fortlaufend selbst ins | |
| Zentrum der Welt zu setzen versucht. Stattdessen findet er Wege, im | |
| Einklang mit Tieren, Natur und Maschinen zu leben. So soll aus dem | |
| Anthropozän das Chthuluzän werden – ein Utopia wechselseitiger Beziehungen. | |
| Wie schon auf dem Vorgänger demonstrieren Zinn auch auf „Chthuluzän“ ihre | |
| Fähigkeit, Songs mit einfachen Mitteln vielgestaltig und komplex zu | |
| arrangieren. Immer wieder werden dabei Wagenhofers Gesangsparts durch | |
| eingängige und dennoch subtil-unaufdringliche Melodien abgelöst. Erneut | |
| kommt dabei auch eine Trompete zum Tragen, etwa im schönen „Die Dramaturgie | |
| des Nachmittags“, in dem sich Zinn mit ihren Staatsakt-Labelkollegen | |
| International Music die Klinke in die Hand geben. | |
| ## Arpeggios für „Das Kapital“ | |
| Highlights des Albums sind die beiden bereits vorab ausgekoppelten Songs | |
| „Limoncello“ und „Das Kapital“. Ersteres ist ein entspanntes, durch | |
| Gitarren-Arpeggios getragenes Stück Chansonpop, während Letzteres mit | |
| nervösen Drum-Wirbeln im Tom-Waits-Stil und düsteren | |
| Synthesizer-Soundlandschaften das gleichnamige Unheil besingt, bis es | |
| schließlich im hysterischen Ende implodiert. „Es ist überall“, schreit | |
| Wagenhofer. | |
| Immer wieder verfahren Zinn im Laufe des Albums nach diesem Muster, dass | |
| ruhige, beinahe besinnlich anmutende Parts abgelöst werden durch düstere | |
| Klangkulissen. | |
| Zum Finale beschließt „Apocalypso“ den Reigen der Songs, das nicht umsonst | |
| Erinnerungen weckt an die mit Zinn freundschaftlich verbundene Gruppe | |
| [5][Ja, Panik und ihr 2021 veröffentlichtes Comeback-Stück „Apocalypse or | |
| Revolution“]. „Tanz, Baby, tanz den Apocalypso mit mir/ Tanz, ´cause the | |
| end is near“, singt das Trio da, was gerade aufgrund der musikalischen | |
| Unbeschwertheit des Stücks besonders bedrohlich anmutet. | |
| Und man kann getrost annehmen, dass diese Stimmung im Sinne seiner | |
| Verfasserinnen ist, die mit „Chthuluzän“ ihr bereits tolles Debüt noch mal | |
| übertreffen. | |
| 26 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Luca Glenzer | |
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