| # taz.de -- Konzertempfehlung für Berlin: Lyrische Betrachtungen zum Wetter | |
| > Seine Musik gleicht einem vertonten Stadtmagazin. Am Mittwoch feiert der | |
| > Singer-Songwriter Der Nino aus Wien sein 10-jähriges Bühnenjubiläum im | |
| > Lido. | |
| Bild: Galant: Nino Mandl (Mitte) alias Der Nino aus Wien | |
| Einmal angenommen, eine Platte wäre auch eine Zeitung, dann handelte es | |
| sich bei dem aktuellen Album des österreichischen Singer-Songwriters Nino | |
| Mandl alias [1][Der Nino aus Wien] um ein Stadtmagazin. Freilich um eines | |
| mit lyrischen Betrachtungen zum Wetter; und ja, es hätte glatt auch einen | |
| Sportteil, der klassisch am Ende des Blattes platziert wäre, respektive der | |
| Platte ist. | |
| Akustikgitarre, Piano und Schlagzeug unterfüttern mit dem Swing der | |
| Enttäuschung die Erzählung eines Fans, der auf den Rängen über dem Rasen | |
| einen wahrlich vermaledeiten Nachmittag durchleiden muss: „Wo hostn du | |
| Kicken glernt“, ruft er einem Spieler zu und muss seufzen: „Da Stürmer | |
| steht do frei wie a Vogerl / Eich zuaschaun is a Graus.“ Es hilft nichts: | |
| „Oba jetzt hob i gnuag. Von dem Eierkick / Do bleib i liaba zhaus und sauf. | |
| Und nimm im Fernsehn a / Quizshow auf. Ois dassi ma so an / Kick gib.“ | |
| „[2][Unentschieden gegen Ried]“ heißt der Song und meint den | |
| oberösterreichischen Fußballklub SV Ried; der Nino ist stattdessen Fan von | |
| Rapid Wien, einem Verein mit proletarischen Wurzeln. | |
| Fußball ist eine der Herzensangelegenheiten, ist Glück und Pech, Hingabe | |
| und Fiebern. Um das alles und um das Flanieren und Einkehren geht es auf | |
| Ninos Platten, die er seit zehn Jahren auf dem Wiener Label mit dem schönen | |
| Namen [3][Problembär Records] veröffentlicht. | |
| Die aktuelle ist die zehnte, und zum Künstler gehört, dass erst sie | |
| schlicht seinen Namen trägt: „Der Nino aus Wien“ steht in goldener | |
| Schreibschrift auf schwarzem Cover; ein Zug, den man normalerweise von | |
| einem Debütalbum erwartet. Das hieß „[4][The Ocelot Show“] und war eine | |
| sparsame, fast in Lo-Fi-Manier geschrammelte Produktion. Im vorigen Jahr | |
| spielte der Nino im ausverkauften Privatclub in Kreuzberg; wenn er jetzt um | |
| die Ecke, im größeren [5][Lido] auftritt, dann will das was heißen. | |
| Und das neue Album, das er mitbringt, ist geradezu galant, wenn auch mit | |
| einigen Spritzern Raues. Ein schöner Frühlingstag mit gelegentlichen | |
| Eintrübungen, hieße es im Wetterbericht. Dass die Platte, man muss für sie | |
| übrigens kein Mundartspezialist sein, im Herbst erschienen ist; auch das | |
| mag zum Nino gehören. | |
| „Unterwegs“, der Song, der das Album eröffnet, ist dann tatsächlich ein | |
| beschwingtes Frühlingslied, dabei handelt es sich um die Saison eines | |
| Herumtreibers, eines städtischen Zigeuners, vom „Leben ohne einen Weg“. Was | |
| bittersüß ist, das kann auch knirschen, also bohrt sich knallfall nach | |
| anderthalb Minuten ein Rockgitarrensolo hinein. | |
| Überhaupt, so sehr man sich Nino als unsteten Alleinsegler vorstellen | |
| möchte, so wird er doch von einer Band begleitet, deren Besetzung seit | |
| Langem konstant ist. Ihre Musik ist eine Melange aus Beat und Folk, ihr | |
| Sixties-Vibe deutlich zu hören. | |
| Hinzu kommt, Wien ist eine der Städte, in der man Lokalpatriot sein darf, | |
| ein ordentlicher Schuss Wiener Lied. Dessen Grundthema, schreibt das | |
