| # taz.de -- Performance von Florentina Holzinger: Mensch, Natur, Maschine, Pomm… | |
| > Die Uraufführung von Florentina Holzingers Performance „Kranetude“ am | |
| > Berliner Müggelsee war unvergesslich, verstörend – und ließ Fragen offen. | |
| Bild: Florentina Holzingers Markenzeichen sind nackt auftretende Performerinnen… | |
| Die vier nackten Schlagzeugerinnen sitzen mit dem Rücken zum Publikum. Sie | |
| peitschen die Musik im Seebad Friedrichshagen am Müggelsee zum nächsten | |
| atmosphärischen Höhepunkt des Abends. Acht ebenso nackte Performerinnen | |
| hängen derweil in etwa 15 Metern Höhe an einer von einem riesigen Kran | |
| gehaltenen runden Traverse. Darunter tritt eine am Seil hängende | |
| Performerin – natürlich nackt – ein gut zwei Meter langes Donnerblech mit | |
| den Füßen. Wie Delphine tauchen im Hintergrund zwei weitere völlig | |
| entblößte Performerinnen ins Wasser des Müggelsees ein und wieder auf. | |
| Ein Anblick zum Niederknien: Mensch, Maschine, Natur. Vereint in einem | |
| poetischen Moment der Superlative. Zwischen Pommesbuden und Steh-Paddlern. | |
| Es ist [1][der neueste Coup der Choreografin Florentina Holzinger]; die | |
| Uraufführung ihres Happenings „Kranetude“ am vergangenen Donnerstag. Kaum | |
| jemand tanzt momentan so souverän auf dem schmalen Grat zwischen | |
| kurzweiligem Spektakel und überwältigendem künstlerischen Mehrwert wie die | |
| österreichische Choreografin. Der gekonnte Spagat zwischen Populärem und | |
| hoher Kunst hat Holzinger zum Liebling der Berliner Kunst- und Theaterszene | |
| gemacht. | |
| Zweimal bereits wurden Holzingers Arbeiten zum Berliner Theatertreffen | |
| eingeladen: 2020 war es ihre Choreografie „Tanz“. [2][Dieses Jahr ihr | |
| Volksbühnen-Superhit „Ophelia's got talent“]. Neben institutionelle Bühnen | |
| bespielt sie mit ihren performativen „Etüden“ auch gerne den öffentlichen | |
| Raum. In Berlin sorgte ihre Performance „Étude for Disappearing“ im Rahmen | |
| [3][der vom hippen Berliner Kunstverein Schinkelpavillon initiierten Reihe | |
| „Disappearing Berlin“] für viel Aufmerksamkeit. Ihr Markenzeichen sind | |
| nackt auftretende Performerinnen (sie selbst immer eingeschlossen). Mal | |
| führen sie lustvolle, mal brutale, mal verstörende Aktionen aus. Oft mit | |
| brachialen technischen Geräten oder Maschinen wie Helikoptern, Rennautos – | |
| oder eben Kränen. | |
| Abschluss der Intendanz von Franziska Werner | |
| Holzingers jüngste Strandbad-Etüde ist der große Abschlussknall für das | |
| Themenfestival „Leisure and Pleasure“ der Sophiensaele. Und damit auch der | |
| zwölfjährigen künstlerischen Leitung von Franziska Werner. Sie wird in | |
| diesem Sommer von dem Dramaturgen Jens Hillje und der Kulturmanagerin | |
| Andrea Niederbuchner als neues künstlerisches Leitungsteam abgelöst. | |
| Werner hat den Ruf der Sophiensaele als eine der wichtigsten Spielstätten | |
| der freien Szene in Berlin kontinuierlich ausgebaut. Sie war auch eine der | |
| ersten, die das Berliner Publikum mit Arbeiten von Florentina Holzinger | |
| vertraut machte. 2017 zeigte sie die Performances „Recovery“ und „Apollon… | |
| und 2020 „Tanz“. Die „Kranetude“ ist somit ein passender Abschluss ihrer | |
| erfolgreichen Intendanz. Einer, der mit Wumms daherkommt. Was als | |
| lauschiger Sommerabend am See beginnt, entfaltet schnell die überwältigende | |
| Kraft einer typischen Florentina-Holzinger-Performance. | |
| Der nostalgisch-beschauliche Sandstrand des Seebades Friedrichshagen wird | |
| von zwei Stegen rechts und links eingerahmt. Der historische Sprungturm, | |
| die Pommesbüdchen, das lässt Sommerfrischegefühle aufkommen. Das hippe | |
| Berlin hat es sich auf Strandtüchern gemütlich gemacht. Freizeitfreundlich | |
| ist auch die Länge der „Kranetude“ mit knapp 40 Minuten. Pünktlich um acht | |
| Uhr geht es los. | |
| Vier in Bademäntel gehüllte Frauen schreiten durch das Publikum hindurch in | |
| Richtung See. Lässig lassen sie die Bademäntel fallen, setzen sich an ihre | |
| Schlagzeuge. Ihnen folgt Sibylle Fischer, die Dirigentin des Abends. Sie | |
| wird mit ekstatischen, manchmal bedrohlichen Bewegungen zuerst die | |
| Musikerinnen, dann alle an der Performance beteiligten Elemente – Mensch, | |
| Technik und Natur – führen. | |
| Assoziative Wucht der Performance | |
| Der Kran steht hinter dem linken Steg im Wasser und streckt seinen langen | |
| Arm in den Sommerabendhimmel. An ihm werden etwa eine Viertelstunde nach | |
| Beginn die acht Performerinnen an der Traverse aus dem Wasser gezogen. | |
| Spätestens dann entfaltet die Performance ihre ganze assoziative Wucht. Wie | |
| frisch ertrunken hängen die Tänzerinnen in der Luft. Oder sind sie leblose | |
| Puppen in einem Kettenkarussell? Oder eine Parodie auf die „weiße Frau“, | |
| die schlaff in King Kongs Riesenhand liegt? Plötzlich beginnen sie sich | |
| anmutig zu bewegen. Also doch Meerjungfrauen? Nixen? Wassernymphen? | |
| Und wer sind diese riesigen weiblichen Wesen, die sich wie auf langen | |
| Wasserbeinen aus weiter Ferne langsam dem Strand nähern? Meeresgöttinnen? | |
| Amazonen? Außerirdische? Oder doch nur Frauen auf Flyboards? | |
| Und dann die große Frage nach dem Warum? Was soll das alles? Das Schöne | |
| ist: Es gibt darauf keine Antwort. Wer das Seebad Friedrichshagen an diesem | |
| Abend verlässt, hat Sand zwischen den Zehen, Pommesgeschmack im Mund – und | |
| unvergesslich schöne und verstörende Bilder im Kopf. Das reicht. | |
| 3 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Verena Harzer | |
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