| Österreichische Musiklexikon, „ist die Selbstdarstellung der Wiener, ihrer | |
| Lebensart, Menschentypen und Stadt, wobei sowohl eine hedonistische | |
| Lebensauffassung als auch die pessimistische Betrachtung der Jetztzeit im | |
| Vordergrund steht.“ | |
| Alles beim Nino vorhanden, mit einer Einschränkung: Er scheint eher | |
| Melancholiker als Pessimist zu sein, hungrig auf, wie er singt, „ein neues | |
| Wort, das ich noch nicht gekannt hab“. Der Unterschied macht den | |
| Sympathiepunkt. | |
| Und wer dem Jetzt gänzlich abhold ist, schreibt kein Lied wie „[6][Hände]�… | |
| Zweiter Song der Platte, uptempo auch er, interessant dabei Ninos Stimme: | |
| Hier wie an anderen Stellen geht sie eine ganz eigenen Mischung ein, sie | |
| ist nämlich – so etwas geht! – weich mit dem Hauch einer charmant | |
| schnippischen Kuvertüre. | |
| Beim Text ist genaueres Zuhören angebracht: „Sie hat sich nie umgedreht / | |
| sie hat den Wind überlebt / ihre Füße bewegt / in wirklich jede Gasse // | |
| Sie hat mit Tränen gelacht / sie hat das Fieber gepackt / ihren Hass | |
| umgebracht / weil sie ihn so hasste / sie wartet auf der Straße // Auf ein | |
| neues Bild, ein neues Lied, ein neues Spiel zu Ende gespielt.“ | |
| Einer der Einflüsse, die Nino zugeschrieben werden, ist Bob Dylan. Und wer | |
| weiß, vielleicht darf man sich die Frau, von der er singt, als jene | |
| vorstellen, die Dylan – einmal angenommen, das ist das Thema beim damals | |
| schon schwer fassbaren Zimmermann – in „It’s All Over Now, Baby Blue“ m… | |
| dem Satz aus der Tür schickte: „Reiß ein neues Streichholz an, beginn von | |
| vorn.“ Diejenige Ninos hat das oft getan und wenig davon bereut. | |
| Ein anderer Name, der bei Nino oft fällt, ist [7][Leonard Cohen]. An dieser | |
| Stelle muss doch noch Kritik geäußert werden. Die B-Seite der Platte | |
| beginnt mit „[8][Alles pass]t“: Musikalisch tut es das in der Pianoballade, | |
| die sich zum Slow-Motion-Reigen aufschwingt und in der sich nach | |
| zweieinhalb Minuten die Gitarre an [9][Neil Youngs „Eldorado“] anlehnt, | |
| textlich aber wäre weniger mehr gewesen: „Die dunkle Straße lacht vor dem | |
| geheimen Beisl“; gut, „The Dark End of the Street“, James Carr und viele | |
| andere, lässt sich machen. | |
| Eine Zeile jedoch wie „Und die Sorgen fallen in den Aschenbecher rein“, das | |
| ist dann eindeutig zu viel aus der sentimentalen Hausapotheke. Wäre Cohen | |
| das unterlaufen, hätte er einen Weg gefunden, es in der folgenden Zeile zu | |
| brechen. Gut, dass Nino genau danach mit dem rumpelnden Fußballlied einen | |
| prägnanten Konterpunkt plaziert hat. No ma Glick gehobt! | |
| Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
| immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
| 15 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.derninoauswien.at/ | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=NU9pKbFgxIc | |
| [3] http://www.problembaerrecords.net/ | |
| [4] https://problembaer.bandcamp.com/album/der-nino-aus-wien-the-ocelot-show | |
| [5] https://www.lido-berlin.de/events/2019-01-16-der-nino-aus-wien | |
| [6] https://www.youtube.com/watch?v=UG0t-8IL7k0 | |
| [7] /Nachruf-auf-Leonard-Cohen/!5353641/ | |
| [8] https://www.youtube.com/watch?v=t0U8_ZTcEKE | |
| [9] https://www.youtube.com/watch?v=WnwkbJmiJ04 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
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